Wo eigentlich gar keine Autos verkehren dürfen, herrscht in diesen Tagen ordentlich Verkehr. Baufahrzeuge, ein Transporter mit einem WC-Häuschen, Pkw treffen am Herrenhaus der Finca Galatzó ein. Aus den ehemaligen Stallungen unterhalb der possessió tönt Baulärm. Eine Gruppe deutscher Senioren berät gerade, in welche Richtung die Wanderung führen soll. Mehrere Guides der Stiftung Amadip-Esment stehen vor der Sonnenuhr des Gutshauses und warten auf Fragen interessierter Besucher. Und auch ein paar Bergläufer sind unterwegs.

Dabei ist das Landgut, das die Gemeinde Calvià vor inzwischen 16 Jahren erworben hatte, ein idyllischer Ort, an dem Ausflügler meist allein mit den Wildziegen sind, zumindest jenseits des Herrenhauses. Das rund 1.400 Hektar große Gebiet nimmt ein Zehntel der Gemeinde Calvià ein. Zwischen dem Puig de Galatzó (1.026 Meter) und dem s’Esclop (925 Meter) mit ihren Panorama-Blicken auf Südwestküste und Meer winden sich versteckte, nur zum Teil ausgeschilderte Wege durch die wilde Natur – und führen doch immer auch an Zeugnissen der früheren Bewirtschaftung vorbei.

Die jetzige Betriebsamkeit sei zwar kein Erwachen aus dem Dornröschenschlaf, aber derzeit seien gleich mehrere Projekte in der heißen Phase, erklärt Rafel Sedano, Umweltdezernent der Großgemeinde Calvià: „Die Arbeit kam hier nie zum Erliegen, aber derzeit passiert besonders viel.“ Vor allem aber: Statt ein Nebeneinander von kleinen Projekten gebe es jetzt ein gemeinsames Konzept der beteiligten Institutionen. Die Ziele lauten: das Kultur- und Naturerbe bewahren, ein Naherholungsgebiet für Einheimische schaffen, Anreize für Urlauber in der Nebensaison bieten.

Sergi Vargas, Juan Salguero, Albert Sentís, Rafel Sedano (v. li.). | FOTO: BENDGENS

Orangensaft made in Galatzó

Sedano zeigt auf den Hang, der sich bei Ankunft am Herrenhaus rechter Hand erstreckt: „Da sah man vor Kurzem nur Kiefernwald.“ Die Bäume sind gefällt, und zu erkennen sind wieder die Haine mit Orangen- und Olivenbäumen, die hier früher einmal bewirtschaftet wurden. Auch wenn sie Früchte tragen, sind es zum Teil altersschwache Gerippe, die noch durch Jungpflanzen ersetzt werden sollen.

Für die Forst- und Gartenarbeiten sind fünf Mitarbeiter von Amadip-Esment zuständig. Die Stiftung, die Menschen mit Behinderung in Arbeit bringt, hat seit Januar vergangenen Jahres eine Konzession der Gemeinde Calvià inne, das Projekt läuft über drei Jahre. „Wir wollen die Orangenproduktion wieder in Gang bringen“, erklärt Albert Sentis, der den Trupp koordiniert, „ab Oktober pflanzen wir 500 Jungbäume“. Amadip-Esment betreibt schließlich mehrere Restaurants und Cafés, dort werde in Zukunft dann auch Orangensaft von der Finca Galatzó ausgeschenkt. Auch andere auf der Finca angebaute Produkte sollen verarbeitet werden, beispielsweise xeixa, eine alte Getreidesorte, die wieder ausgesät wird. Und die bislang lediglich zwei auf dem Landgut gehaltenen Esel werden dann Gesellschaft von Schafen, Kühen und Hühnern bekommen.

Sentis führt den Besucher an einem restaurierten Wasserkanal entlang, von der Leitungen in die Haine abzweigen – ein raffiniertes Bewässerungssystem, dank dem sich die possessió früher selbst versorgen konnte. Der Weg führt hinauf zu zwei safareigs. Einer der beiden Wasserspeicher ist dank Geldern aus der Touristensteuer restauriert und gut gefüllt, der zweite soll ebenfalls wieder in Betrieb gehen. Gerade reinigen zwei Arbeiter eines ABM-Projekts die Leitung oberhalb der Speicher. Früher einmal floss das Wasser von der Font des Ratxo knapp zwei Kilometer bis hierher. „Wir werden aber auch eine Tröpfchenbewässerung installieren“, erklärt Sentis, das sei wassersparender.

Haben viel zu erzählen: die Guides der Stiftung Amadip-Esment. | FOTO: BENDGENS

Die Herberge nimmt Form an

Hier oben von den safareigs aus bietet sich ein guter Blick auf den gesamten Komplex. Unterhalb des Herrenhauses, wo früher die Schweine gehalten wurden, entsteht gerade eine Wanderherberge. Die Arbeiten sind weit fortgeschritten, die hölzerne Dachverkleidung ist bereits fertig. Das refugi mit 52 Plätzen in zwölf Schlafzimmern soll im Herbst eröffnen. Mallorcas Inselrat finanziert die Baukosten über 1,4 Millionen Euro ebenfalls aus der Touristensteuer.

Es wird dann die erste Herberge auf dem Tramuntana-Fernwanderweg GR221 beim Start im Südwesten sein. Auf dem Teilstück Es Capdellà–Estellencs – diese „Variante B“ führt quer über die Finca Galatzó – steht zwar auch die Herberge Coma d’en Vidal, diese ist aber unbewirtschaftet und kann nur im Ganzen gemietet werden. Die künftige Galatzó-Herberge ist trotz der idyllischen Lage leicht erreichbar, der Parkplatz nur rund einen Kilometer entfernt.

Der Herzstein lässt den Herzschlag des bösen Grafen fühlen. Man muss nur fest genug drücken. | FOTO: BENDGENS

Auf historischen Wegen

Der GR221 ist so etwas wie die Autobahn der Wanderer, viele andere Wege auf der Finca Galatzó sind aber nicht ausgeschildert und nur sparsam markiert. Bekannter machen soll sie auch der Galatzó-Trail, dessen Strecke für die diesjährige Ausgabe am 13. März beträchtlich verändert wurde. Besonders auf der Langstrecke (43 Kilometer) wurden weniger bekannte Wege aufgenommen, etwa der camí de sa Font Nova, den früher die Menschen aus Galilea auf dem Weg zur Arbeit auf der possessió beschritten hatten.

Der Galatzó Half mit seinen 23 Kilometern wiederum führte erstmals auf den s’Esclop. Auf dem Tafelberg stehen Reste einer Hütte, in der im Jahr 1808 der französische Astronom François Arago ausharrte, um komplizierte Vermessungsarbeiten auszuführen. Seine Mission: die exakte Bestimmung der Länge eines Meters mittels der Vermessung von Teilen des Nullmeridians. In den Wirren der Napoleonischen Kriege wurde er aber für einen Spion gehalten und musste, verkleidet als mallorquinischer Bauer, von der Finca und der Insel fliehen.

Führung gefällig?

Es gibt viele Geschichten und Legenden rund um die Finca, und am vergnüglichsten berichten davon die Guides einer Gruppe, die im Rahmen eines weiteren Projekts von Amadip-Esment auf dem Landgut tätig ist. In der Sala del Cor des Herrenhauses wird der MZ-Reporter aufgefordert, seine Hände fest gegen einen herzförmigen Stein in der Wand zu pressen – laut Legende ist es das versteinerte Herz des Comte Mal. Wenn man nur fest genug drücke, spüre man den Herzschlag des für seine Grausamkeiten berüchtigten einstigen Hausherrn. Mit viel Begeisterung sowie ein paar Ergänzungen von Betreuerin Ruth Gomis erklären die Guides auch die restliche Finca, etwa die tafona, eine 2012 aufwendig restaurierte Ölmühle, die einst von zwei Eseln betrieben wurde.

Auch wenn die possessió restauriert ist, hat sie bislang keinen richtigen Verwendungszweck. Die einstigen Wohnräume im Hauptgebäude werden vielmehr als Lager für die Ernte genutzt. Das soll sich in Zukunft ändern, zumal dann die restaurierten Kuhstallungen als Lager dienen sollen. Also ein Museum einrichten? Oder moderne Büroräume nach dem Vorbild des Landguts Raixa? Gemeinderat Sedano spricht von „Alternativen zum Tourismus“, von Bildungskursen für Bergführer oder Forstarbeiter oder auch Tagungen von Existenzgründern. Begeistert erinnert sich der Politiker der Linksgruppierung Podem-Més auch an ein stimmungsvolles Konzert des Gemeindeorchesters von Calvià auf der Finca.

Auch wenn diese Pläne noch festgezurrt werden müssen, steht fest: Die Finca wird „für immer“ Allgemeingut sein. So sieht es jedenfalls die Eintragung im Katalog öffentlicher Landgüter vor, die das Linksbündnis im Rathaus Calvià Ende vergangenen Jahres veranlasste. Das ist freilich die Theorie, so Sedano. Nun gehe es darum, dass sich die Bürger auch mit „ihrer Finca“ identifizierten.