Übernächtigt, blass, sorgenvoll. Als die MZ Mateu Puigròs am 11. Oktober 2018 an der Ortseinfahrt von Sant Llorenç traf, mit Gummistiefeln und schlammbespritzter Hose, war der Bürgermeister vor allem eins: ein Mensch, den die Flutkatastrophe zutiefst schockierte. Rund 300 Häuser waren damals am Vorabend in seinem Gemeindegebiet überflutet worden, insgesamt 13 Menschen im Umkreis ertranken. Es war der Tiefpunkt in all den 26 Jahren als Gemeindeoberhaupt. Und einer der wenigen Momente, in denen der sonst oft reserviert, ja grimmig wirkende Mann auch in der Öffentlichkeit Gefühle zeigte. Am vergangenen Samstag (20.11.) hat Puigròs sein Amt niedergelegt. Doch er geht noch nicht ganz.

Der Kontakt mit Puigròs ist ein bisschen wie russisches Roulette. Erwischt man einen guten Tag, ist er gesprächig und auskunftsfreudig. An anderen wirkt er hart wie eine Wand. „Gehen Sie einfach ein Stück in den Ort hinein, immer geradeaus, dann bekommen Sie Eindrücke von dem Schrecken. Da wird sie keiner der Sicherheitskräfte aufhalten“, gab Puigròs der Reporterin an jenem Tag eins nach der Flutkatastrophe als entscheidenden Tipp in all dem Chaos aus Schlamm und Zerstörung mit auf den Weg. Auch Tage später zeigte sich Puigròs kooperativ. Erklärte geduldig, wie die ersten Aufräumarbeiten laufen, schwärmte von der Solidarität der Bürger.

Mateu Puigrós in seiner Anfangszeit in der Politik Archiv

Er kann auch anders klingen. Mehrmals in den vergangenen Jahren ließ der Mallorquiner die MZ trotz vorher vereinbarter Interviewtermine gern mal gut anderthalb Stunden warten. Einmal – im Wahlkampf 2019 – kam er dann aus dem Rathausgebäude gehastet, das Handy am Ohr, und wimmelte nur kurz ab. „Heute klappt es nicht. Ein andermal.“ Keine Entschuldigung, keine Erklärung.

Nein, Mateu Puigròs ist nicht durchweg als Sympathieträger zu bezeichnen. Und erst recht nicht als jemand, der sich viel daraus macht, wie er auf die Öffentlichkeit wirkt. Er lächelt selten, gibt sich in Gesprächen oft brüsk. Auch der Sieg seiner Partei war nicht das Wichtigste. Seit 1995 war Puigròs Bürgermeister, doch nicht einmal in all der Zeit erlangte seine Partei Grup Independent de Son Carrió (GISC) die absolute Mehrheit. Mehr am Herzen liegen Puigròs offenbar die Anliegen der Bürger. Ständig bleibt er beim Gang durchs Dorf stehen, spricht mit den Marktverkäufern, den Einzelhändlern, zufällig vorbeikommenden Passanten. Er biedert sich nicht an, doch er hört zu. Er ist immer in Bewegung und doch meist genau da, wo es drückt.

An diesem Donnerstag (18.11.), bei seinem letzten MZ-Interview im Amt, haben wir Glück. Puigròs ist sogar überpünktlich, nimmt sich Zeit, geht auf Fragen ein – zumindest auf diejenigen, die seinen Aufgabenbereich betreffen. Persönliche Fragen – „Mein Alter? Das interessiert doch nicht. Jahrgang 1956, aber das muss man doch nicht schreiben“ – blockt er knapp und ohne Augenzwinkern ab. Bei politischen Fragen kommt er in Fahrt. „Lokalpolitik ist etwas Dynamisches. Man kommt als Bürgermeister nie an den Punkt, dass man sagen kann: Jetzt habe ich alles geschafft. Es kommen immer wieder neue Bedürfnisse der Anwohner auf den Tisch, immer wieder neue Themen. Nach jeder Legislaturperiode resümiert man: Das haben wir geschafft, das nicht. Und so wird es immer sein, egal, wie lange man im Amt ist.“

Mehr Erfahrung darin als er hat niemand auf den Balearen. Kein anderer Bürgermeister war ohne Unterbrechung 26 Jahre lang im Amt. Sein Erfolgsgeheimnis? Er schüttelt knapp den Kopf. „Da gibt es kein Geheimnis. Wir versuchen, immer Konsens zu finden.“ Wir. Puigròs sah sich nie als die große Hauptperson. Nur als den Koordinator eines durchmischten Regierungsteams, das immer wieder versuchte, die verschiedenen politischen Stimmen im Ort konstruktiv zu vereinen.

Als Mateu Puigròs erstmals mit Politik in Kontakt kam, Ende der 1970er-Jahre, da war die Demokratie nach der Franco-Diktatur gerade erst aus der Wiege gehoben. „Wir waren eine Gruppe aus Son Carrió, junge Leute voller Tatendrang. Wir hatten den Eindruck, dass man nur etwas für den Ort erreichen kann, wenn man eine lokale Organisation gründet und sich nicht an größere Parteien dranhängt“, erinnert sich Puigròs.

Es war die Geburtsstunde von GISC. Bald zog er als Ratsherr in Koalition mit der regierenden PSOE ins Rathaus ein. 1995 wurde die GISC stärkste Partei und Puigròs Gemeindeoberhaupt. Und so ging es alle vier Jahre. „Wir mussten immer paktieren.“ Meist mit der linksgrünen PSM (heute: Més) oder der sozialistischen PSOE. Nur einmal mit der konservativen PP. „Wir sind Mitte links, so war es schon immer.“ Klar, ständig Kompromisse finden zu müssen sei anstrengend. „Aber Sant Llorenç ist nun mal eine vielfältige Gemeinde, mit den ländlichen Orten Son Carrió und Sant Llorenç im Inselinneren und den touristischen Küstenorten Cala Millor, Sa Coma und S’Illot. Da geht es nicht ohne Konsens.“

Vieles hat sich verändert in 26 Jahren. Die Bevölkerung wuchs von rund 5.000 auf mehr als 8.000 Personen. Puigròs ist stolz auf die neue Kläranlage, die exzellente Trinkwasserqualität verspricht. Auf kulturelle Errungenschaften wie den Bau des Auditoriums Sa Màniga in Cala Millor und des Kulturzentrums Espai 36 in Sant Llorenç. Auf ein Tagespflegezentrum und darauf, dass bald eine Seniorenresidenz am Camp Vell entstehen wird. Die Unterschrift dazu war seine letzte Amtshandlung. „Das sind alles nicht meine Errungenschaften, das ist Teamarbeit“, betont Puigròs noch einmal. Und man glaubt es ihm.

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Das Teamworking geht weiter, Puigròs tritt nur in die zweite Reihe. Seit Samstag (20.11.) regiert nun Pep Jaume als neuer Bürgermeister. Der Sozialist ist seit 2004 Ratsherr in der Gemeinderegierung – immerhin auch schon 17 Jahre. Puigròs wird die letzten anderthalb Jahre der Legislaturperiode weiter mit an Bord sein. Und dann? Von seinem Beruf als Berater bei einer Kreditgesellschaft dürfte er sich in mehr als zwei Dutzend Jahren reichlich entfernt haben. „Was soll dann schon kommen? In anderthalb Jahren kann einiges passieren“, weicht Puigròs aus. „Aber als Bürgermeister trete ich sicher nicht mehr an, schreiben Sie das ganz deutlich.“

Puigròs mag kein Sympathieträger sein, doch er ist beliebt. Am Samstag würdigten seine Parteifreunde ihn mit einer Überraschungsparty in Son Carrió. Das halbe Dorf kam. Es ist Anerkennung, die er nie gesucht haben mag – und die er sich doch verdient hat.