Finden da gerade Bauarbeiten statt? Ein rhythmisches, glockenhelles Klong, klong, klong tönt durch den ehemaligen Kirchenraum der Església de la Mare de Déu dels Àngels. Eisen trifft auf Stein, Hämmern, Scharren, dann stumpfe Schläge. Die Geräusche kommen aus Richtung Altar und lassen sich schließlich unter einem Tisch in der Mitte des Raums orten. Statt Bauarbeitern findet sich dort ein Lautsprecher. Er sorgt für die passende Geräuschkulisse der Ausstellung – eine knapp 14-minütige, mit ruhiger Hand komponierte Soundlandschaft, die in der Schau in Dauerschleife läuft und die Arbeit eines Steinhauers akustisch beschreibt. Die trencadors machten über Jahrzehnte das Wesen von Arenal aus – jenen Ort im Osten der Playa de Palma, den heute alle nur noch als Hotspot des Massentourismus abgespeichert haben.

Den Steinhauern kann man sich auf verschiedenen Ebenen nähern. Da ist die technische Ebene, Werkzeuge mit Namen wie tallant, càvec oder galga, die auch katalanischen Muttersprachlern nicht unbedingt geläufig sind. Da ist die geologische Ebene, die Transformation der Küstenlandschaft durch riesige Steinbrüche. Und da ist die historische Ebene, der Wandel eines Berufsbilds durch Eisenbahn, Bürgerkrieg und wirtschaftlichen Fortschritt.

Die Aufnahme von 1952 zeigt einen Steinhauer im Gebiet von Son Sunyer vor einer Vorrichtung zum Heben der massiven Blöcke. | FOTO: ANDREU NEGRE ESTARELLAS

Vor allem aber gibt es eine menschliche Ebene. Dídac Martorell spult ein Video auf Anfang, ein Beamer wirft es an die Kirchenwand. Zu sehen ist der frühere Steinhauer Martí Salvà, der für die Ausstellung noch einmal zu Keil und Meißel gegriffen hat. „Trotz seiner 92 Jahre wollte er sich keinen Moment ausruhen“, sagt Martorell, ein 28-jähriger Katalanisch-Philologe, der zusammen mit der Architektin Catalina Salvà die Inhalte für die Ausstellung erarbeitet hat. Ohne Unterlass bearbeitet der ergraute Senior in dem Video den rohen Marès-Stein, klopft, spaltet und glättet das Material, bis sich ein fertiger Werkstein herausschält. „Lebendige Erinnerung einer Landschaft, eines Handwerks und eines Volks“ lautet denn auch der Untertitel der Ausstellung. Die trencadors, sie sind ein Stück verschüttete Identität von Arenal, die Schritt für Schritt wieder ausgegraben wird.

Schon von klein auf musste mit angepackt werden: eine Gruppe von Steinhauern im Gebiet von Son Bosc in Ses Cadenes auf einer undatierten Aufnahme. | FOTO: ARXIU DE MARGALIDA RIGO BOVER

Die Steinhauer waren schon hier, bevor es überhaupt eine Siedlung gab. Dokumentiert ist ihre Tätigkeit bis zurück ins 14. Jahrhundert. Der Marès, wie Mallorcas typischer Kalkstein heißt, findet sich vor allem an der Südküste. Im Raum Santanyí mag zwar die Qualität am höchsten sein, südlich von Llucmajor und nahe bei Palma aber gab es die größten Vorkommen. Die Arbeit der trencadors in Arenal war so bedeutend, dass sie sich Anfang des 17. Jahrhunderts von ihrer Zunft in Palma abspalteten und 1663 sogar eine eigene Zunft der Marès-Steinhauer bildeten. Noch heute erhalten sind Ruinen von Baracken, die sie damals unter der Woche bewohnten, um von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu arbeiten und erst am Wochenende nach Palma zurückzukehren.

Dann kam die Eisenbahn

Während anderswo in Europa der Erste Weltkrieg tobte, stand Mallorca im Zeichen des wirtschaftlichen Fortschritts. Zwischen 1913 und 1917 entstand die Eisenbahnlinie Palma–Santanyí, und von nun an konnten die Marès-Blöcke nicht nur mit Karren oder Schiffen, sondern auch mit dem Zug abtransportiert werden. Erst jetzt wurde der Ortsteil Ses Cadenes geboren, benannt nach den Ketten, die den Bahnübergang sicherten. Landgüter wie Son Sunyer wurden parzelliert, entlang der Carretera Militar, die das Dorf s’Aranjassa mit der Festungsanlage von Cap Enderrocat verband, siedelten sich die Steinhauer mit ihren Familien an.

„Man hatte hier mit der Kirche nichts am Hut, und auch die Adligen hatten wenig zu sagen“, erklärt Martorell. Die kleine Kirche, die die Ausstellung beherbergt und seit einigen Jahren entweiht ist, sollte erst viel später im Jahr 1945 gebaut werden. So verwundert wenig, dass Ses Cadenes in den 1930er-Jahren eine Hochburg der Sozialisten und Kommunisten war. Hier bildeten sich Kooperativen, und es wurde zu Streiks aufgerufen, bevor dann im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) die Repression einsetzte: Wie überall auf Mallorca nahmen die Franco-Schergen auch in Arenal die meisten Anführer des republikanischen Lagers fest. Viele von ihnen wurden ermordet und anonym verscharrt.

Das politische Drama veränderte auch die Arbeit in den Steinbrüchen. Wo die Männer fehlten, mussten verstärkt die Frauen und die Kinder die harte Arbeit verrichten, nachdem sie schon bisher bei Transport- und Säuberungsarbeiten mitgeholfen hatten. Schon Siebenjährige packten mit an, wovon escodres im Kleinformat zeugen – eigens für Kinderhände maßgefertigte Spitzhacken.

Selbst Steinblöcke heben

Um die schweren Steine überhaupt transportieren zu können, kamen Techniken zum Einsatz, wie sie auch eine in der Schau nachgebaute Hebevorrichtung zeigt. Ein Seil ist um einen schweren Steinblock am Boden gewunden und wird auf einem Rundbalken aufgewickelt, der darüber auf zwei Säulen aus Steinblöcken ruht. Dank eines weiten Achsenrads lässt sich der Balken leichthändig drehen – der Steinblock wird in die Höhe gehievt. Wie wenig Kraft das kostet, probiert nicht nur eine Gruppe Ausstellungsbesucher begeistert aus.

Die Härten der Bürgerkriegsjahre sollten sich auch in der Nachkriegszeit ab 1939 fortsetzen: Die Wirtschaftskrise erfasste das Bauwesen, die Nachfrage nach Baumaterial lag darnieder. Als dann die Wirtschaft endlich wieder anlief, veränderte sich auch die Arbeitsweise: Anfang der 1950er-Jahre hielten die ersten Maschinen Einzug. Bislang waren die trencadors nicht nach Arbeitszeit, sondern nach Ergebnis in Form einer carretada bezahlt worden: Die imaginäre „Schubkarre“ konnte sich zusammensetzen aus Steinblöcken verschiedener Stärken, wie sie in der Ausstellung aufgereiht sind. Es waren Standardmaße mit klingenden Namen wie gruix de vint (20 Zentimeter), gruix de rei (25) oder gruix d’emperador (30). Jetzt aber, mit der Mechanisierung, hielten feste Arbeitszeiten wie in einer Fabrik Einzug.

Und auch ein in Deutschland gefertigter Werkstoff fand in Arenal Verwendung: Widia, Handelsname für ein von der Friedrich Krupp AG patentiertes Hartmetall, kam bei den Schneidköpfen der Metallfräsen zum Einsatz. Die Abkürzung Widia („wie Diamant“) hebt auf die Härte des Materials ab. Im Mallorquinischen wurde daraus vídria. Das Wort gebe es eigentlich gar nicht, erklärt Martorell, aber es klang nun mal so ähnlich wie vidre (Glas).

Nach und nach lösten die Maschinen die Handarbeit ab. Wo der Stein zuvor entlang seiner natürlichen Schichten abgetragen wurde – der Marès ist schließlich ein poröses, zerbrechliches Material – und sich die Steinbrüche in die Landschaft einschmiegten, konnten nun pedreres senkrecht in den Boden getrieben werden. Aus den trencadors wurden somit die maressers, die in erster Linie die nun entlang von Führungsschienen manövrierten Fräsen bedienten.

Für die bald nicht mehr benötigten Handwerker taten sich gleichzeitig neue Jobs auf: Der Tourismusboom nahm seinen Anfang, die im Umkreis entstehenden Hotels und Restaurants brauchten Mitarbeiter. Seit 1986 durchtrennt der Autobahn-Zubringer Ma-6014 von der Ausfahrt 13 in Richtung Cap Blanc die Steinbrüche. Einige wurden zugeschüttet, andere zugebaut, und da Marès im ebenen Gelände abgetragen wird, sind die pedreres ohnehin kaum auszumachen.

Dass die turistas die trencadors aber nicht völlig verdrängt haben, wird zumindest auf den zweiten Blick klar. Zahlreiche Straßennamen in Ses Cadenes erinnern an das Erbe, genauso wie Theaterstücke oder Aktionen wie ein Steinschlepp-Wettbewerb zum Dorffest. Der Seniorenclub trägt den Namen der trencadors, der Ort hat ein neues Maskottchen, den Maresset: Wo sonst schon verkleiden sich Kinder zum Karneval als freundlich winkende Marès-Steine?

Die Ausstellung (auf Katalanisch) der Balearen-Universität in Arenal ist bereits zu Ende, aber auch online zu besichtigen: 

blocs.uib.cat/trencadors