Es ist nicht so leicht, die Gäste im Bieradler auf Mallorca bei Laune zu halten. Als Promoter der Konkurrenz Kundschaft abzuwerben drohen, hat Kellnerin Bianca eine Idee. Sie sucht eine Tonbandkassette heraus, greift zum Mikrofon und kündigt spontan einen Live-Auftritt von Costa Cordalis an. Der Schlagersänger sitzt gerade als Gast in dem Biergarten und lässt sich darauf ein. Kurz darauf ertönt „Anita“. Die Gäste singen lauthals mit – und bleiben. Eine tolle Geschäftsidee, finden später Matti und Sylvie Adler, die den Biergarten betreiben. „Kannst du noch mehr Schlagersänger organisieren?“

So also wurde im Jahr 1990 die Tradition geboren, dass Jürgen Drews und Co. an der Playa de Palma feierlustige Urlauber unterhalten, zumindest laut der RTL-Serie „Der König von Palma“, die jetzt Premiere hat. Die Handlung ist nach Angaben der Macher frei erfunden, das Ambiente dafür umso authentischer. In sechs Folgen reisen die Zuschauer 30 Jahre in die Vergangenheit und begleiten Familie Adler, die einen Biergarten am Ballermann eröffnet. Der Laden erlebt einen rasanten Aufstieg. Doch das lukrative Geschäft mit dem Massentourismus ist hart umkämpft, und die Adlers müssen immer mehr Grenzen überschreiten. Hier Party, Strand und Aussteiger-Träumer, dort Bestechung, Erpressung und Gewalt.

Erster Mallorca-Urlaub von Bianca (Mi.) und Annet (li.). | FOTOS: RTL/PEP BONET

Die Playa de Palma flimmerte im deutschen Fernsehen bislang meist als seichte Komödie („Ballermann 6“) oder als Material für zuweilen alarmistische Boulevardberichte über den Bildschirm. Jetzt wird sie als aufwendig produzierte, Netflix-Publikum-kompatible Serie gestreamt und zeigt, dass der Mikrokosmos an Mallorcas wichtigstem Urlauberstrand eine Fundgrube für Drehbuchschreiber ist. Dabei wird „Der König von Palma“ auf drei Ebenen erzählt. Sie sind verknüpft durch die Off-Stimme von Kellnerin Bianca – aus welcher Perspektive sie erzählt, wird aber erst am Ende klar.

Drei Ebenen, drei Themen

Da wäre zum einen die intensiv gespielte Familiengeschichte, die bereits allein die Serie tragen könnte. Matti will Abenteuer erleben statt als Autoverkäufer seinem Chef gehorchen. Seine Frau Sylvie will Sicherheit und folgt nur widerwillig auf die Insel. Der Ballermann ist für die Familie ebenso Chance zum Neustart als auch Bewährungsprobe – zwischen Matti und Kellnerin Bianca knistert es, und die beiden Kinder drohen zwischen Schanktresen und Spielsalon unter die Räder zu kommen.

Disco-König Díaz (David Lifschitz) zieht die Fäden. | FOTOS: RTL/PEP BONET

Auf einer mittleren Ebene tobt die Konkurrenz der Geschäftsleute. Freibier- und Promoter-Tricks, Korruption und Bestechung, Schikane und Gewalt – alle Facetten der dunklen Seite des Ballermanns sind vertreten. Die Figuren würde man ohne das Wissen um die Schlagzeilen der vergangenen Jahre als Karikaturen ihrer selbst bezeichnen: Polizeichef Antoni Gomila, der mit jungen Frauen im Arm Kokslinien zieht und willkürlich Lokale schließen lässt. Disco-Unternehmer Manuel Díaz, der mit Goldkettchen und weißem Anzug auf seine Yacht lädt. Drogenbaronin „La Zita“, die Nelkenfrauen befehligt und die Spielsucht von Mattis Bruder Uwe auszunutzen weiß. Und dazwischen die deutsche Familie, die weiter für ihren Traum kämpft, aber anfangs weder die Sprache noch die Spielregeln beherrscht.

Polizeichef Gomila (Pep Tosar) hat Spaß mit Gina (Karolin Oesterling). | FOTO: RTL/PEP BONET

Und dann gibt es eine Meta-Ebene, die Sehnsucht der Deutschen nach Sonne, Freiheit und Abenteuer – nicht umsonst heißt das erste Kapitel „Libertad“. Dortmund, das ist in den Rückblenden grauer Himmel oder ein Hamster in seinem Laufrad. Mallorca, das ist „La isla bonita“, zum Madonna-Song fliegt die Kamera über eine paradiesische Playa de Palma. Noch verstärkt wird das Freiheitsmotiv durch den Mauerfall – die ostdeutsche Bianca wirkt bei der Ankunft auf der Insel wie „Alice im Wunderland“ und lässt für dieses sogar ihren Sohn zurück.

Lucas Cordalis spielt seinen Vater Costa Cordalis. | FOTO: RTL/PEP BONET

Es ist eine ganz stark mit Nostalgie durchtränkte Freiheit. Viele Playa-Szenen wirken dank Filter wie von der VHS-Kassette. Dazu gibt es am laufenden Band optische Retro-Details wie Vokuhila-Frisuren sowie einen Soundtrack, der praktisch die gesamten Charts der damaligen Zeit anspielt – von „Lambada“ über „Wind of Change“ bis hin zur Neuen Deutschen Welle. Für musikalisches Insel-Flair dagegen muss wieder einmal die eigentlich untypische spanische Gitarre herhalten.

Von der DDR an die Playa: Bianca Bärwald (Pia Micaela Barucki). | FOTO: RTL/PEP BONET

Mallorca und die Mallorquiner

Dass Mallorca zur Kulisse der Auswanderer-Träume degradiert ist, kann man der Serie schlecht vorwerfen – diese stehen ja im Fokus. Und das korrupte Nachtleben der Playa bringt es dann auch mit sich, dass es nur wenige „gute Mallorquiner“ gibt. Die meisten erscheinen in irgendeiner Form käuflich, bis hin zur Verwaltungsangestellten, der sich die beschleunigte Ausschanklizenz mit einem belegten Brötchen entlocken lässt. „Auf der Insel ist das eben so“, heißt es an einer Stelle, „ohne Freunde an der richtigen Stelle geht man unter“.

Erster Strandbesuch im Kostüm: Sylvie Adler (Sandra Borgmann). | FOTO: RTL/PEP BONET

Mancher spanische Akzent in den deutschen Dialogen mag etwas aufgesetzt wirken, selten gab es im deutschen Fernsehen jedoch so viel echtes, lediglich untertiteltes Mallorquinisch zu hören. Die Kapitel haben statt deutsche rein spanische Titel. Und jede sich gebende Gelegenheit wird genutzt, um zentrale Facetten der Insel-Tradition zu zeigen, seien es das Schlachtfest, die Jagd oder die Johannisnacht. Es sind die wenigen idyllischen Impressionen, die es gibt, zwischen Gewerbegebiet, Elendsviertel und natürlich dem omnipräsenten Strandleben bei Tag und Nacht.

Dass dabei die Kulisse des Bieradler gar nicht an der Playa de Palma, sondern an der Nordostküste in Can Picafort aufgebaut wurde, können aufmerksame Zuschauer im Laufe der Staffel durchaus merken, trotz des meist in Unschärfe getauchten Hintergrunds der Strandszenen. Beim Blick aufs Meer erscheint mehrfach linker Hand eine Silhouette, die sich eindeutig der Halbinsel La Victòria mit ihrem Sa-Talaia-Massiv zuordnen lässt. Auch ein paar andere Drehorte lassen sich erraten, etwa die Playa de Muro mit ihren charakteristischen Obelisken sowie Ecken in Palmas Innenstadt.

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Ballermann in den 90er-Jahren: So wurde wirklich an der Playa de Palma auf Mallorca gefeiert

Letztendlich aber wird dem Phänomen Ballermann ein Denkmal gesetzt. „Ich hab’s tausend Mal gesehen“, erzählt die Off-Stimme von Bianca. „Die Playa de Palma zieht alle möglichen Leute an. Alle glauben, sie hätten das Zeug mitzuhalten. Aber fast jeder verzockt sich. Und dann wird das Paradies zur Hölle.“ Es ist eine in jeder Hinsicht andere Welt, in die man eintaucht, eine Welt mit Säcken voller Peseten statt Kreditkarten, Telefonzellen statt Smartphones, Sendeschluss und Testbild statt Streaming, wilden Partys statt Social Distancing.

So anders, dass man sich einen Augenblick umgewöhnen muss, wenn man nach dem Schauen der Serie wieder vor die Tür tritt.

Streaming-Premiere

Sechs Folgen à 45 Minuten ab Do. (24.2.) auf RTL+ (tvnow.de, Premium-Abo für 4,99 Euro/Monat, weltweit abrufbar). Zu Ostern (15., 18., 19.4.) dann bei RTL.