No vull estar a sa Colònia, Lloc mal sanitós; Perquè no i ha cel ni glòria; Ni lloc per enterrar-los.
Ich will nicht in sa Colònia sein; dem unwirtlichen Flecken; wo es weder Himmel noch Herrlichkeit gibt; noch einen Ort für die letzte Ruhe.
Wo heute Mallorquiner und Urlauber ihre Sommerfrische genießen, herrschten vor hundert Jahren ärmliche Verhältnisse: ein paar weitgehend von der Außenwelt abgeschnittene Baracken an der Küste, weder Post noch eine richtige Straße, die Menschen schliefen auf Säcken, die sie mit getrocknetem Seegras ausstopften.
Das Lied, das die Stimmung in Colònia de Sant Jordi Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt, ist in der Dorfchronik von Cosme Rigo Ballester dokumentiert. Jetzt ist der zweite von drei Bänden erschienen. Der Anwalt, der zunächst nur die eigene Familiengeschichte erforschen wollte, hat für „Fills del seu temps 1886–1939“ (deutsch: Kinder ihrer Zeit 1886–1939, in Colònia erhältlich im Schreibwarenladen PEMI und am Kiosk, 25 Euro) nicht nur Archive durchforstet, sondern kann sich auch auf zahlreiche Interviews seines Co-Autors Rafel Bauça Ginard stützen. Es sind Gespräche mit den ältesten Bewohnern des Orts, selbst erlebte und überlieferte Geschichten, die Ballester akribisch mit historischen Dokumenten abgleicht.
Wer die Ursprünge von Colònia de Sant Jordi sucht, landet demnach auf der heutigen Plaça de Sa Torre. Der Platz hat seinen Namen von einem Ende des 16. Jahrhunderts errichteten Wachturm, von dem aus das Meer vor der Küste beobachtet und vor nahenden Piraten gewarnt wurde. Der Turm war über Jahrhunderte fast das einzige Gebäude dort, abgesehen von Behausungen, in denen die Wärter und ihre Familien wohnten. Ihr Gehalt erhielten sie aus Campos – und nach der Gemeinde war auch der Flecken an der Südspitze Mallorcas benannt: Port de Campos.
Das Projekt des Grafen
Die Nachfahren der Wächter sind auch heute noch an ihrem Beinamen zu erkennen, dels Torrers oder can Torrer werden sie genannt. Und dennoch scheiden die damaligen Wärter als Gründungsväter von Colònia de Sant Jordi aus. Denn die Furcht vor Piratenangriffen war bereits Geschichte und der frühere Turm praktisch nur noch wiederverwertbares Baumaterial, als der Küstenort Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde.
Der Ursprung liegt vielmehr in der Landwirtschaft. Ein Dokument im Rathaus von Santanyí von Juli 1886 zeugt von einem Gesuch des Marquès del Palmer, der bei der Provinzregierung die Parzellierung eines Teils seines Landguts s’Avall beantragte – jener Ländereien, die heute der Bankiersfamilie March gehören. Der Graf besaß damals praktisch die gesamte Südspitze Mallorcas.
Guillem Abrí Dezcallar i Sureda wollte die Grundstücke an Bauern verkaufen oder verpachten und konnte sich dabei auf ein neues Regelwerk berufen, das Abhilfe gegen die damaligen Hungersnöte in der Bevölkerung schaffen sollte. Und auch der Name der neuen Agrarkolonie sollte auf die Familie des Marqués del Palmer zurückgehen – Jordi war der Vorname von dessen Vater, aber auch von dessen Sohn.
Menschen aus Santanyí, Campos, Porreres oder auch Llucmajor zogen in die Gegend, um auf mehr als hundert Parzellen das Brachland zu kultivieren und vor allem Getreide und Gemüse anzubauen. Die Grundstücke erstreckten sich nahe der heutigen Landstraße nach Ses Salines. Neben dem Agrarland erhielt jeder Neusiedler auch eine Parzelle im Gebiet des künftigen Orts, um sich dort ein Haus zu bauen. „Der heutige Ortskern von Colònia de Sant Jordi konsolidierte sich letztendlich dank der Grundstücke, die der Marquès del Palmer als Anreiz für den Kauf oder die Pacht schenkte“, erklärt Rigo.
Die Behausungen entstanden zunächst in zwei getrennten Siedlungen, im Gebiet der heutigen Plaça de la Torre und der Plaça de la Constitució. Der Ort blieb klein – für das Jahr 1894 sind nur hundert Bewohner dokumentiert – und war zunächst noch Teil der Gemeinde Santanyí. Erst in den 1920er-Jahren sollte sich Colònia de Sant Jordi von Santanyí abspalten, zusammen mit der Nachbarsiedlung Ses Salines, zu deren Gemeinde der Küstenort heute gehört.
Neben Fischfang, Landwirtschaft und Jagd lebten die Menschen im Sommer auch von der Salzgewinnung in den benachbarten Salinen von Es Trenc, die ebenfalls dem Grafen gehörten. Die Produktion war bereits ein Stück weit industrialisiert: Eine Dampfmaschine statt einer früheren Windmühle lieferte die nötige Energie, um das Meerwasser in die Becken zu pumpen und das gewonnene Salz zu mahlen.
Erst in den 1930er-Jahren erreichte die Einwohnerzahl von Colònia de Sant Jordi die Marke 200. Jetzt verband der Carrer Major die bislang getrennten Siedlungen, auch ein Elektrizitätswerk wurde gebaut: Hauptziel des Grafen war es wohl, das 1932 errichtete Hotel Playa – heute die älteste Unterkunft des Orts – mit Strom zu versorgen. Hier stiegen wohlhabende Bürger aus Palma ab, meist Freunde und Bekannte des Grafen. Unter den Gästen war aber auch der spätere Diktator Francisco Franco – nachdem er 1933 zum Militärkommandanten auf den Balearen ernannt worden war, bereiste er die Südküste Mallorcas, um Informationen zu deren Verteidigung zu sammeln.
Der Sommer 1936
Rigo erklärt in seiner detailreichen Chronik die traditionelle Lebensweise und das Alltagsleben genauso wie Anekdoten um die Mönchsrobbe oder überlieferte Jungenstreiche. Und dennoch kreist die Chronik letztendlich vor allem um ein Thema – den Spanischen Bürgerkrieg. Der zweite Band konzentriert sich gar auf einen Zeitraum von nur sechs Wochen rund um den Kriegsausbruch im Sommer 1936, als Mallorca ohne nennenswerten Widerstand in die Hände der Putschisten rund um Franco fiel und die Repression einsetzte.
Obwohl der Name Colònia de Sant Jordi praktisch nie im Kontext der gescheiterten Landung republikanischer Truppen im August jenen Jahres fällt, hatte die Siedlung eine strategische Bedeutung im Kriegsgeschehen. „Sie wurde nachweislich sieben bis 14 Mal von republikanischen Fliegern bombardiert“, sagt Rigo, „eine hohe Zahl für so einen kleinen Ort“.
Der Grund: Der Putsch in Barcelona war gescheitert, republikanische Milizionäre bereiteten eine Offensive auf Mallorca vor, und bevor sie in Porto Cristo landen sollten, hatten sie bereits am 1. August den Archipel Cabrera südlich der Küste eingenommen. In Erwartung einer bevorstehenden Attacke der Republikaner wurden im nahe gelegenen Colònia de Sant Jordi Artillerie des nationalen Lagers in Stellung gebracht, Falangisten zu Nachtwachen eingeteilt und auch die erste Telefonleitung gelegt. „Die Strände waren perfekt für die Landung der Republikaner geeignet“, so der Autor.
Abheben in Colònia
Die Gegenseite nahm indes eine provisorische Flugpiste in Betrieb, wohl im Gebiet linker Hand der Ortseinfahrt, wo sich heute eine Tankstelle und das Cabrera-Besucherzentrum befinden. „Das war damals im Sommer stabiler Lehmboden“, erklärt der Autor. Von hier ging der Pilot Juan Crespí Fornari aus Campos in die Luft, um republikanische U-Boote vor Cabrera zu bombardieren. „Mit einer Hand steuerte er die Maschine, mit der anderen Hand entsicherte er die Bomben und warf sie ab“, erklärt Rigo. Es gab mehrere Scharmützel, auch Zettel mit Kriegspropaganda wurden über Colònia de Sant Jordi abgeworfen. Todesopfer sind nicht überliefert.
Ein Foto vom Sommer 1936 zeigt den erst 20-jährigen Piloten in Fliegermontur vor seiner Avro 594 „Avian IV-M“ – eines von lediglich drei Flugzeugen, über welche die Putschisten auf Mallorca verfügten, bevor die Italiener und Deutschen ins Kriegsgeschehen eingriffen. Neben Crespí ist auf dem Foto eine Frau zu sehen, die so gar nicht ins Bild des ländlichen Mallorcas passt. Sie trägt Hosen, auf dem Arm hält sie einen Pekinesen mit weißem Fell. „La inglesa“, wurde die Ausländerin damals im Ort genannt.
Wer sie war, hat Autor Rigo durch den Abgleich von Dokumenten herausgefunden: Winifred Hudnut, besser bekannt als Natacha Rambova, US-amerikanische Kostümbildnerin und Schauspielerin sowie Ex-Frau der Stummfilm-Legende Rudolph Valentino. Später verschlug es sie nach Europa, wo sie den Aristokraten Alvaro Conde de Urzaiz kennenlernte und mit ihm auf Mallorca zusammenlebte. Und da der Graf dem nationalen Lager angehörte und im Jahr 1936 zum Seekommandanten für die Südküste Mallorcas ernannt wurde, landete auch die Hollywoodgröße in Colònia de Sant Jordi.
Die große Militärpräsenz in dem Ort dürfte denn auch der Grund gewesen sein, warum sich Bayo am 16. August für den Landgang bei Porto Cristo entschied. Crespí war bereits am Vortag zum letzten Mal mit seiner Maschine in die Luft gegangen – sie wurde nicht Opfer eines Angriffs, sondern ging bei der Landung zu Bruch. Ihren letzten Dienst erwies sie zusammen mit zwei Flugzeug-Attrappen, die gut sichtbar an der Küste aufgestellt wurden, wie Rigo dokumentiert. Die republikanischen Angreifer „verschwendeten mehr als hundert Bomben auf sie, während für mehrere Tage kein roter Flieger über Palma gesichtet wurde“.
Flucht mit dem Fischerboot nach Menorca
Als die Repression 1936 auch Colònia de Sant Jordi erreichte, wagten zwei Fischer die Flucht. Mit ihrer „llaüt“ setzten die Brüder Rafel und Sebastià Pascual nach Menorca über und gelangten an Bord der „Carmen Pico“ nach Algerien. Im Hafen von Algier wurde das Schiff abgewiesen, die Irrfahrt führte nach Frankreich und endete in einem Flüchtlingslager. In den 1940ern kehrten die Brüder zurück, wurden aber bei ihrer Einreise in Franco-Spanien zunächst in Barcelona interniert.