„Schuster“ stand einst, in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren in großen Lettern außen auf der Schuhwerkstatt am Hafen von Cala Ratjada. „Lange wusste ich gar nicht, dass das Deutsch ist und erst recht nicht, was es bedeutet“, erinnert sich Yolanda Izquierdo und lacht ihr sympathisches Lachen. Damals, als Kind, konnte die fröhliche Mallorquinerin natürlich auch noch nicht ahnen, dass sie selbst einmal das Unternehmen als Mitinhaberin maßgeblich vorantreiben würde. Und erst recht nicht, dass es ihr Einfallsreichtum sein sollte, der das Familiengeschäft souverän durch zwei Krisen steuern und es bei deutschen Urlaubern immer beliebter machen würde.

Sie war 16, als sie mit Argos Cavaller, dem Sohn der Gründer, anbandelte. „Mein erster Freund, und wir sind uns immer noch nicht davongelaufen“, sagt Izquierdo und blinzelt ihren Mann gut gelaunt an. Die beiden wirken wie eines dieser Paare, die sich in- und auswendig kennen und zwischen denen es trotzdem noch knistert. Und das, obwohl die beiden eine 17-jährige Tochter haben und praktisch jeden Tag miteinander verbringen. „Wir sind zwar ein gutes Team. Aber eigentlich macht auf der Arbeit jeder sein Ding und funkt dem anderen nicht rein“, stellt Yolanda Izquierdo klar. Das zeigt schon die Aufteilung der Arbeitsgeräte in der Werkstatt hinter dem Verkaufsraum gegenüber der Kirche von Cala Ratjada. Die beiden zogen 2008 dort ein. Hinten rechts hat Argos Cavaller seine Schusterwerkzeuge positioniert, Yolanda Izquierdos Nähmaschine und ihre Flechtutensilien sind auf einem separaten Arbeitstresen aufgebaut.

Stammkunden sind Urlauber und Urmallorquiner

Izquierdo ist kein Anhängsel, war es nie. Mit nur 20 Jahren, im Jahr 2001, übernahm sie das Unternehmen gemeinsam mit ihrem frisch angetrauten Mann von dessen Mutter und sprudelte schon damals fast über vor Ideen. „Mein Vater starb, als ich neun Jahre alt war, seitdem hatte es meine Mutter mit meiner Unterstützung allein weitergeführt“, erinnert sich Cavaller. 2001 dann der offizielle Generationenwechsel.

„Einen Schuhmacher im herkömmlichen Sinne braucht es kaum noch, und das schon seit Langem. Davon allein kann man nicht mehr leben“, sagt er. Nicht in einer Wegwerfgesellschaft, in der es meist günstiger ist, immer wieder neue Produkte zu kaufen, statt alte reparieren zu lassen. Doch wenn ein Geschäft in einer Kleinstadt wie Cala Ratjada mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat, dann hat es seine Stammkunden – im Idealfall sowohl Urlauber und Teilzeitresidenten als auch Urmallorquiner. „Wie viele das sind wurde uns erst jetzt in der Pandemie so richtig bewusst“, sagt Cavaller. „Sie retten uns jeden Tag.“ Selbst im Winter, wo die Boutiquen und Souvenirläden ringsum geschlossen haben, ist im „Argos ca’s Sabater“, wie das Traditionsgeschäft mittlerweile heißt, Tag für Tag viel los.

Reparaturen und Änderungen an Textilien

Doch viele Kunden kommen nicht wegen der Schuhe, sondern weil sie kleinere Reparaturen oder Änderungen an Textilien vornehmen lassen – oder Lust auf ein bisschen Dorftratsch haben. All das übernimmt Yolanda Izquierdo. Und dabei geht ihr kreatives Schaffen weit über das Anbringen neuer Reißverschlüsse oder das Kürzen von Hosenbeinen hinaus. „Ich habe immer wieder neue Ideen, und was mir in den Kopf kommt, das setze ich um. Vor allem bin ich flexibel und lasse mich gern darauf ein, was die Menschen wollen, solange es qualitativ hochwertig ist.“

Diese Einstellung spiegelt sich im Verkaufsraum vor der Werkstatt wider. Zahlreiche Markenschuhe der traditionellen Menorca-Sandalen (abarcas) sind hier ausgestellt. Dazwischen stehen farbenfrohe Taschen, Geldbörsen und Turnbeutel, die Izquierdo aus Stoffresten oder Kork hergestellt hat. „Yolitas“ ist als aufgenähtes Label zu erkennen. „Die Marke habe ich 2019 gegründet, und sie verkauft sich super“, sagt sie stolz.

Rucksäcke, Körbe, Schachteln

Und dann sind da die Produkte aus den Blättern der Zwergpalme, die Korbwaren. Die günstigeren stammen aus Manufakturen in Marokko. Die hochwertigen von vorne bis hinten aus der Hand von Izquierdo. Außer ein paar halb fertigen Rucksäcken, Körben und Schachteln im Werkstattraum hat sie gerade keine eigenen Palmblatt-Artikel – llatra oder llata werden sie auf Mallorquinisch genannt – auf Vorrat. „Alle ausverkauft. Es läuft meist über Auftragsarbeiten, ich gestalte alles genau so, wie die Kunden es wünschen“, sagt sie und zeigt auf einen geflochtenen Rucksack mit braunen Ledersäumen und einem glitzernden Stern. „Hier arbeiten wir zum Beispiel Hand in Hand. Alles, was mit Lederarbeiten zu tun hat, übernimmt Argos. Fürs Design und das Flechten bin ich zuständig.“

Und für die Beschaffung der Palmblätter. In den Sommermonaten geht Izquierdo mit einer Genehmigung im Naturschutzgebiet Llevant auf die Suche nach den Zwergpalmen-Blättern, trocknet sie dann auf ihrer Terrasse, bearbeitet sie, schneidet sie zu, färbt sie zum Teil. Ganz so, wie es früher in der Region um Capdepera und Artà weitverbreitet war. „Mir gefällt das alte Handwerk – und den Kunden auch“, sagt Izquierdo.

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Titel als traditionelle Flechterin

Seit November hat sie sogar den offiziellen Titel der llatera vom Inselrat verliehen bekommen, als jüngste Handwerkerin überhaupt. „Die Auflagen sind sehr streng, deshalb besitzt kaum jemand diesen Titel, nicht einmal die traditionellen Flechterinnen vom Can Flaquer in Capdepera“, sagt Yolanda Izquierdo. Sie ist sich sicher, dass ihr das Zertifikat weitere Türen öffnen wird, die dem kleinen Unternehmen zugutekommen werden. „Ich kann jetzt offiziell Flechtkurse anbieten. Das bindet Kunden und macht sie sensibler dafür, wie arbeitsintensiv das alte Handwerk ist. Oder ich kann Märkte veranstalten. Oder jemanden anlernen“, sagt sie begeistert. Den Traditionsladen eines Tages einmal aufzugeben, ist das Letzte woran Izquierdo denkt. „Wieso auch? Dafür gibt es viel zu viel zu tun.“