Als Pedro Vaquer 1943 zur Welt kam, da war seine Heimat Cala Ratjada ein kleiner Fischerort. Mit holprigen Schotterwegen, begrenzter Elektrizität und nur wenigen Urlaubern. 20 Jahre später sprossen Hotels, Tanzlokale und sogar eine Disco aus dem Boden – in etwa zeitgleich wie die ersten Barthaare aus den Wangen des damals jungen Mallorquiners. Pedro Vaquer ist parallel zum Tourismus in Cala Ratjada groß geworden, hat seinen Aufschwung erlebt, sein Glück mit ihm gemacht und seine Früchte gekostet. „Ohne die Urlauber wäre der Ort ein ganz anderer – und ich auch“, sagt er.

Eines ist klar: In keiner Lebensphase verändert man sich so stark wie in den ersten zwei Jahrzehnten. Dass in genau dieser Zeit auch seine Heimat einen radikalen Wandel miterlebt hat, wurde Pedro Vaquer erst rückblickend so richtig klar. Der 78-Jährige erinnert sich noch gut an das Cala Ratjada seiner Kindheit. „Die Fläche umfasste nur einen Bruchteil des heutigen Ortes. Hinter der Kirche begann bereits der Kiefernwald bis zur Cala Agulla.“ Auch die Infrastruktur war eine gänzlich andere. „Wo heute der Club La Santa ist, stand damals die Elektrizitätszentrale.“ Nur von 19 Uhr bis Mitternacht gab es Strom, dann wurde abgeschaltet. „Wenn wir als Jugendliche ins Theater in Capdepera gingen, wo sie am Wochenende Kino veranstalteten, mussten wir nach der Vorstellung immer zurück nach Cala Ratjada rennen, um nicht im Stockfinsteren zu Hause anzukommen.“

Die Dorfschule war in einer Wohnung über dem heutigen Restaurant Kaktus untergebracht. „Don Vicente war der einzige Lehrer, er unterrichtete alle Schüler im Alter zwischen fünf und 18 Jahren. Alle kannten alle, es war schön“, sagt Pedro Vaquer und schmunzelt. Das kleine bisschen Wehmut in seiner Stimme kann er nicht verbergen. Aber es verschwindet auch schnell wieder.

Cala Ratjada wurde zum Touristenmagnet: Vaquers Eltern eröffneten eine Pension

Pedro Vaquer ist ein offener Mensch. Wenn man so will, ist er kein typischer Mallorquiner. Und dann wieder doch. „Meine Mutter stammt aus Capdepera, mein Vater aus Cala Ratjada. Ich bin Mallorquiner de toda la vida“, sagt er in seiner angenehm unaufgeregten Art, die gleichzeitig vermittelt: Was schert uns schon die Nationalität? Wenn der Tourismus nicht parallel zu ihm im Küstenort herangewachsen wäre, dann wäre Vaquer vielleicht Handwerker geworden wie sein Vater und Generationen vor ihm. Oder Fischer, wie so viele im Ort. Er hätte vermutlich weder Deutsch gelernt, noch wäre er so viel herumgereist. Hätte seine jungen Erwachsenenjahre mit gradliniger Arbeit statt einem Mix aus Schuften und Feiern verbracht. Und ganz sicher hätte er nicht so viele Freundschaften zu Deutschen geschlossen, die ein Leben lang halten sollten.

Es war Ende der 50er-Jahre, als seine Eltern ihre Berufe aufgaben und – wie so viele – auf den Tourismus-Zug aufsprangen, der immer weiter Fahrt aufnahm. Zunächst mieteten sie ein Haus nahe der Kirche und eröffneten dort die Pension Tres Pinos. „Es kamen vor allem junge Franzosen. Das waren wilde Zeiten“, berichtet Vaquer und muss lachen. „Einmal habe ich zum Dorfpfarrer gesagt, dass ich in einer Nacht mehr Paare verheirate als er in einem ganzen Jahr.“ Mit der Geschlechtertrennung auf den Zimmern nahmen es die ausländischen Gäste nicht so ernst – und die Vaquers ließen sie gewähren.

Anfang der 60er waren im Ort bereits zahlreiche Gästeunterkünfte in Betrieb. Das dorfälteste Hotel Bambu bekam nun von allen Seiten Konkurrenz, und auch die Familie Vaquer blieb am Ball. Während die Brüder Jaime und Juan Sastre 1963 auf einem Grundstück gegenüber der alten Elektrizitätszentrale die Lizenz für das erste große Tanzlokal erwarben – noch heute zieht das Bolero Einheimische und Urlauber an – machten sich Pedro, sein älterer Bruder Miguel und seine Eltern im selben Jahr daran, neben ihrer Pension ein neues Gebäude zu bauen. Ein richtiges Hotel sollte es werden.

Wenig später eröffnete das Hotel Vaquer, mit 35 Zimmern und hauptsächlich deutschen Gästen. „Meine Mutter stand in der Küche, mein Bruder an der Rezeption, ich war für die Bar und den Speisesaal zuständig“, erzählt Pedro Vaquer. Doch, die Deutschen hätten auch damals schon viel getrunken. Mit Anfang 20 störte ihn das nicht – der junge Pedro war begeistert, dass Leben ins Dorf kam. Im Sommer zog er fast jede zweite Nacht mit den Gästen um die Häuser. „Ich hatte abwechselnd einen Tag frei und arbeitete dann einen Tag.“

Vaquer ist vom Akteur zum Beobachter des Tourismus in Cala Ratjada geworden

Die Beziehung zu den Urlaubern sei damals eine ganz andere gewesen als heute. „Viel persönlicher, zumal die meisten jedes Jahr wiederkamen.“ Tatsächlich schloss er damals richtige Freundschaften mit den Besuchern aus der BRD. „Mit einigen habe ich bis zu ihrem Tod den Kontakt gehalten“, sagt Vaquer. Damals, in seinen 20ern, fuhr Vaquer gemeinsam mit einigen Kumpels aus dem Dorf sogar jeden Winter nach Deutschland, um die deutschen amigos zu besuchen. „Wir waren zigmal in Köln, und ich habe im Laufe der Jahre von Stuttgart bis Hamburg fast alles gesehen.“

Langsam reifte der Tourismus, und auch Vaquers turbulente Jugendzeit endete 1973, als er mit 31 Jahren die Schwägerin des Dorfarztes kennenlernte. Micaela aus Vilafranca war häufig in der Wohnung des Doktors, gegenüber dem Hotel Vaquer, zu Besuch. „So kam eins zum anderen, und wir heirateten“, erzählt Vaquer.

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Gut ein Jahr lang wohnte er mit ihr bei ihrer Familie – und merkte, wie sehr sich das Leben im Inselinneren mittlerweile von dem in seinem wuseligen Küstenort unterschied. „Dann wollte ich wieder zurück. Mir gefiel es in Cala Ratjada einfach besser, und Micaela kam mit mir.“ Kurz darauf bekamen die beiden zwei Töchter, auch Pedros Bruder Miguel wurde Vater. „Um drei Familien zu ernähren, warf unser Hotel nicht genug ab, also fing ich als Angestellter im Hotel Regana an und blieb dort 35 Jahre lang“, so Vaquer.

Seit 15 Jahren ist er im Ruhestand, geht abends kaum noch aus. Vom Akteur ist er zum Beobachter des Tourismus in seinem Heimatort geworden. „Cala Ratjada wäre es wohl auch ohne die Urlauber gut ergangen. Zumindest den Fischern.“ Missen will er den Fremdenverkehr trotzdem nicht – und das nicht nur, weil seine jüngere Tochter Cristina bis heute in der Hotelbranche tätig ist. „Er hat vieles verändert, aber viel Gutes gebracht.“ Ein Leben voll bunter Erinnerungen zum Beispiel. Erinnerungen an ein Dorf im Wandel.