Artà im Nordosten von Mallorca hat genau das, was viele andere Inseldörfer und Tourismus-Strategen anstreben: Besucher, die sich für das typische Mallorca interessieren – und nebenbei gutes Geld im Ort lassen. Einen Ortskern, der weitgehend frei ist von austauschbaren Souvenirshops und dank origineller Läden auch im Winter nicht wie ausgestorben daliegt. Unberührte Küsten statt Bettenburgen. Ein fast autofreies Zentrum, das die Lebensqualität der Anwohner garantiert. Und ein gewisses Etwas, das vor allem bei Deutschen gut ankommt.

Die getigerte Katze, die gemächlich und selbstbewusst über die Fußgängerzone von Artà streicht, bleibt immer wieder stehen und hält inne – ganz so, als wolle sie sagen: Schaut her, ich lebe das, was diesen Ort ausmacht. Sie ist nicht die Einzige, die es an diesem Donnerstagvormittag (10.2.) langsam angehen lässt. Die meisten Passanten bummeln ohne Hast durch die kleinen Läden, die die verkehrsberuhigte Hauptstraße säumen. Viele von ihnen sind Deutsche. „Hier herrscht ein Flair, das wir aus anderen Orten der Insel nicht kennen“, sagt Stammurlauberin Gudrun Werner, die einen Kaffee auf einer der sonnigen Café-Terrassen genießt. „Artà ist authentischer und typischer als viele andere Dörfer, ohne verschlafen oder rückständig zu sein“, so die Hamburgerin.

Águeda Perelló, Verkäuferin in der Traditionsbäckerei Can Matemales. Nele Bendgens

Slow City seit vergangenem Jahr

Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein da. Erst im vergangenen Jahr hat die Gemeinde offiziell den Titel „Slow City“ erhalten. Die Cittaslow-Vereinigung, die aus Italien stammt und 1997 auch die Slow-Food-Bewegung ins Leben rief, befand Artà als erste Mallorca-Gemeinde des Titels einer „lebenswerten Stadt“ würdig. Aufgenommen in die Liste der Gemächlichen werden Orte, in denen umweltfreundliche und städtebaulich nachhaltige Politik betrieben wird, in denen die Landwirtschaft wertgeschätzt und der Tourismus auf verträgliche Weise in den Ort eingebettet wird, ohne die Lebensqualität der Anwohner negativ zu beeinträchtigen.

„Die Kriterien sind wie auf uns zugeschnitten“, so Paula Ginard. Die Stadträtin hat sich federführend darum bemüht, den Langsamkeitstitel für Artà zu gewinnen. „Dass wir das geschafft haben, muss man vor allem als Anerkennung der Umweltschutzpolitik der letzten Jahrzehnte sehen.“ Egal, welche politische Partei im Rathaus an der Macht war – stets habe man dafür gekämpft, die Natur im Gemeindegebiet so weit es geht zu erhalten. Ganz anders als die Nachbargemeinden. „Artà hat den längsten Küstenabschnitt im Inselosten, aber nur ein Hotel direkt am Meer. Der Drang, das Unsere zu bewahren, steckt bei uns in der DNA“, scherzt Ginard. Nicht umsonst hätten die artanencs auf der Insel den Ruf, die „Basken Mallorcas“ zu sein. „Weil wir viel Wert auf unsere Wurzeln legen und stolz auf unsere Traditionen sind.“

Ein schwieriger Weg

Lange Zeit habe die Gemeinde die Kehrseite dieser Einstellung erleiden müssen – schließlich bedeuten weniger Hotelbetten zunächst auch weniger Einnahmen. Ginard: „Es war ein schwieriger Weg, aber jetzt ernten wir die Früchte unserer Bemühungen. Viele Leute haben gemerkt, dass der Ort sehenswert ist, eben weil er sich nicht gänzlich dem Tourismus verschrieben hat.“

Entschleunigung gibt's in Artà an jeder Ecke. Nele Bendgens

„Artà ist in den letzten 25 Jahren, seit ich hier bin, auf eine schöne Art und Weise gewachsen“, bestätigt Iris Reichle. Die deutsche Eventveranstalterin betreibt den Deko-Shop „Reichle“ im Zentrum. „Es wird kaum neu gebaut, aber das, was ist, erhalten“, erzählt sie. Auch die schrittweise Verkehrsberuhigung der Altstadt habe Anwohnern und Besuchern zugesagt. „Und mit den Jahren siedelten sich immer mehr qualitativ hochwertige Geschäfte an. Das lockt viele Urlauber an. Zum Markttag am Dienstag sogar so viele, dass es vielen Anwohnern zu hastig ist. Aber so ist das mit den Geistern, die man rief“, sagt Reichle.

Tatsächlich ist die Fußgängerzone gesäumt von interessanten Geschäften. Es sind vor allem Boutiquen, die – oft mit farbenfrohen, alternativ wirkenden Stücken aus Naturmaterialien – das Ortsbild prägen. Daneben kreative Einrichtungsläden, Galerien und Gourmetläden mit traditionellen mallorquinischen Leckereien. Alles hochwertig, ohne allzu chic zu wirken. Mit einem künstlerisch-lässigen Touch, den es so in Santanyí und Andratx nicht gibt.

Wirklich typsich mallorquinisch?

Dazwischen findet sich der ein oder andere Traditionsladen. „Die Kunden haben sich mit den Jahren gewandelt, aber unser Angebot ist dasselbe geblieben. Die Leute wollen das Typische, und das finden sie hier“, berichtet Águeda Perelló. Sie ist seit 18 Jahren Verkäuferin in der 1944 gegründeten Traditionsbäckerei Can Matemales. Der ewige Verkaufsschlager: Ensaimada. Neben dem urigen Namensschild von einst wirbt das Geschäft im Schaufenster in modernen Lettern für die „Ware von hier“. „Wir verbiegen uns nicht, um zu gefallen“, sagt Perelló. Auch das Schuhgeschäft „Heymo“ hat schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel. Der Familienbetrieb setzt vor allem auf spanische Marken und persönliche Beratung. Im schräg gegenüber gelegenen Märchenmuseum kokettiert die Betreiberin geradezu mit den mallorquinischen Gepflogenheiten und setzt sie gewinnbringend in Szene.

Unberührte Natur im Parc de Llevant im Gemeindegebiet Artà Sophie

„Natürlich ist Artà ein Ort, an dem vieles von uns erhalten geblieben ist und ansprechend weiterentwickelt wurde, aber das hat auch seinen Preis“, findet Cati Sureda. Sie ist die Tochter der Betreiberin der Bar Central, eine der wenigen Cafeterien, die nicht hip und stylish daherkommen und in denen es zwar keine Bio-Hafermilch, dafür aber einen café con leche für 1,60 Euro gibt. Sureda kennt die fast ausnahmslos mallorquinischen Gäste beim Namen und ist eine der wenigen, die dem Wandel des Ortes teils kritisch gegenüberstehen. „Wenn man ehrlich ist, machen viele Läden zwar den Eindruck, besonders mallorquinisch oder originell zu sein, aber letztlich sprechen sie vor allem Ausländer an. Und durch den Boom auf Artà steigen die Mieten, egal ob für Lokale oder für Wohnraum.“

Tradition und Tourismus ergänzen sich

Das könnte Sie interessieren:

In einer Seitenstraße findet sich ein Beispiel dafür, dass Tourismus und Tradition sich tatsächlich ergänzen können. In den Räumlichkeiten der Cooperativa d’Artà betreibt die örtliche Landwirtevereinigung nicht nur ein schmuddeliges Lager, in dem Mallorquiner Futter für ihre Nutztiere kaufen, sondern auch einen schmucken Verkaufsraum für örtliche Lebensmittel. „Wir sind ganz klar eine Anlaufstelle für Einheimische und Auswärtige“, so Sprecherin Concha Ferrer.

Dabei sind die Gewinnabsichten der gemeinnützigen Vereinigung nebensächlich. „Wir setzen uns vor allem dafür ein, die Landwirtschaft aufrechtzuerhalten und unsere Mitglieder zu unterstützen.“ Durch Weiterbildungen und bürokratische Hilfestellungen, aber auch durch das Anpreisen lokaler Produkte. Eine entsprechende Kampagne mit den örtlichen Gastronomen laufe gut, auch dank der Urlauber. Gelebte Kreislaufwirtschaft in entschleunigter Atmosphäre – Artà macht’s richtig.