Die Reifen rollen über den groben Kies. Es holpert. Irgendwie stellt man sich eine Fahrradtour auf der Via Verde sanfter vor. Mit mehr Vogelgezwitscher in den Ohren und weniger Gerumpel. Mit ebenem Untergrund statt Schotterpiste. Schließlich wird die Strecke zwischen Artà und Manacor ausdrücklich als „familienfreundlich“ und „leicht“ eingestuft. Doch aufgeben kommt nicht infrage. Nicht jetzt, wo es gerade erst losgegangen ist.

Unter der Woche ist die Via Verde wenig frequentiert. Nele Bendgens

„Ich empfehle das Mountainbike“, hatte die Frau im alten Bahnhofsgebäude in Artà zuvor geraten. Neben dem Verkauf von Souvenirs organisiert sie auch den Fahrradverleih. Gelobt sei sie. Ein normales Rad hätte sicherlich schon nach wenigen Kilometern einen Platten bekommen, ganz zu schweigen vom alten Hollandrad in der heimischen Garage.

Vorbei an Ringelblumen und Steineichen. Sophie Mono

12 Euro kostet das Mountainbike für vier Stunden, der Tagespreis liegt bei 18 Euro. „Die ganze Strecke bis nach Manacor würde ich nicht fahren, hinter Sant Llorenç verläuft sie ohnehin nur parallel zur Schnellstraße. Der Abschnitt davor lohnt allemal und reicht auch den meisten“, so die redselige Dame vom Verleih. Eigentlich war geplant, die ganzen 29 Kilometer abzufahren, bis nach Manacor, aber die Frau scheint zu wissen, wovon sie redet – und außerdem will der Weg ja auch wieder zurückgefahren werden. Es sei denn, man zahlt 30 Euro für den Abholdienst.

Doch warum ans Ziel denken, wenn doch der Weg das Ziel ist? Es ist ein sonniger Morgen, und die Nebelschwaden, die am Friedhof von Artà aufsteigen, wirken malerisch. Ein Mandelbäumchen am Wegrand scheint neben den Picknicktischen bei der Totenstätte fast symbolisch für das Leben stehen zu wollen. Doch Achtung! Nur nicht zu lange hinsehen, nur nicht zu sehr mit den Gedanken abschweifen, sonst ist der Unfall auf der Schotterpiste vorprogrammiert.

Von 1921 bis 1977 fuhr hier ein Zug

Es war im Jahr 1921, als da, wo jetzt die Via Verde ist, die Eisenbahnstrecke Manacor–Artà eingeweiht wurde. Damals die große Hoffnung vor allem für den kleineren der beiden Orte – war man nun doch endlich mit dem Rest der Insel verbunden. Aber die Zugverbindung war nicht von Dauer, 1977 wurde sie eingestellt. Seit 2014 verläuft auf der alten Bahntrasse die Via Verde. Am Wochenende, heißt es, wimmele es hier nur so von Spaziergängern und Ausflüglern. An diesem Morgen ist wenig los, ein paar Hundehalter sind unterwegs, und hier und da ein Jogger.

Mit strammem Tempo schafft man es in einer halben Stunde bis zum alten Bahnhof von Son Servera. Seit Jahrzehnten fordern Bürgerplattformen vergeblich, dass der Zugbetrieb – neben der Via Verde – hier wieder aufgenommen wird. Danach sind es noch gut sechs Kilometer bis zur nächsten Station, Son Carrió. Das kleine Stückchen auf geteerter Straße, am Ortsausgang von Son Servera, lässt kurz aufatmen, bevor wieder der Schotter losgeht.

Doch je weiter man fährt, desto mehr gewöhnt man sich an das Gerumpel und stellt fest: Der Weg ist durchgängig breit, die Vegetation am Rand gepflegt und sauber, es gibt keine scharfen Kurven und nur geringfügige Steigungen. Vom Untergrund abgesehen, ist er fast ein wenig eintönig. Ganz anders als die Umgebung. Hier zeigen sich die Kontraste Mallorcas: Mandelbäume in voller Blüte stehen neben abgestorbenen, trostlosen Exemplaren. Die in der Ferne aufragenden Bettenburgen der zugebauten Küste von Cala Millor und Sa Coma kontrastieren mit weiten Wiesen und träge grasenden Schafen. Vom Fahrrad aus lässt sich ein Blick auf die Pools luxuriöser Fincas erhaschen, aber auch auf einfache Behausungen am Wegesrand.

Den Blick schärfen

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Wer das Pompöse sucht, ist hier falsch; tolle Aussichtspunkte hat die Via Verde nicht zu bieten. Und so konzentriert man sich unwillkürlich auf unscheinbarere Details. Der Lavendel, der zuhauf am Wegrand wächst, die Ringelblumen, die die Wiesen in ein gelbgrünes Blütenmeer verwandeln. Jeder zurückgelegte Kilometer bringt mehr Abstand zum Alltagsstress. So ähnlich muss es den Jakobsweg-Pilgern ergehen.

Dann zieht die Kirche von Son Carrió ihre Blicke auf sich. Sie überragt alle anderen Gebäude im Dorf. Hinter dem kleinen Bahnhof befindet sich ein Depot mit alten Eisenbahn-Waggons, das einmal zu einem Museum werden soll. Doch für Erkundungen ist heute keine Zeit. Ranhalten, in die Pedale treten, gut 20 Minuten später – etwa anderthalb Stunden nach der Abfahrt in Artà – taucht der Bahnhof von Sant Llorenç auf. Hier ist mittlerweile ein Café untergebracht, die Außenterrasse erstreckt sich auf beiden Seiten des Fahrradwegs. Die Verschnaufpause, bevor es wieder zurück nach Artà geht, tut gut. Ja, es geht schon zurück. Der Abschnitt bis Manacor läuft ja nicht weg.