Julia Fischer-Bernard und Jerònia Floret leben in ihren Dorfhäusern in Sencelles direkt nebeneinander. Sogar die Wand teilen sie sich. Ob Florets Dachziegeln verrutscht sind, kann man am besten von Fischer-Bernards Terrasse aus sehen. Trotzdem hat es ein Jahr gedauert, bis die Deutsche und die Mallorquinerin einander begegneten. Weil ihre Hauseingänge an unterschiedlichen Seiten liegen. „Und weil du und dein Mann sehr diskret seid“, findet Julia Fischer-Bernard.

„Nein, weil wir sehr mallorquinisch sind“, sagt Jerònia Floret und beide brechen in herzhaftes Lachen aus. Das kommt immer wieder vor. Als Außenstehende kommt man kaum mit bei all den Insider-Witzen, die die beiden miteinander teilen. Aus der Nicht-Beziehung ist in den vergangenen Jahren wahre Freundschaft geworden. Nicht zuletzt deshalb, weil Fischer-Bernard nicht gegen mallorquinisches Taktgefühl verstößt. Und das bedeutet eben auch: es erst einmal langsam angehen lassen und den Raum des anderen respektieren.

Mallorquiner fragen immer, woher man kommt

An Erfahrung mit den Insulanern mangelt es Fischer-Bernard nicht. Ihre Stiefmutter ist Mallorquinerin. Seit sie 24 Jahre alt ist, lebt die heute 48-Jährige, die in Belgien aufgewachsen ist und zeitweise in Aachen arbeitete, auch selbst auf der Insel. Eigentlich fühlt sie sich eher wie eine Belgierin, auch wenn ihr deutscher Pass etwas anderes sagt. „Die Mallorquiner fragen immer, woher man kommt. Manchmal weiß ich gar nicht, was ich darauf antworten soll, denn man wird schnell in eine Schublade gesteckt“, findet Fischer-Bernard.

„Ich frage es die Leute einfach, weil es mich wirklich interessiert. Weil ich es spannend finde, warum es sie auf die Insel verschlagen hat“, wirft Floret ein. Es sind diese Gespräche, angenehm und vertraut, die ihre Horizonte erweitern, wenn sie, gemütlich bei Kaffee oder Tee, zusammensitzen und über sich und ihre Landsleute – oder Gott und die Welt – reden. Und jedes Mal gehen beide mit dem Gefühl auseinander, etwas Neues gelernt zu haben.

Wie die Insulaner denken

Fischer-Bernard versteht mallorquí – und dank Menschen wie Floret auch immer mehr, wie die Insulaner denken. Deshalb kann sie durchaus nachvollziehen, dass sie in Sencelles zunächst schweigend beäugt wurde, als sie 2016, alleinstehend, das alte Dorfhaus kaufte, es größtenteils selbst renovierte, im Erdgeschoss eine Galerie eröffnete und sich in den oberen Stockwerken niederließ. Sie mag selbstbestimmt sein, doch wie Floret kann auch sie über sich selbst lachen.

„Klar, dass viele da erst einmal dachten: Was will die denn hier?“ Auch der Name der Galerie, „Senseless“, sorgte für Gesprächsstoff im Dorf, wie Jerònia Floret weiß. Die meisten verstanden das Wortspiel nicht und schüttelten den Kopf über die Deutsche, die Sencelles nicht richtig schreiben kann. Fischer-Bernard nahm es locker. „Besseres Marketing gibt es nicht“, sagt sie.

Wenig gastfreundlich, wenn man eine Person nicht kennt

Doch es bleibt dabei: Es ist zunächst verzwickt mit den Mallorquinern. „Wir sind wenig gastfreundlich, solange wir eine Person nicht kennen“, sagt Floret und nickt wie zur Bestätigung ihrer eigenen Worte mit dem Kopf. Sie selbst ist tief in die Dorfgemeinschaft integriert, obwohl sie in Palma aufwuchs. Doch ihre Eltern stammen aus Sencelles und brachten sie schon als Kind jedes Wochenende mit den Anwohnern in Kontakt. Seit zehn Jahren wohnt sie mit ihrem Mann und ihrer zwölfjährigen Tochter in dem Stadthaus im Zentrum.

„In Julias Haus bin ich früher oft gewesen, es gehörte der Tante einer Freundin“, erinnert sich die 44-Jährige. Natürlich war die Neugierde groß, was die neue vecina wohl daraus gemacht hatte. „Und ich habe Kunstgeschichte studiert, die Galerie interessierte mich also auch“, so Floret. Dennoch hielt sie sich zurück. „Bei vielen Mallorquinern muss man selbst die ersten Schritte machen, aber das ist in Ordnung“, sagt Fischer-Bernard.

Kennenlernen bei Renovierungsarbeiten

So hielt sie es auch, als sie nach einem Jahr in ihrem neuen Heim erstmals Florets Mann mit einem Freund bei Renovierungsarbeiten auf der Terrasse hinterm Haus entdeckte. Sie kamen ins Gespräch, verstanden sich gut. Die Männer luden sie sogar zu einem Pferde-Event in Palma ein. Doch die Deutsche lehnte ab und betonte gleichzeitig, dass sie gern die Nachbarin kennenlernen wolle. „Das kam super an.“ Zwei Tage später trafen sich die Frauen zum Kaffeetrinken, ganz ungezwungen. Seitdem wurde das Verhältnis poc a poc, also peu à peu enger. Kein Wunder: Es ist schwer, die etwas ausgeflippte, redselige und doch respektvolle Fischer-Bernard nicht zu mögen.

Und auch Jerònia Florets Charakter entpuppt sich schnell als alles andere als verschlossen. „Vor der Pandemie hat Julia oft Partys mit vielen internationalen Freunden veranstaltet, das war für mich und meinen Mann bereichernd“, schwärmt sie. Auch an eine Sadomaso-Ausstellung in der Galerie erinnert sie sich lachend. „Julia schafft es, Menschen zu vereinen und eine tolle Atmosphäre zu schaffen. Gleichzeitig haben wir gemeinsam, dass wir beide unseren Freiraum brauchen und unabhängig sind.“

Sich schätzen, ohne sich zu bedrängen

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„Wir schätzen uns sehr, ohne uns zu bedrängen“, bestätigt Fischer-Bernard. Manchmal vergehen Wochen, in denen sich die beiden nicht sehen, dann wieder machen sie gemeinsame Unternehmungen, philosophieren über den Sinn des Lebens oder treffen sich zum Essen, meist bei der Deutschen. „Auf Mallorca ist es nicht so wie in den US-amerikanischen Filmen, wo auf jede Essenseinladung eine Gegeneinladung folgen muss“, erklärt Jerònia Floret. „Es ist vollkommen in Ordnung, dass wir meist bei mir sind, das bedeutet nicht, dass sich Jerònia weniger einbringt“, findet auch Julia Fischer-Bernard. An der Mallorquinerin schätzt sie vor allem ihre Zuverlässigkeit, ihre Sensibilität, ihre Werte und ihre Ehrlichkeit. „Und dass sie mich und meine Intentionen immer richtig interpretiert.“

Im Laufe der Jahre hat die Deutsche auch die Tochter ihrer Nachbarn ins Herz geschlossen. Gleichzeitig erlebte die Mallorquinerin mit, wie die Deutsche ihren Lebensgefährten kennenlernte. Fischer-Bernard: „Erst letztens hat er zu mir gesagt: Was für ein Glück wir mit den Nachbarn haben.“ Ein Glück, das sie selbst mit aufgebaut hat.