Wie Perlen an einer Halskette ziehen sich die Anwesen, die Ludwig Salvator einst erwarb, entlang der Nordwestküste von Mallorca. Zwischen s’Estaca und Son Marroig reiht sich ein Kleinod ein, das zum ersten Eigenheim des Erzherzogs auf der Insel wurde: Miramar. Vor exakt 150 Jahren, am 20. Januar 1872, kaufte der Sprössling aus der Familie des österreichischen Kaisers das damals noch wenig schmucke Grundstück, das sich zwischen Meer und Tramuntana schmiegt. „Miramar war zu dieser Zeit nur eine Ruine“, sagt die Erzherzog-Expertin und -Biografin Helga Schwendinger im Gespräch mit der MZ. „Was ihn fasziniert hat, war der Ort: die Aussicht, die Ruhe, die Harmonie und die Beziehung zur Natur, die er dort gespürt hat.“

Ludwig Salvator ließ die ehemalige Klosteranlage in den folgenden Jahren nach seinen eigenen Vorstellungen rekonstruieren – nicht als Schloss im engen Sinne, aber als typisch mallorquinisches Landhaus und Hauptdomizil auf der Insel. Im Jahr 1877 feierte er ein rauschendes, dreitägiges Einweihungsfest mit Tanz, Gesang, Feuerwerk und einem Literaturwettbewerb. „Am meisten gestört hat ihn, dass Miramar nur ein kleiner Fleck mit sehr wenig Grund war. Er wollte aber ein Anwesen haben und hat deshalb begonnen, sukzessive Grundstücke und Häuser aufzukaufen“, erklärt Schwendinger.

In den Fußstapfen von Ramon Llull

Was Miramar betrifft, so trat er als Besitzer in große Fußstapfen, nämlich in die des Theologen, Philosophen und Mystikers Ramon Llull: Dieser rief dort im 13. Jahrhundert eine Missionarsschule ins Leben, in der Franziskanerbrüder dazu ausgebildet wurden, „Ungläubige“ in der arabischen Welt zu bekehren. Ebenfalls bedeutsam: 1485 richteten Nicolás Calafat und Francisco Prats eine der ersten Buchdruckereien der Welt im ehemaligen Kloster ein. „Miramar ist ein magischer Ort, wo in den Jahrhunderten vor Ludwig Salvator schon wichtige Dinge passiert sind“, sagt Schwendinger.

Traumhafter Blick: Von Miramar aus sieht man Sa Foradada und Son Marroig. | FOTO: BENDGENS

Nach dem Tod des Erzherzogs gingen die Besitztümer an seinen langjährigen Freund und Sekretär Antonio Vives über, dann an dessen Kinder Gino, Gigi, Gigetta und Luigina. Die beiden Töchter von Letzterer, Silvia und Isabel, sind heute die Eigentümerinnen von Miramar und Son Marroig. Deren Verwaltung: eine Lebensaufgabe, die in der Zukunft wohl Silvias Kinder und Enkelinnen übernehmen werden.

Die Madonna: ein Geschenk von „Sisi“. | F.: BENDGENS

Zwischen Llull und Erzherzog

Silvia Ribas’ Ehemann, José María Sevilla (89), engagiert sich leidenschaftlich für den Erhalt des Anwesens der Familie. Der pensionierte Arzt, der früher eine Praxis in Palma besaß und seine Doktorarbeit über ein medizinisches Werk von Ramon Llull schrieb, lässt es sich nicht nehmen, den MZ-Besuch persönlich über das Gelände zu führen – und mit fast kindlicher Begeisterung sein Wissen über Miramar zu teilen: „Ich bewege mich geistig immer zwischen Ramon Llull und dem Erzherzog, ich kann einfach nicht damit aufhören“, sagt er. „In 700 Jahren Geschichte ist hier wirklich viel passiert.“

Ludwig Salvator ließ einst die Fassade im arabischen Stil verschönern. | FOTO: BENDGENS

Sevilla beginnt den Rundgang im Erdgeschoss des Hauses, das für Besucher geöffnet ist, und verweist auf Besonderheiten wie den Boden des alten Klosters. „Hier wurden früher Boleros getanzt“, sagt er über den Raum links neben dem Eingang des Hauses. Der Erzherzog ließ ihn mit einem Llull-Mosaik aus Muscheln dekorieren. Nun wird er für Seminare über den Mystiker genutzt. Nebenan befand sich ein kleiner Stall. Weitere der Sehenswürdigkeiten im Gebäude sind die Küche der Mönche, ein Saal mit dem Zenotaph aus Marmor (einem leeren Grabmal) von Wratislao Vivorny, dem Bürovorsteher des Erzherzogs, oder auch eine Kabine des Schiffes „Nixe“ von Ludwig Salvator mit Original-Navigationsinstrumenten.

Wie aus einer anderen Welt

Der Leidtragende von Miramar

„Der Erzherzog residierte aber dort oben in einem Raum, den wir niemandem zeigen“, erklärt Sevilla später draußen vor der West-Fassade und deutet auf den ersten Stock des Hauses. Die Familie hat ihn zeitweise selbst bewohnt – wobei Sevilla betont, dass sie keineswegs eine extravagante Sippe seien. „Heute leben wir zwar in Palma, aber wir leiden hier“, sagt er lachend und nennt sich selbst den „Leidtragenden von Miramar“, denn es sei eine unglaubliche Verantwortung damit verbunden. „Wir unterhalten diesen Ort hier wie eine NGO, Einnahmen erzielen wir damit keine. Und wir sind schließlich keine Millionäre.“

Miramar und Son Marroig, die beiden Anwesen der Familie, würden immer als Einheit gedacht: Fahre eines Verluste ein, gleiche das andere dieses Defizit aus. „Sie bilden eine Symbiose, eine Finca lebt durch die andere“, so Sevilla. Während Son Marroig zum Beispiel besser für Events wie Konzerte genutzt werden könne, versorge die üppig sprudelnde Quelle von Miramar auch das andere Anwesen mit Wasser.

Natur und Spiritualität

Im Außenbereich der Anlage bietet sich auf verschiedenen Höhenebenen immer wieder ein imposanter Blick auf Son Marroig, den Lochfelsen Sa Foradada und die Küste. Mit beeindruckender Vitalität führt Sevilla treppauf und treppab, zum „Jardín de la Torre del Moro“, wo in geometrischen Formen am Boden die Ideen von Ramon Llull Gestalt annehmen. Dann führt er zu den dreizehn steinernen Brücken, die wie vieles in Miramar eine symbolische Bedeutung haben: „Sie stehen für Jesus und die zwölf Apostel“, erklärt Sevilla. „Die 13 bringt kein Unglück, sondern ist ein Zahl aus der Bibel.“

„Heute leben wir zwar in Palma, aber wir leiden hier.“

In direkter Nähe des Hauses befindet sich die in tschechischem Stil ausgestattete Kapelle, die der Erzherzog errichten ließ. Ein besonderer Blickfang darin: die Madonna zum Schutz der Seefahrer aus Carrara-Marmor, ein Mitbringsel von Elisabeth von Österreich-Ungarn („Sisi“), die zweimal in Miramar zu Besuch war. Am Gemäuer außen steckt ein Teufel im Detail (siehe Bild): „Hier ist eine Allegorie zu sehen, bei der das Wort Gottes den Teufel vernichtet“, erklärt Sevilla. Im östlichen Garten, einen Katzensprung von der Kapelle entfernt, ließ der Habsburger ein Stück des Klostergangs eines alten Franziskanerklosters in Palma, das er geschenkt bekommen hatte, pittoresk platzieren.

Die Natur, die schon dereinst den Erzherzog verzauberte, ist ein ebenso wichtiger Grund für einen Miramar-Besuch wie die architektonischen Elemente. Sevilla kann sich kaum entscheiden, zu welcher Zeit des Jahres es am schönsten ist, die Gartenlandschaft mit einheimischen Pflanzen zu genießen. „Jetzt im Februar und März werden überall die gelben Blumen sprießen“, schwärmt er. „Und im Sommer blüht natürlich noch viel mehr.“

Wenn vor 150 Jahren die Sonne geschienen hätte

Unglaublich, aber wahr: Miramar würde wohl in seiner heutigen Form nicht existieren, wenn vor 150 Jahren die Sonne geschienen hätte. Helga Schwendinger kennt die kuriose Geschichte zum Kauf des Anwesens. Ludwig Salvator sei bei seinem ersten Mallorca-Besuch 1867 eher zufällig schon einmal dort gewesen und habe wohl irgendetwas Besonderes gespürt. „Aber dann hat er es wieder vergessen und ist weitergezogen“, erzählt die Historikerin. Bei seinem nächsten Besuch machte er erneut auf Miramar Station. „Er sagte nur: Wenn das verkauft werden würde, das tät’ ich gerne nehmen. Dann fuhr er aber wieder weiter“, so Schwendinger.

Am 19. Januar 1872 weilte der Erzherzog dann in Pollença, um sich der Kunst zu widmen. „Doch es regnete in Strömen, so wurde es nichts mit dem Zeichnen.“ Da habe er sich wieder an Miramar erinnert und den Entschluss gefasst, den Eigentümer Juan Serra in Sa Pobla aufzusuchen und das Gut zu erwerben, so der Preis stimme. Schon am nächsten Tag war der Kauf abgewickelt. Schwendinger berichtet: „Ludwig Salvator sagt selbst: Wenn das nicht so ein schrecklich verregneter Tag gewesen wäre, dann wäre ich nicht auf die Idee gekommen, Miramar zu kaufen.“

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Monestir de Miramar, Mo.–Sa. 9–17 Uhr, Eintritt: 4 Euro