Das Grundstück liegt brach, Unkraut wuchert hinter einer graffitibeschmierten Mauer. Vielleicht könnte man die brachliegende Fläche ja gemeinsam nutzen, dachten sich die Anwohner Ende vergangenen Jahres, als sie sich an die Planung eines Straßenfests machten. Zu diesem Zeitpunkt glaubten sie noch, dass das Grundstück dem spanischen Staat gehört. Dann stellte sich heraus: Die Parzelle war in der Wirtschaftskrise an einen Fonds verkauft worden und gehört inzwischen einem Bauträger. „Da schrillten bei uns die Alarmglocken“, sagt Albert Herranz, Sprecher der Anwohnervereinigung Amics de la Casa del Poble. Inzwischen ist bekannt: Die Perlentaucher Holding Balearen S.L. mit Sitz in Port Adriano plant hier den Bau von Luxusapartments.

Die verwaiste Parzelle im Carrer Reina Maria Cristina, unweit der Plaça d’Espanya, ist in zweierlei Hinsicht zum Politikum geworden. Zum einen stand hier Anfang des 20. Jahrhunderts die Casa del Poble, die Mallorcas Arbeiterbewegung gehörte und wo nach dem Franco-Putsch 1936 die Falangisten ihr Lager aufschlugen, um Gefangene zu foltern – ein historischer Ort. Zum anderen reiht sich der Fall in eine Entwicklung ein, die alteingesessene Anwohner Palmas als unkontrollierte Gentrifizierung wahrnehmen. „Das ist nur ein weiterer Schritt in einem Prozess, mit dem die einfachen Leute aus dem Zentrum vertrieben werden“, kritisiert Herranz.

Seit dem Abriss des Komplexes 1975 liegt das Gelände brach. | FOTO: GUILLEM BOSCH

Zuhause der Arbeiterklasse

Die symbolisch aufgeladene Bedeutung der Parzelle hat der Historiker David Ginard in einem von ihm herausgegebenen Buch aufgeschlüsselt („La Casa del Poble i el moviment obrer a Mallorca 1900–1936“). Gestiftet hatte den Komplex der Bankier, Schmuggler-König und spätere Franco-Financier Juan March, wohl mit dem Ansinnen, sich als moderner Kapitalist zu präsentieren. Zwischen 1924 und 1936 versammelten sich hier Arbeitervereinigungen, es gab Vorträge und Schulungen, Theater- und Chortreffen, auch eine Bibliothek und Büros von Kooperativen fanden in der Casa del Poble Platz. Sie war die „Referenz schlechthin“ für Mallorcas Arbeiterklasse, urteilt Ginard, hier sei ihr kollektives Bewusstsein geschmiedet worden.

Umso stärker geriet dieser Ort nach dem Putsch von 1936 ins Visier der Aufständischen. Es war eines der ersten Gebäude, das die Falangisten besetzten. Angehörige des republikanischen Lagers wurden hier verhört und gefoltert. Die Schergen Francos hielten hier auch die Kommunistin und Feministin Aurora Picornell fest, um sie später mit anderen Frauen am Friedhof von Porreres hinzurichten.

Nach dem Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) hatte in dem Gebäude ein Berufsausbildungszentrum seinen Sitz. Im Jahr 1975, als Franco starb und der Übergang zur Demokratie einsetzte, wurde das Gebäude abgerissen, offiziell wegen Baufälligkeit. Dass dabei auch politische Motive eine Rolle spielten, ist nicht bewiesen, aber denkbar: Womöglich wollte das Regime noch schnell ein Symbol der Arbeiterbewegung ausradieren.

Außenansicht des damaligen Gebäudes. | FOTO: AMICS DE LA CASA DEL POBLE

Aufarbeitung der Diktatur ein Tabu

In der jungen Demokratie ab 1978 blieb die Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Diktatur ein Tabu, das Grundstück ging nicht an die Arbeiterbewegung zurück. Die Gewerkschaft UGT wurde entschädigt, die Parzelle blieb weiter in öffentlicher Hand – bis zum Jahr 2014. Nach zunächst zwei erfolglosen Versuchen, sie zu versteigern und so Geld in die Staatskasse zu spülen, erwarb ein Fonds das Grundstück – um es als Bauland weiterzuverkaufen.

Was genau ist dort geplant? Ein Anruf der MZ im Büro in Port Adriano bleibt erfolglos: Managing Partner James von Enden sei auf Reise und nicht zu sprechen, heißt es im Sekretariat, man wolle sich ohnehin nicht weiter zu dem Thema äußern. Zuvor hatte von Enden gegenüber der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“ erklärt, dass man ein Gebäude mit Apartments errichten und mit dem Projekt das Viertel aufwerten wolle. Im Übrigen habe er vollsten Respekt für die Gründe, weswegen die Anwohner verärgert sein könnten, wird der deutsche Unternehmer vom „Diario de Mallorca“ zitiert.

Auch die Anwohner versuchten erfolglos, von Enden zu kontaktieren – man habe kein Feindbild, sondern wolle sich mit ihm austauschen, so Sprecher Herranz. Er betont zudem, dass die Nationalität der Investoren keinerlei Rolle spiele. Der Konflikt rühre vielmehr aus den sozialen Unterschieden.

Verwaltungsklage eingereicht

Dass der Zug abgefahren zu sein scheint, wollen die Anwohner jedenfalls nicht akzeptieren – trotz Abriss, trotz Verkauf, trotz der Beteuerungen der öffentlichen Hand, dass die zwischenzeitlich erteilte Baugenehmigung nun nicht mehr einkassiert werden könne. Die Anwohner setzen darauf, dass das spanische Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung (Ley de Memoria Histórica) in irgendeiner Weise greifen könnte. „Wir haben Verwaltungsklage eingereicht“, sagt Herranz. Eingaben wurden zudem gegen Palmas neuen Raumordnungsplan gemacht, der gerade öffentlich ausgelegt war. Darüber hinaus vernetzen sich die Anwohner mit Betroffenen anderer Stadtviertel.

Auch wenn es das Gebäude nicht mehr gibt, solle das Grundstück in Zukunft wieder Gemeingut sein, findet Herranz, etwa in Form eines Gesundheitszentrums. Er schließt zudem nicht aus, dass doch noch ein kleiner Rest der Casa del Poble existiert: Im Boden des Grundstücks könnte eine Zeitkapsel deponiert sein, ein Behälter also, in dem bei der Grundsteinlegung zeittypische Dinge für nachfolgende Generationen hinterlegt wurden. Wie etwa für die Amics de la Casa del Poble.