Wässriger Milchkaffee in viel zu großen und viel zu teuren Tassen. Labbriges Rührei. Die Mutter, die einen in Schulzeiten zwang, zu unmenschlich früher Stunde einen halben Toast hinunterzuwürgen, weil „das Kind doch etwas essen muss“. Frühstück in Deutschland weckt mitunter unangenehme Erinnerungen. Umso mehr ist die Kultur des desayuno in Spanien (und auf Mallorca) eine zivilisatorische Errungenschaft, die man nicht genug preisen kann.

Der Reiz besteht weniger in der Auswahl und Menge der dargebotenen Speisen, sondern vielmehr im Preis-Leistungs-Verhältnis: Wer für einen Kaffee und eine mit Liebe angerichtete tostada con tomate mehr als 3,50 Euro bezahlt, macht bei der Wahl des Lokals etwas falsch. Noch viel wichtiger aber ist die psychologisch-soziale Komponente der Einkehr in einer ganz normalen, bodenständigen Bar in Palma. Das 2 Terres am Platz mit dem Obelisken ist eine solche Bar. Sie soll hier stellvertretend für alle Orte gewürdigt werden, an denen man schon beim zweiten Besuch gefragt wird, ob man wieder einen café con leche möchte, und wo der Tischnachbar einem freundlich die ausgelesene Zeitung anbietet.

Die meisten Gäste im 2 Terres bestellen Croissants. Nele Bendgens

Stammgäste schätzen den persönlichen Kontakt

Der Name 2 Terres (2 Länder) kann katalanisch oder französisch gelesen werden – der Straßburger Eric Strobel (51) übernahm die traditionelle Bar vor zehn Jahren, taufte sie neu und schmeißt den Laden seither mit seiner reizenden Nichte Amandine Gaudy (32). Im Viertel sind sie bestens integriert und legen viel Wert auf persönlichen Kontakt: „Deshalb kommen die Leute immer wieder. Sie danken es uns“, sagt Strobel. So schenkte etwa ein Franzose Gaudy zum Namenstag Blumen. Einer der vielen Frühstücksstammgäste ist der Besitzer des legendären Burger-Ladens El perro lechero, ein Nachbar und guter Freund.

Serviert werden in der Bar unter anderem ensaïmada, hausgemachte magdalenas, kleine belegte Brötchen (pulgas) und die bei den Gästen sehr begehrten, saftigen und buttrigen Croissants. Auf die freuen sich Margarita (73) und Ana (68) schon seit Stunden. Die herzigen Seniorinnen wohnen in der Nähe, halten sich mit Pilates und Yoga fit und plappern munter durcheinander: „Wir gehen dreimal die Woche zum Sport und gönnen uns danach einen Kaffee und ein desayunito.“ „Schon der Gedanke an das kleine Frühstück motiviert uns dabei!“ „Ich weiß genau, was ich will: Kaffee mit Sojamilch und ein Croissant.“ „Das ist beides so lecker!“ Schon kurz darauf bekommen die Rentnerinnen Gesellschaft am Tisch von vier weiteren Freundinnen. Trotz Sonne und Temperaturen über 20 Grad sitzen sie lieber drinnen – das sei „kuscheliger.“

Rüstige Seniorinnen: Margarita und Ana sind dreimal pro Woche zum Frühstücken hier. Nele Bendgens

Geborgen wie im stillen Auge des Sturms

Strobel hat die hiesige Frühstückskultur verstanden: „Den Spaniern gefällt es einfach, in die Bar zu gehen – ob für das abendliche Bier oder das morgendliche Frühstück“, sagt der Elsässer. Und recht haben sie damit. Statt in den eigenen vier Wänden fühlt man sich dort nicht eigenbrötlerisch abgeschottet von der Welt, sondern geborgen wie im stillen Auge des Sturms aus täglichem Wahnsinn.

Wer plauschen will, plauscht, wie die ORA-Kontrolleurin, die ein wenig bei der Kellnerin verweilt. Wer die Gedanken schweifen lassen und Menschen beobachten will, hat immer etwas zu gucken (ist der weißhaarige Herr am Tresen vielleicht ein Philosoph?). Und wer Ruhe genießen und lesen will, wie die Optikerin María Ángeles auf der Terrasse, kann auch das tun: „Für mich ist das ein Moment der Entspannung, bevor die Arbeit losgeht“, sagt sie und nippt am koffeinfreien cortado.

Tankt Kraft für die Arbeit: María Ángeles.

Tankt Kraft für die Arbeit: María Ángeles. Nele Bendgens

Mallorquiner halten es wie die Hobbits

Viele Insulaner halten es wie die Hobbits und frühstücken zweimal: Erst zu früher Stunde einen Kaffee und ein süßes Gebäck, dann wird zu späterer Uhrzeit mit etwas Herzhaftem nachgelegt. So macht es gerade ein älteres Paar, das gemeinsam die Zeitung liest. Im 2 Terres fallen zwischen 11 und 12 Uhr stets Horden von Anzug- und Hemdenträgern aus nahe gelegenen Büros ein: Sie brauchen dringend eine Stärkung und machen in der Bar Pause – natürlich überwiegend drinnen.

Die 28-jährige Victoria aus Kanada, die draußen frühstückt, hat im September ihren Job geschmissen, ist auf Reisen und arbeitet ein wenig als Freelancerin. Derzeit kommt sie jeden Tag, zu später Uhrzeit, denn im nahe gelegenen Hostel bekommt sie nur wenig Schlaf. Eigentlich würde man Victoria mehr in einem Szene-Café verorten, wo man Chia-Bowls, Flat White oder pochierte Eier bestellt.

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Doch nein: „In diesen Hipster-Cafés hat man überall genau die gleiche Erfahrung – egal, wo auf der Welt man sich befindet. Ich entscheide mich immer für das Typische“, sagt sie. Gentrifizierung sei überall ein Problem, das kenne sie aus Toronto. Eric Strobel sieht es recht gelassen: In die Hipster-Läden könne man gar nicht jeden Tag hingehen, weil es dort so teuer ist. Er setzt konsequent auf das tägliche Brot.