Rolf Schulz (69) kommt aus Hamburg, Joan Rullàn (57) aus Deià. Beide haben sich der Bewirtschaftung riesiger landwirtschaftlicher Fincas in der Tramuntana verschrieben – wenn auch unter gänzlich unterschiedlichen Umständen. Während der deutsche Unternehmensberater erst 2016 beschloss, sich im Ruhestand als Tramuntana-Landwirt zu versuchen, kennt der mallorquinische Bauer keinen anderen Alltag.

Schulz investiert viel Geld in sein Projekt, hegt aber keine großen Gewinnabsichten. Rullàn dagegen kämpft jeden Tag um seine Existenz. Gemein ist beiden, dass sie mit Herzblut bei der Sache sind und einen wertvollen Beitrag zum Erhalt der Landschaft leisten.

Die Arbeit des Mallorquiners beginnt um 6 Uhr. Kühe, Schweine, Schafe, Maultiere, Pferde und Hühner wollen versorgt werden, jeden Tag. Danach fallen je nach Jahreszeit andere Aufgaben an. Getreide säen, ernten oder einfahren, Papierkram erledigen, Mandel- und Johannisbrotbäume pflegen. Sie sind die Haupteinkommensquelle auf Rullàns Finca Son Maixella.

Rund hundert Hektar gehören zum Gelände am Fuße der Tramuntana zwischen sʼEsgleieta und Valldemossa. Hinzu kommen rund 3.000 Quadratmeter Wohngebäude. Kein Tag vergeht, ohne dass Rullàn Dach ziegel ausbessern, Löcher im Zaun stopfen oder Maschinen  reparieren muss. Kurz: Es ist ein Knochenjob, der sich finanziell kaum rechnet. „Am Ende des Monats, wenn das Geld knapp wird, bereue ich es immer, mir das angetan zu haben. Aber gleichzeitig liebe ich die Arbeit und das Leben hier“, sagt Rullàn.

"Trotz aller Schwierigkeiten: Ich hätte mir keinen besseren Ort vorstellen können, um meine drei Kinder großzuziehen."

Dass es auf Son Maixella um eine Herzensangelegenheit geht, merkt schon, wer sich über den geschotterten Zufahrtsweg dem Wohngebäude nähert, vorbei an Mandelbäumen und mit Blick aufs Gebirge. Die possessió ist der Inbegriff von Idylle. Freilich: Nicht alles ist hier blitzblank, aber doch instand gehalten. Authentisch. Um 1900 erwarb der Großvater seiner Frau Carmen Cruellas das Anwesen, das damals schon seit vielen Jahrhunderten bestand. Auch die Mauern des Wohngebäudes spiegeln die lange Geschichte wider. Der Innenhof mit seinem Brunnen, der Sonnenuhr und den Schatten spendenden Bäumen versetzt jeden in Verzücken, der das bäuerliche Mallorca mag. „Hier veranstalten wir seit zehn Jahren Hochzeiten oder Kommunionsfeiern“, sagt Cruellas und zuckt mit den Schultern. „Damit können wir wenigstens die Steuern bezahlen. Wenn nicht grade eine Pandemie ist.“

„Vor 30 Jahren, als meine Frau das Anwesen geerbt hat, hätten wir es verkaufen können, es lag sogar ein Angebot vor. Mit dem Geld hätte ich nie wieder arbeiten müssen“, sagt Rullàn. Aber seine Frau war dagegen. Weil sie hier aufgewachsen ist, weil sie die Tramuntana und das Landleben liebt. „Trotz aller Schwierigkeiten: Ich hätte mir keinen besseren Ort vorstellen können, um meine drei Kinder großzuziehen“, sagt Carmen. Ihr Mann nickt.

Am Anfang stand Neugier

Auch Rolf Schulz ist Familienvater, siebenfacher sogar, und auch er hat in seinem Leben schwer gearbeitet – wenn auch mehr mit dem Kopf als mit den Händen. Es war vor allem die Neugier, die ihn in die Tramuntana trieb. „Ich habe Unternehmen zu Energiewirtschaft beraten und fand es reizvoll, selbst ein großes Landgut CO2-neutral aufzubauen.“ Nach seiner Verrentung 2006 machte er dies mit seiner Frau Heidi erst in einem Weingut in Südafrika wahr.

Einige Jahre später zog es die beiden in den Mittelmeerraum – wegen der leichteren Erreichbarkeit von Deutschland aus. Dass es letztendlich die Tramuntana wurde, war Zufall. „Wir waren auf der Suche nach einem Grundstück, das einsam genug liegt, um weit weg vom typischen Treiben auf Mallorca leben zu können“, so Schulz. Sie wurden fündig mit der Finca  Fartaritx, im Nirgendwo zwischen Pollença und Campanet. Ein altes Landgut, das der Vorbesitzer seit Jahrzehnten vor allem als Ablagestelle von Gerümpel nutzte. Die rund 200 Hektar Land waren seit den 1950er-Jahren nicht bewirtschaftet worden.

„Das erste halbe Jahr haben wir praktisch nur mit Entrümpeln verbracht“, so Schulz. Dann hieß es einzäunen zum Schutz vor den Ziegen. Für die Stromversorgung installierten sie Solarplatten und Turbinen, betrieben vom Wasser der Berge. Für das Trinkwasser bauten sie eine Leitung, die eine einen Kilometer vom Haus entfernte Quelle anzapft. Noch einmal Wein anbauen schlossen die Schulz aus – zu  viele Jahre brauche es, bis ein guter Tropfen sich wirklich vermarkten lasse. Letztlich ent schlossen sich die beiden, mit Heil- und Aromapflanzen zu experimentieren. Sie pflanzten Calendula, Echinacea, Thymian, Arnika und Edelweiß an und stellen Tees, Hydrolate und ätherische Öle her. „Uns war immer klar, dass wir damit keinen großen Gewinn machen können. Aber wir versuchen, Teile der anfallenden Kosten zu decken“, so Schulz. Zu jedem Zeitpunkt sei es ihnen nicht nur um ein idyllisches Heim im Grünen gegangen, sondern auch darum, die verwahrloste Landschaft  wiederzubeleben. Sie ließen alte Trockensteinmauern reparieren und befreiten verwilderte Olivenhaine von Wildwuchs.

Genau solche Maßnahmen seien es, die die  Tramuntana wirklich brauche, sagt Joe Halles, Vorsitzender der Vereinigung Tramuntana XXI. 93 Prozent der Tramuntana seien in Privatbesitz, ein Großteil davon verwahrlose. Eben auch, weil sich kaum noch jemand findet, der die harte und wenig rentable Arbeit auf sich nehmen will. Je besser die Tramuntana durch Menschenhand instand gehalten wird, desto mehr könne sie auch dem gerecht werden, was die UNESCO vor zehn Jahren für schützenswert befand. „All das, was wir an der Tramuntana so schätzen, ihre Terrassen, Mauern und Haine, sind von Menschenhand gemacht“, so Halles weiter. Ohne menschliches Engagement schreite die Verwilderung voran, und mit ihr die Gefahr vor Plagen und Waldbränden.

„Genau das haben viele Menschen verstanden, die von außerhalb kommen, und sich  ihren grünen Traum erfüllen wollen“, sagt Uta Werner. Die Deutsche half dabei, die Tramuntana-Marke Son Moragues aufzubauen und zu vermarkten. Mittlerweile ist sie als selbstständige Beraterin für Leute tätig, die wie Rolf Schulz erst vor vergleichsweise kurzer Zeit ein Tramuntana-Grundstück erwarben. „Es sind in der Regel keine Traumtänzer, sondern Menschen, die sich in die Landschaft verliebt haben und ihr etwas zurückgeben wollen“, sagt Werner. Festlandspanier, Mittel- und Nordeuropäer, die mit Wein oder Olivenöl etwas aufbauen wollen.

Auch Werner macht keinen Hehl daraus, dass dies nicht leicht sei und meist nur beschränkt rentabel. „Aber es kann sich dennoch lohnen.“ Ein Problem seien die niedrigen Preise, die man für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse bekomme. „Es ist wichtig, möglichst direkt an die Endkunden zu verkaufen, denn es gibt kaum Margen.“ Und auch die Mühlen der Bürokratie könnten so manch einen Neuling zum Verzweifeln bringen. Gerade in der Tramuntana, wo die Schutzauflagen hoch, teilweise sogar widersinnig seien. Oder, wie Rolf Schulz es formuliert: „Sehr viele Restriktionen machen die Arbeit unwirtschaftlich.“ Als Beispiel: Er wartet seit vier Jahren auf die Genehmigung, eine Scheune reparieren zu dürfen. Ihm gelang es nur mithilfe eines Netzwerks mallorquinischer Bekannter, sich einen Durchblick zu verschaffen und am Ball zu bleiben. „Genau das braucht es auch. Ohne den Kontakt zu Menschen von hier, die Expertisen auf verschiedenen Gebieten haben, kann man es kaum schaffen“, so auch Uta Werner.

Der Mallorquiner Joan Rullàn vermisst eben dieses Gemeinsam-an-einem-Strang-Ziehen, das er noch von früher kennt. Seine Frau hat miterlebt, wie immer mehr Landwirte in der Nachbarschaft von Son Maixella ihre Anwesen aufgaben, um im Tourismus zu arbeiten. Trotz seiner Verwurzelung bewirtschaftet das Ehepaar die Finca mit seinem 20-jährigen Sohn Salvador praktisch allein. Um über die Runden zu kommen, arbeitet Joan Rullàn zusätzlich als Verwalter zweier benachbarter Fincas. Und Carmen füllt das Familienkonto durch ihre Anstellung bei einer Autofirma auf. Die Zeiten, als noch 20 Mitarbeiter täglich auf dem Anwesen zu Mittag aßen, sind lange vorbei. Von der Politik fühlt sich die Familie im Stich gelassen. „Wir wollen keine Subventionen, die machen einen nur abhängig. Wir wollen unsere Produkte zu fairen Preisen verkaufen“, betont Joan Rullàn. Auch er versuche, seine Produkte möglichst ohne Zwischenhändler an die Endkunden zu verkaufen, was gar nicht leicht sei. Sohn Salvador soll mit seiner landwirtschaftlichen Ausbildung und einem Studium auf dem Festland frischen Wind in den Betrieb bringen. „Wir wollen doch, dass es hier weitergeht.“

Obwohl diese Existenzangst Rolf und Heidi Schulz fremd ist – sie leisten sich problemlos einen fest angestellten Mitarbeiter und greifen bei Herausforderungen auf lokale Experten zurück –, kennen auch sie den enormen Arbeitsaufwand. „Wenn man den ganzen Tag im Freien schuftet, merkt man das Alter schon irgendwann. Aber wir hatten auch nie die Vorstellung, den Ruhestand mit einem Buch im Liegestuhl zu verbringen. Und wir wollen ja hier etwas erschaffen“, sagt Rolf Schulz. Für sich selbst und für die Tramuntana. Letztlich klingt er dabei doch ganz ähnlich wie Joan Rullàn.