Gründe, von Deutschland nach Mallorca auszuwandern, gibt es mehr als genug. Für viele bleibt es ein Traum, andere wagen den Schritt tatsächlich. Knapp 19.000 Deutsche leben laut Einwohnerstatistik offiziell auf den Balearen, womöglich sind es aber auch weit über 50.000 Bundesbürger, die zumindest einen Teil des Jahres hier verbringen. So genau weiß das keiner. Ihre Beweggründe sind breit gefächert. „Meiner Erfahrung nach sind diese Menschen grundverschieden. Es kommen Leute jeden Alters und mit unterschiedlichsten Bildungsniveaus. Einen gemeinsamen Nenner zu finden, ist schwer“, meint Markus Liebscher vom Unternehmernetzwerk Business de Baleares. „Jede Auswanderung ist anders, individuell wie DNA“, bestätigt auch Doris Kirch, die die Facebook-Gruppe „Auswandern nach Mallorca. Anregungen und Tipps von Auswanderern“ betreut.

Und doch gibt es Schnittstellen. Etwas Mut brauche es allemal, um die Koffer zu packen und das alte Leben in Deutschland, Österreich oder der Schweiz hinter sich zu lassen, sagt Eva Maria Risse, die vor acht Jahren die Auswanderergruppe „Lebenslustiges Mallorca“ bei Facebook gegründet hat. Schauen wir uns die unterschiedlichen Profile der Auswanderer einmal an.

1) Die Mallorca-Schwärmer

Sie lieben Mallorca und das mediterrane Lebensgefühl – oder das Bild, das sie davon im Kopf haben. Oft kommen sie schon seit ihrer Kindheit regelmäßig als Urlauber auf die Insel, kennen sich geografisch gut aus, und den Wunsch, sich ganz auf Mallorca niederzulassen, tragen sie seit Jahren in ihrer Brust.

Nicht das Was steht bei ihnen im Vordergrund, sondern das Wo, ganz nach dem Motto: Hauptsache, Mallorca. „Mallorca ist nicht nur in Deutschland allgegenwärtig, was Auswanderung angeht. Das merke ich in meiner Gruppe. Menschen auf der ganzen Welt sind daran interessiert, sich hier niederzulassen, und stellen die Frage nach der praktischen Umsetzung zunächst hinter ihren Wunsch, sich auf Mallorca ein Leben aufzubauen“, so Doris Kirch. Sie geht davon aus, dass dies auf den Großteil der Auswanderer zutrifft.

Mallorca ist schön, warm, gut angebunden und erscheint auf den ersten Blick deutsch geprägt. Hinzu kommt die befreiende südländische Mentalität, so die Idee vieler Mallorca-Schwärmer. Dass ihr Bild unter Umständen nicht ganz der Realität entspricht, merken einige während ihrer Vorbereitungen, andere erst, wenn sie bereits ausgewandert sind.

2) Die zufällig Angespülten

Bei einem kleineren Teil der Auswanderer ist es anders herum. Sie machen – meist aus beruflichen Gründen – zunächst mehr oder weniger zufällig auf Mallorca Station, ohne die Absicht, dauerhaft hier zu bleiben. Und entscheiden sich dann im Laufe der Zeit um. „Oft sind das beispielsweise Menschen, die als Reiseleiter für große Veranstalter auf die Insel kamen. Ich kenne auch einen Banker, der von seiner Bank zeitweise nach Mallorca versetzt wurde, oder Auszubildende, die für einige Monate zum Lernen auf die Insel geschickt wurden“, weiß Markus Liebscher zu berichten.

Viele von ihnen kannten Mallorca vorher nicht oder kaum, hatten auch nicht von klein auf den Wunsch, in den Süden zu ziehen. Bleiben dann aber, weil sie auf der Insel gut zurechtkommen. Das ist oft ein Vorteil bei der Umsetzung: Die zufällig Angespülten sind wegen der Umstände häufig weniger von einem Traumbild geblendet, sondern entscheiden aus pragmatischen Gründen und mit handfesten Tatsachen, ihr Leben auf Mallorca fortzusetzen.

3) Die Immobilien-Investoren

Glück hat, wer Geld hat. Für viele Immobiliensuchende trifft das zu. „Die überwiegende Mehrheit meiner Kunden sind Deutsche mit großen finanziellen Möglichkeiten, die sich auf Mallorca ein Haus kaufen und es vor allem als Investition sehen“, sagt ein Immobilienmakler, der in der Zeitung nicht namentlich genannt werden möchte. Die Hausbesitzer genössen zwar das mediterrane Lebensgefühl, aber verehrten nicht die Insel als solche. Auch wollten sie nicht ihren Lebensmittelpunkt hierher verlagern. „Sie sind in erster Linie an einer zukunftsträchtigen Kapitalanlage interessiert.“

Häufig verbrächten die Immobiliensucher vergleichsweise wenig Zeit auf der Insel, nutzten ihre Häuser nur zu Ferienzwecken und gingen in Deutschland weiter Arbeit und Alltag nach. „Es gibt definitiv Ausnahmen, aber viele sind nur wenig gewillt, sich in die mallorquinische Gesellschaft zu integrieren. Sie tun der Insel gut, da sie kaufkräftig sind, aber in sozialer Hinsicht leben sie oft in einer Parallelwelt“, so der Makler. Das gelte auch für so einige Promis, die sich in den Kreis der Insel-Fans einreihen und ein Domizil auf Mallorca erwerben.

4) Die Ruheständler

Es ist der Klassiker: nach dem Einstieg in den Ruhestand der Heimat den Rücken zukehren, um den Lebensabend unter Mallorcas Sonne zu genießen. Oft sind die Gefühle dahinter ähnlich wie die der Mallorca-Schwärmer. Nur, dass sich Senioren in der Regel zunächst einmal keine Sorgen darüber machen müssen, wie sie ihr Leben auf der Insel finanzieren können. „Sie müssen hier nur eine Wohnung finden, und fertig. In der Hinsicht haben sie es deutlich einfacher als jüngere Auswanderer“, so Eva Maria Risse, die auch durch ihre Wasseraufbereitungs-Firma Aguaris viel Kontakt zu deutschen Auswanderern hat. Doch auch hier läuft es oft weniger glatt als geplant. „Probleme tauchen erst später auf, beispielsweise, wenn der Lebensgefährte krank wird oder stirbt und man sich plötzlich einsam fühlt, weil man kaum Kontakte auf der Insel hat“, so Kirch.

Das bestätigt auch Klaus Friedrich, emeritierter Professor für Sozialgeografie an der Uni Halle-Wittenberg. Er hat sich in seinen Forschungen intensiv mit Altersauswanderern beschäftigt und um die Jahrtausendwende aufwendige Studien auf Mallorca betrieben. Er schätzt die Zahl der Altersauswanderer auf der Insel auf insgesamt etwa 30.000. „Die erste Welle, etwa von den 1960er-Jahren bis in 1990er hinein, bestand aus Menschen aus kleinen Verhältnissen, die sich entschieden, ihre Ersparnisse für die Auswanderung zu nutzen, auch deshalb, weil Mallorca preiswert war und sie die Lebenshaltungskosten von ihrer kleinen Rente bestreiten konnten. Viele kamen in Siedlungseinheiten unter.“

In den 90er-Jahren habe dann eine zweite Welle der Altersauswanderung eingesetzt, darunter diesmal viele Selbstständige, die noch kurz vor dem Ruhestand standen und von der Insel aus für Deutschland arbeiten konnten. „Sie leben schon etwas komfortabler, die meisten in touristischen Küstenorten.“ Laut der Studie haben mehr als vier Fünftel von ihnen zusätzlich einen Wohnsitz in Deutschland, nur zwei Fünftel seien das ganze Jahr über auf Mallorca. Oft geht es zur ärztlichen Behandlung nach Deutschland – auch, weil die Flugpreise deutlich gesunken sind.

„Zwei Drittel sagten in unseren Befragungen, sie wollen für immer bleiben, aber in der Realität gibt es doch eine große Rückwanderung.“ Sei es, weil die Ersparnisse aufgebraucht sind, sei es, weil der Lebenspartner gestorben ist. „Viele sind darauf nicht vorbereitet und integrieren sich wenig oder kaum auf der Insel.“ Laut der Stiftung Herztat liegt die Zahl der Auswanderer, die im Alter regelrecht verwahrlosen und zu sozialen Notfällen werden, im vierstelligen Bereich. Von Rentnern, die nicht alle Verbindungen nach Deutschland gekappt haben, ziehen etwa die Hälfte zurück, bevor sie zum Pflegefall werden.

5) Die Lebemänner und -Frauen

Raus aus dem leistungsorientierten Deutschland und auf nach Spanien, wo man vorwiegend siesta machen kann. Nicht wenige Menschen wandern mit dieser Idee im Kopf nach Mallorca aus. „Manche sagen sich: Ich habe genug, ich will das Leben genießen und mehrere Gänge zurückschalten“, so Liebscher, der über Business de Baleares mit vielen Unternehmern zu tun hat, die so denken. „Häufig ist es allerdings ein Trugschluss. Entweder sind sie so gut, dass sie eh viele Aufträge haben und schnell wieder im Hamsterrad sind. Oder sie sind nicht so gut und müssen dann eher mehr arbeiten, um sich hier über Wasser zu halten“, so Liebscher. Meist bedeute es, den eigenen Lebensstandard herunterzufahren. Einige nähmen das in Anbetracht eines Lebens im milden Klima und dem Mittelmeer vor der Tür aber gern in Kauf.

6 ) Die Glücksritter

„Es gibt ohne Ende Glücksritter, Menschen, die ohne angemessene Vorbereitungen auf die Insel kommen“, so Eva Maria Risse. Auch sie lassen sich bei ihrer Entscheidung für die Auswanderung wie die Mallorca-Schwärmer von ihrer Begeisterung für die Insel leiten, stechen aber dadurch hervor, dass sie jegliche Vorbereitung versäumen. Risse: „Sie unterschätzen den Schritt, gehen zu blauäugig an die Sache heran, denken, dass hier alles einfacher ist, und merken erst vor Ort, dass man sich auch hier der Realität stellen muss.“

Häufig seien in dieser Gruppe weniger Fachkräfte zu finden, dafür umso mehr halbseidene Persönlichkeiten. „Die Probleme kommen dann zwangsläufig“, so Risse. Oft ohne Startkapital oder durchdachte Businesspläne versuchen die Glücksritter, Fuß zu fassen. Oft scheitern sie. „Während die Auswanderung oft laut vonstattengeht, geschieht die Rückwanderung häufig im Stillen“, so Doris Kirch. Sie hat aber auch beobachtet, dass die Glücksritter in letzter Zeit weniger geworden sind. „Seit der Pandemie planen die Menschen langfristiger, immer mehr Menschen suchen meine Beratung und stellen konkrete Nachfragen an, bevor sie übersiedeln.“

7) Die Aussteiger und Neustarter

Jeder, der nach Mallorca auswandert, läuft vor etwas davon? „Nein, ganz sicher nicht. Außer vielleicht vor dem deutschen Klima“, so Risse. Und doch ist die Auswanderung bei manchem Einzelfall nicht ein lange gehegter Wunsch oder eine zufällige Begebenheit, sondern Folge konkreter Probleme in der Heimat – eine Trennung, ein Todesfall, Jobverlust, vielleicht sogar Konflikte mit dem Gesetz. „Einige Probleme kann man zurücklassen, andere, wie psychische Leiden oder Schulden, aber nicht“, so Kirch.

Manche nutzen den Umbruch, um gänzlich neu zu starten und ihr Leben komplett auf den Kopf zu stellen. So mancher Unternehmer, der nach Mallorca kommt, wolle am neuen Ort noch einmal etwas ganz Neues ausprobieren, hat Markus Liebscher beobachtet. „Der Banker mit Burn-out beispielsweise, der sich in einen Biobauern verwandelt“, meint Risse. „Das kann gut gehen – doch auch hier ist die Herangehensweise entscheidend. Man braucht eine gewisse Disziplin und Konsequenz.“ Die Auswanderung erscheint als Flucht nach vorne. Häufig müssten diese Personen beruflich zunächst kürzer treten, so Doris Kirch. „Bei den meisten ist ein beruflicher Neustart keine Frage von Wollen, sondern von Müssen.“