Wenn Mar Bauzá Juárez in die Bluse (gipó) schlüpft, sich die Leinenschürze (devantal) über den bodenlangen Rock bindet und das Kopftuch (rebosillo) am Kinn zuknöpft, sodass nur noch ein paar Zentimeter ihres Haaransatzes zu sehen sind, dann wirkt die moderne junge Frau plötzlich ganz anders. In sich ruhend, geerdet. „Es ist keine Verkleidung. So zogen sich unsere Vorfahren an, es sind unsere Trachten. Ich fühle mich mit ihnen verbunden. Das ist keine Rolle, die ich spiele, sondern ein Gefühl“, sagt Bauzá. Ein Gefühl, das jährlich zum traditionellen Spektakel „Es Firó“ am Montag (9.5.) ganz Sóller erfasst. Nach mehr als zwei Jahren Corona-Pause ist es das erste große Volksfest, das auf Mallorca wieder stattfinden kann. Tausende werden erwartet – unter Auflagen, die allerdings nichts mit der Pandemie zu tun haben.

Als Mar Bauzá das erste Mal im vestit de pagesa zum Es Firó ging, war sie 14 Jahre alt. Mittlerweile ist sie 35. „Aber es ist immer noch derselbe Rock, den meine Großmutter mir damals genäht hat“, sagt sie. Ihre Großmutter, mit der sie auch als Kind schon mit ansah, wie die mutigen Bauern jedes Jahr aufs Neue den Angriff der Piraten auf die Stadt abwehrten.

Prioritätenwechsel für einen Tag

In ihrem Alltag arbeitet Bauzá als Rezeptionistin in einem Hotel in Port de Sóller, steht ganz im Dienst der Gäste, die das idyllische Städtchen in Scharen besichtigen. Längst dreht sich in Sóller und dem zugehörigen Hafenort alles um die Urlauber. Das mag mit ein Grund dafür sein, warum die jüngere Generation sich stärker mit den Feierlichkeiten identifiziert als die Vorgängergeneration. Warum sie mehr zu den Wurzeln strebt. „Meinen Eltern hat Es Firó nie so viel bedeutet wie mir oder meinen Großeltern“, sagt Mar Bauzá.

Stets am Montag nach dem zweiten Maiwochenende ändert die Dorfgemeinschaft ihre Prioritäten. Dann stehen für einen Tag nicht mehr die Urlauber im Vordergrund, sondern die eigene Geschichte. Und die ist zugegebenermaßen alles andere als langweilig. Nachgespielt wird eine Schlacht der moros y cristianos (Mauren und Christen), die darum kämpfen, wer in Sóller das Sagen hat. Es war am 11. Mai 1561, als die sollerics feindliche Schiffe erspähten. Piraten aus der Türkei, die in das Tramuntanadorf einfallen wollten. Der Legende zufolge gelang es an jenem Tag 400 unerschrockenen Bauern, unter der Führung des mutigen Capità Angelats, den Angriff der 1.700 kampferprobten Piraten abzuwehren. Und so wird es noch heute nachgespielt. Jahr für Jahr gewinnen dieselben, Jahr für Jahr werden die gleichen Schauplätze als Kulisse benutzt und die gleichen alten Dialoge nachgesprochen.

A la lluita sollerics, a la lluita amb valentia, a combatre i a vèncer a tota la moreria“ („Auf in den Kampf, Bewohner von Sóller, auf zum Kämpfen und zum Siegen, gegen die ganze Maurenschaft) – schon wenn Mar Bauzá diese Worte, mit denen Capità Angelats die Schlacht eröffnet, nur im MZ-Gespräch rezitiert, wird ihre Stimme brüchig. „Es bewegt mich einfach sehr, das ist tief verankert. Ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann“, sagt sie. Vielleicht weil sich in der Regel alle wichtigen Akteure bei dem Spektakel schon ihr Leben lang kennen. Vielleicht weil der Drang nach etwas Eigenem immer größer wird, je mehr sich die Stadt dem Tourismus hingibt.

Die mutigen Frauen

Mehrere Kampfhandlungen gibt es bei Es Firó, zunächst am Strand in Port de Sóller, wo die Bauern unterliegen, dann in Sóller selbst, wo sie die Angreifer schließlich abwehren. Und die Frauen? „Ursprünglich waren sie nicht auf der Straße, sondern versteckten sich in ihren Häusern“, so Mar Bauzá. Das ist heute anders. „Wir sind dabei, feuern die Männer an, unterstützen.“ Neben besagtem Capità Angelats und dem Piratenkönig gehören auch zwei Frauen zu den historischen Hauptpersonen: les valentes dones, die mutigen Frauen. „Es handelt sich um die Casesnoves-Schwestern. Sie sollen damals furchtlos einen Piraten, der in ihr Haus eindringen wollte, mit einem Holzbalken erschlagen haben“, so Mar Bauzá. Jedes Jahr repräsentiert ein anderes Duo die mutigen Frauen. Mar selbst hatte 2014 mit ihrer Cousine ihren großen Auftritt. Auch 2022 ist sie nah am Geschehen: Ihre Schwester und eine andere Cousine wurden 2020 als dones valentes auserkoren, wegen Corona ist nun erst am Montag (9.5.) ihr großer Tag.

„Man hat zahlreiche Aufgaben zu erledigen, ist Teil des Geschehens. Es ist eine große Ehre, das vergisst man nie“, schwärmt Mar Bauzá. Bis ins kleinste Detail erinnert sie sich noch an die Abläufe, die mit den Jahren nur geringfügig angepasst werden. Dafür, dass immer alles glatt läuft, sorgen die drei Bürgerkollektive, die die Organisation von Es Firó gemeinsam mit dem Rathaus stemmen: das Piratenkollektiv, das Bauernkollektiv und das Bäuerinnenkollektiv. Gar keine leichte Aufgabe – „Es Firó“ ist schon lange über die Ortsgrenzen hinweg ein angesagtes Fest.

Viele, gerade junge Leute von außerhalb kommen, um sich zu betrinken, dabei hat das rein gar nichts mit der Idee von Es Firó zu tun“, so Mar Bauzá. Sie befürwortet eine Höchstgrenze an Besuchern. 2019 hatte das Rathaus sie erstmals festgelegt. 7.500 Menschen, mehr sollten nicht an der finalen Schlacht vor der Kirche in Sóller teilnehmen. „Das war eine gute Entscheidung. Vorher haben sich dort mehr als 10.000 Menschen auf einmal gedrängt, dabei geht der Geist des Festes verloren“, findet Bauzá. Im allgemeinen Gewusel habe sie einmal gar ein Auswärtiger aufgefordert, wegzugehen, um anderen Platz zu machen. „Eine Unverschämtheit“, findet Bauzá.

Einlass limitiert

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In diesem Jahr werden 8.000 Armbänder ausgegeben, die als einzige gültige Eintrittskarte gelten, 3.000 davon für unbeteiligtes Publikum. Vorrang haben aber zunächst alle, die in Sóller oder Fornalutx gemeldet sind. Auswärtige können sich im Rathaus nur um die wenigen Restplätze bemühen.

Realistischer – und für Anfänger vielleicht auch ganz ratsam – ist es, das wilde Spektakel zunächst auf dem Regionalsender IB3 anzusehen, der am 9. Mai live überträgt. „Wer unbedingt vor Ort mit dabei sein will, dem rate ich, am Montagmorgen um 10 Uhr zum Gedenkmoment an den Kreisverkehr zwischen Sóller und Port de Sóller zu kommen. Da sind alle historischen Persönlichkeiten vertreten, es ist nicht so voll und doch ein besonderer Moment“, sagt Bauzá. Oder man schaut an den anderen Tagen in Sóller vorbei. Schon seit Donnerstag (5.5.) findet die jährliche fira mit Märkten, Ausstellungen, Bühnenprogramm und Kinderspaß statt. Mehr Infos auf ajsoller.net