Hin- und hergerissen zwischen Mallorca und der Heimat: Warum sich manche Menschen einfach nicht entscheiden können
Per Aufruf in den sozialen Netzwerken suchten wir Menschen, die sich nicht zwischen den beiden Orten entscheiden können. Es antworteten mehr, als wir erwartet hatten. Eine Auswahl

Manchmal bekommt man schon im Flugzeug wieder Sehnsucht nach dem jeweils anderen Ort. / Privat
Deutschland oder Mallorca? Wer sich über Jahre hinweg nicht für den einen oder den anderen Lebensmittelpunkt entscheiden kann, hat dafür ganz persönlichen Gründe. Sechs MZ-Leser schildern, was sie so zerrissen macht, wie sie mit der Dauerbelastung umgehen und ob sie sich vorstellen können, sich endgültig zu entscheiden.
Der Wurzeln wegen

Alicia Plesec. / Privat
„Ich bin 49 Jahre jung, glücklich verheiratet, habe zwei Kinder und einen Hund, die klassische Bilderbuchfamilie. Ich bin in Palma geboren. Mein Vater ist Mallorquiner, meine Mutter Deutsche. Meine ersten zwei Lebensjahre verbrachte ich auf Mallorca, dann ging es über die Schweiz nach Deutschland, wo ich immer noch lebe. Meine Eltern sind vor 26 Jahren zurück auf die Insel. Damals war ich Anfang 20, ledig und in der Berufsausbildung. Seit dem Rückzug meiner Eltern bin ich noch öfter auf Mallorca als vorher ohnehin schon, 2006 habe ich auf der Insel geheiratet.
Mittlerweile sind unsere Kinder groß (fast 16 und 21 Jahre), und mein Job lässt es zu, dass ich alle sechs bis acht Wochen für ein paar Tage wegfliegen kann. Sobald ich aus dem Flugzeug den nördlichsten Zipfel der Insel entdecke, macht sich ein großes Glücksgefühl breit. Bei jeder Rückreise nach Deutschland laufen die Tränen. Auch in den ersten Tagen nach meiner Rückkehr geht es mir meist nicht so gut. Mein Herz ist immer ganz schwer. Meine Familie kennt das schon und verwöhnt mich dann mit dem Inselradio und einem café con hielo.
Auch wegen der Kinder können und wollen wir in Deutschland (noch) nicht alle Zelte abbrechen. In Deutschland haben wir eine gut laufende Firma. Um den Lebensstandard hier auf Mallorca halten zu können, müssten wir dort sehr viel mehr arbeiten. Deutschland gibt mir Sicherheit, und ich mag die deutsche Verlässlichkeit im Alltag. Demgegenüber steht die Lebensqualität, die auf der Insel unbezahlbar ist. Mein Herz gehört Mallorca, dem Meer, dem Licht und natürlich meiner Familie.
Noch sind wir in Deutschland fest verankert. Ziel ist es aber, immer öfter nach Mallorca zu kommen und auch immer öfter länger zu bleiben. Für die Zukunft stellen wir uns vor, ein paar Monate hier und ein paar Monate dort zu sein. Ich möchte einfach mal so lange auf Mallorca bleiben, bis ich keine Lust mehr habe. Ich frage mich aber natürlich schon, ob der Tag jemals kommt.“ Alicia Plesec
Des Sohnes wegen

Marco und Tamara Gülpen mit Sohn Giulio. / Privat
Jahrelang führten die aus dem Vox Auswanderer-Format „Goodbye Deutschland“ bekannten Hostel-Betreiber Tamara und Marco Gülpen eine Art Doppelleben. Die Winter verbrachten sie nahe Köln, die Sommer auf Mallorca. Die Zuschauer konnten über viele Folgen hinweg miterleben, dass sich das Paar angesichts der bevorstehende Einschulung von Sohn Giulio gewissermaßen selbst dazu zwang, eine Entscheidung zu treffen. Die ist nun gefallen. Die dreiköpfige Familie hat ihren Lebensmittelpunkt künftig auf Mallorca, wo der Sechsjährige im September eingeschult wurde. Nur im März, Dezember und während der Sommerferien geht es länger nach Deutschland.
Marco Gülpen erzählt: „Ich war ab 1999 über zehn Jahre hauptsächlich auf der Insel, fand es toll. Irgendwann habe ich aber angefangen, Deutschland zu vermissen. 201 1 habe ich in Köln ein Hotel übernommen, war fortan wieder deutlich mehr dort. Dann gab es einen Schlüsselmoment mitten im August. Bei Nieselregen und 15 Grad habe ich mich auf die Insel zurückgewünscht. 2012 übernahm ich das Hostal Playa de Palma, seither habe ich nun an beiden Orten Geschäfte. 2016 lernte ich Tamara kennen, 2019 kam Giulio auf die Welt.
Das Sommer-Winter-Modell der letzten Jahre war die Optimallösung für uns. Es war aber absehbar, dass wir uns spätestens zur Einschulung von Giulio entscheiden müssen. Wir haben lange herumgeeiert, wo wir es machen. Am Ende haben wir ihn entscheiden lassen. Was er gesagt hat, hat mich zu Tränen gerührt: Er wolle doch lieber in Spanien auf die Schule gehen, da sein Papa sonst im Sommer alleine nach Mallorca kommen müsste und die Familie dann nicht zusammen wäre. Ich liebe Jahreszeiten und mag es auch, wenn es im Herbst oder Winter nass und kalt ist und man auf dem Sofa rumhängen kann. Das Leben in Deutschland ist darauf ausgerichtet – Häuser, Lokale oder Freizeitaktivitäten. Auf Mallorca hingegen spielt sich fast alles draußen ab.
Im Gegensatz zu Tamara habe ich viele Mallorca-Winter miterlebt und weiß, dass ich während der Zeit und allgemein lieber in Deutschland wohnen würde. Aus Liebe zu ihr und Giulio wird es nun aber Mallorca. Jetzt schauen wir mal, wie sich Giulio fühlt. Wir haben uns ein Jahr als Probezeit gegeben. Da Giulio ein ‚Kann-Kind‘ ist, hätte er selbst dann in Deutschland das Schuljahr nicht verloren.“
Des Eigenheims wegen

Birgit S. mit ihrem Partner. / Privat
„Wir haben schon länger den Wunsch, nach Mallorca umzusiedeln, da wir dank unserer Selbstständigkeit größtenteils remote arbeiten können. Egal, wer in Deutschland gerade regiert: Die große Politik präsentiert sich als immer unerträglicher. Auch aus gesundheitlichen Gründen (Heuschnupfen, Rücken- und Gelenkprobleme, Depression) wäre es für uns besser, auf Mallorca zu leben.
2023 war die Entscheidung eigentlich gefallen. Wir waren hochmotiviert und haben ab 2024 versucht, in Deutschland unser relativ neues Haus zu verkaufen. Die Marktlage ist aber grottig. Es kam kein Kauf zustande. Wir hatten sogar naiverweise schon einen Optionsvertrag für ein Haus auf Mallorca gemacht, der dann natürlich geplatzt ist. Unsere Anzahlung, die meine Mutter beigesteuert hatte, war weg. Das tat doppelt weh: Wir haben nicht nur sie enttäuscht. Auch das Geld fehlt uns jetzt, was uns enorm zurückwirft.
Aber wer weiß, wofür es gut war. Mittlerweile beobachten wir noch stärker, wie die Entwicklungen auf Mallorca sind: Wie ist die Wasserversorgung, wo kommen die neuen Windräder hin, wie ist die Stimmung? Jetzt warten wir noch bis 2029 ab, dann könnte ich mit 63 in Rente gehen und trotzdem noch als Selbstständige weiterarbeiten. Dieses Jahr bin ich bald zum dritten Mal auf Mallorca. Der Kopf kommt zur Ruhe, der Stress fällt ab. Dort zu leben, bietet einfach ganz andere Möglichkeiten als hier in unserer dauerverregneten Ecke, wo der Sommer mit Glück an ein paar Tagen im Jahr vorkommt.“ Birgit S.
Der Beziehung wegen

Alina Lohmann und ihr Partner. / Privat
„Ich pendle wegen meiner Beziehung seit 2018 zwischen Mallorca und Deutschland, bin meistens alle zwei Wochen für ein paar Tage auf der Insel. Zeitweise habe ich auch auf Mallorca gearbeitet. Mit jedem Flug spüre ich die Gegensätze stärker.
In Spanien fühle ich mich lebendig. Das Lebensgefühl ist leichter, spontaner, menschlicher. Man lebt mehr im Moment, genießt das Hier und Jetzt, ohne alles ständig zu hinterfragen oder zu vergleichen. Die Menschen wirken offener, herzlicher – man grüßt sich auf der Straße, hat Zeit für einen Kaffee und ein Gespräch. Dieses natürliche Miteinander und die Sonne, die fast jeden Tag scheint, geben mir das Gefühl, wirklich zu leben.
In Deutschland dagegen ist vieles korrekt, strukturiert und sicher – aber oft auch grau und schwer. Alles muss geplant, durchdacht und geregelt sein. Man vergleicht ständig: Wer arbeitet mehr, hat mehr erreicht, hat generell mehr? Es gibt weniger Raum für Leichtigkeit. Und doch: Dort sind meine Wurzeln – Familie, Freunde, berufliche Perspektiven.
Das Pendeln zwischen beiden Welten kostet Kraft. Es ist, als würde ich zwei Leben führen, die nicht richtig zusammenpassen. Ständig unterwegs, immer aus dem Koffer lebend, nie wirklich angekommen. Ich habe mir schon mehrfach Deadlines gesetzt, um mich zu entscheiden, aber jedes Mal merke ich, dass ich weder das eine noch das andere wirklich loslassen kann. Mallorca ist mein Herz, Deutschland mein Fundament – und ich stehe irgendwo dazwischen.“ Alina Lohmann
Der Gesundheit wegen

Symbolfoto einer Flugbegleiterin. / Frank Rumpenhorst, dpa
„Ich bin gerade innerlich ziemlich zerrissen. Auf meiner geliebten Insel habe ich keine Schmerzen an meiner Prothese, keine Angstgedanken. Dort fühle ich mich frei, leicht, unbelastet. Ich war Flugbegleiterin, Reisen war mein Leben. Mallorca war immer mein Zufluchtsort. Nur ein traumatisches Erlebnis hat mich lange aus der Bahn geworfen. Nach sechs schrecklichen Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich überhaupt wieder dorthin fliegen könnte. Doch ich habe mich zurückgekämpft. Jetzt zieht es mich von Deutschland aus jeden Tag mehr nach Mallorca zurück. Heute hält mich eigentlich nur noch eines hier: die medizinische Versorgung – und der sichere Beruf, den ich habe.
Richtig zu Hause fühle ich mich an keinem der beiden Orte. Und doch geht es mir auf der Insel einfach besser – körperlich und seelisch. Die Menschen dort begegnen einem mit Freundlichkeit und Leichtigkeit. Ein einfaches hola am Morgen, ein buenas noches am Abend – das sind kleine Gesten, die so viel bewirken. In Deutschland dagegen spüre ich oft Druck, Vergleiche, Neid – Dinge, die mir Energie nehmen.
Ich denke fast rund um die Uhr darüber nach, was richtig ist. Als Einzelkind halten mich auch meine Eltern hier – sie brauchen meine Unterstützung. Aber tief in mir weiß ich: Das Zauberwort heißt ,einfach machen‘. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Eine feste Deadline habe ich mir nicht gesetzt, aber ich möchte mir bald endgültig im Klaren darüber sein, was ich wirklich will – und wie ich diesen Schritt umsetzen kann. Lieber heute als morgen." Sandra B. (Name v. d. Red. geändert)
Der Familie wegen

Ab nach Mallorca. / Privat
„Schon als ich vor zweieinhalb Jahren nach Mallorca gezogen bin, war ich hin- und hergerissen, ob ich mich langfristig eher dort oder in Deutschland sehe. Auch deswegen wollte ich mir das Leben auf der Insel erst einmal ein paar Monate lang anschauen und habe mir immer offengehalten, jederzeit wieder zu gehen. Die ersten Abschiede von meiner Familie waren sehr hart. Schon am letzten Abend oder Tag in Deutschland hatte ich ein mulmiges Bauchgefühl. Auch meine Familie hat immer sehr gelitten. Wir wussten halt auch nie genau, wann wir uns wiedersehen. Das hat mich sehr belastet. Gleichzeitig habe ich mich auf Mallorca gefreut. Oft habe ich im Flugzeug geweint und meine Gedanken beim Journaling verarbeitet.
Nach zweieinhalb Jahren weg von zu Hause merke ich, dass ich tatsächlich nicht mehr so viel von meiner Familie mitbekomme. Dabei haben wir wirklich ein enges Verhältnis. Zudem sagen meine Eltern immer öfter, dass sie sich wünschen, dass ich wieder zurückkomme. Würden sie meine momentane Entscheidung unterstützten, wäre es auf jeden Fall einfacher. Doch mittlerweile habe ich auch einen Partner hier. Dafür kann ich hier nicht in meinem eigentlichen Beruf arbeiten, was auch finanzielle Folgen hat. Einhundertprozentig wohl fühle ich mich an keinem der beiden Orte. Das Thema nimmt mal mehr, mal weniger Platz in meinen Gedanken ein. Selbst mit einer 50/50-Lösung – mit dem Gedanken spiele ich gerade – wäre das Problem nicht gelöst, da man trotzdem an zwei Orten gleichzeitig lebt.“ Valentina W. (Name v. d. Red. geändert)
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