Frau Jäger, Sie gründeten 1993 den ersten anerkannten Waldkindergarten Deutschlands. Ungewöhnlich für eine Bürokauffrau.

Die Ausbildung zur Bürokauffrau machte ich, weil es sich ergab, aber ich habe mich da nie wirklich gesehen und schnell entschieden umzusatteln. Ich machte eine Ausbildung zur Erzieherin und arbeitete zunächst in einer herkömmlichen Kita. Ich merkte aber schnell, dass Freiheit, Abenteuerlust und Risikobereitschaft – alles wichtige Entwicklungsaspekte – in so einer Kita nicht erlebbar sind. Durch Zufall stießen eine Kollegin und ich auf einen Artikel über einen Waldkindergarten in Kopenhagen und waren begeistert. Zwei Jahre später bekamen wir die Anerkennung. Mittlerweile gibt es rund 2.500 Waldkindergärten in Deutschland und fast wöchentlich neue.

Seit 30 Jahren verbringen Sie jeden Vormittag in demselben Wald. Nur bei Gewitter oder Sturm suchen Sie Schutz in einer Hütte. Haben Sie immer noch Lust dazu?

Es ist sogar der gleiche Wald in Flensburg, in dem ich auch in meiner Kindheit schon viel gespielt habe. Klar, hier im norddeutschen Wetter sitzen wir oft bei zwei Grad und Regen in der Matsche. Aber die Antwort ist ganz klar: Ja, ich bin nach wie vor mit Leidenschaft dabei. Zumal wir mittlerweile viel weiter sind mit dem Denken. Kinder und Natur gehören einfach zusammen, das zeigt auch die Entwicklungspsychologie immer mehr, Stichwort Waldbaden. Das Thema ist groß aufgeblüht und daraus ist ein breiter Strauß geworden. Das motiviert.

Als Referentin für Naturpädagogik sind Sie weltweit tätig und unterstützen neue Waldkindergartenprojekte. Ist dieses skandinavische Erziehungskonzept überhaupt auf südliche Länder wie Spanien übertragbar?

Jedes Land hat seine eigene Bildungssuppe auszulöffeln. Aber selbst in Südkorea wurde ein Waldkindergarten ins Leben gerufen, der genauso funktioniert wie bei uns. Kinder kommen mit dem Bedürfnis auf die Welt, sich frei entwickeln zu wollen und da gehört die Natur einfach dazu. In der Hinsicht ist es richtig, alle auf einen Weg zu schicken, unabhängig von der Kultur des Landes. Auf dem spanischen Festland entstehen immer mehr Naturkindergärten, ich habe schon hervorragende besucht. Und dann kommen die klimatischen Voraussetzungen hinzu, die im Süden bombastisch sind. Bezüglich Mallorca muss man sagen: Wenn nicht da, wo dann? Es braucht auch keine riesigen Wälder. Ein Hofgelände wie im S'Hort Vell ist großartig.

Petra Jäger gründete 1993 Deutschlands ersten anerkannten Waldkindergarten. Nele Bendgens

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Im Alter von drei bis sechs Jahren steht für Kinder in Spanien die Vorschule an, mit Fächern, Stillsitzen und Schreibenlernen. Kann ein Waldkindergarten da mithalten?

Früher forderten Grundschullehrer in Deutschland vor allem, dass Kinder bei der Einschulung ruhig sitzen und mit Stift und Schere umgehen können müssen. Heute sagen viele: Bringt uns Kinder, die gespielt haben. Die selbstwirksam und selbstbestimmt handeln können. Und dafür braucht es einen Raum frei von Bewertungen und Druck, die Natur eignet sich dafür am besten. Wir wollen doch keine Kompetenzmaschinen, die im Start schnell sind, aber am Ziel ins Straucheln kommen. Es gibt so viele Erwachsene, die am System erkranken, ausbrennen. Die fremdbestimmt sind, nicht tun, was sie eigentlich möchten. Wir müssen das Bildungssystem und die Haltung gegenüber dem Kind verändern. In Deutschland ist man da mittlerweile schon etwas weiter als in Spanien, aber auch auf Mallorca wird sich das weiter festigen.

Nicht alle hatten das Glück, ihre Kindheit im Wald zu verbringen. Was raten Sie ausgebrannten Erwachsenen?

Von dem Satz „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ halte ich nicht viel. Gerade die Natur kann einen „nachbeeltern“, wie ich gerne sage. Also uns Schutz und Stärke geben und helfen bei Krisen, Kummer und Rastlosigkeit. Auch denen, die von sich behaupten, ein Stadtmensch zu sein. Die haben sich dann von sich selbst abgekapselt. Jeder sollte mindestens eine halbe Stunde am Tag in der Natur verbringen. Wenn man noch keinen Zugang zur Natur hat, hilft es, sich ihr in kleinen Schritten hinzugeben. Also nicht gleich ein Wochenende im Wald alleine nächtigen. Ich rate, einen schönen Platz zu finden, diesen regelmäßig aufzusuchen und sich einfach 15 Minuten dort hinzusetzen und zu schauen. Dann wird die Natur Impulse geben, da passieren Wunder, das kann ich versprechen.

Tagung zum Thema Naturkindergärten auf Mallorca

Petra Jäger wird am Samstag (26.3.) in Biniali bei der Tagung „Infancia i Natura“ von 12 bis 14 Uhr auf Englisch einen Vortrag zum Thema Naturpädagogik halten. Weitere Referenten: Angèlica Sátiro und Heike Freire. Die Teilnahme inklusive Essen kostet 100 Euro. Infos und Anmeldung auf bit.ly/naturkind. Die Tagung findet auf dem Gelände des Natur- und Therapiehofs S’Hort Vell (Landstraße Ma-3020 St. Maria -Sencelles, Km 8 bei Biniali) statt. Dort gibt es seit Oktober 2020 auch den Naturkindergarten „Escola Nexes“. Weitere Naturkindergärten auf Mallorca sind u. a. „Ses Milanes“ in Bunyola (facebook.com/sesmilanes) und „A Lloure“ in Esporles (facebook.com/creixent.alloure/).