Eigentlich will Annge Mohamed Embarek mit Politik nicht viel am Hut haben. Ihre Leidenschaft gehört der Gastronomie, in Palma studiert sie an der Berufsfachschule Juníper Serra Gastronomiemanagement. Doch als die 26-Jährige vor zwei Wochen mit einem von ihr kreierten Dessert den spanienweiten Wettbewerb der Kochschulen „Protur Chef“ gewann, rückte auch ihre Herkunft aus der Westsahara ins Rampenlicht. Denn wenige Tage zuvor hatte Spanien eine historische Kehrtwende in seinen Beziehungen zu der ehemaligen Kolonie vollzogen und sich der Position Marokkos angenähert: Rabat lehnt ein Referendum in der 1975 annektierten Westsahara ab. Das Volk der Sahrauis dagegen will die Unabhängigkeit.

Mohamed Embarek wurde im algerischen Tindouf geboren. Hier, nahe der Grenze, leben seit ihrer Vertreibung im Westsahara-Konflikt weit über 100.000 Sahrauis in Flüchtlingslagern. Von dort kam Annge 2002 als Siebenjährige im Rahmen eines Austauschprogramms (Kasten) erstmals nach Mallorca. Für ihre Ausbildung blieb sie bei ihrer Gastfamilie auf der Insel. Die Leidenschaft zur Gastronomie habe sie sowohl von ihrer Familie in Tindouf als auch von ihrer Gastmutter auf Mallorca mitbekommen, so Mohamed Embarek, die die Fragen der MZ per E-Mail beantworten wollte.

Wie war es für Sie, in einem Flüchtlingslager aufzuwachsen?

Ich erinnere mich an viele Zelte mitten im Nirgendwo, in der Wüste, mit Temperaturen von weit über 40 Grad am Tag und unter null in der Nacht. Es ist schrecklich, wenn es Sandstürme gibt und sich die Dünen bewegen, dann muss das ganze Lager umziehen. Und wenn es regnet, stürzen die Lehmhäuser ein. Hilfsorganisationen kümmern sich um die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung, aber es gibt nur das Nötigste. In den Lagern aufzuwachsen ist sehr hart. Meer, Wälder oder Tiere kamen nur in den Erzählungen unserer Eltern vor. Ich wusste nicht, wie das Meer aussieht, bis ich nach Mallorca kam.

Hat sich die Lage in den Lagern seitdem etwas verbessert?

Die Sahrauis haben sich in dieser Zeit so gut es geht organisiert, um sich untereinander zu helfen, aber die Lage ist immer noch sehr kritisch. Wir fühlen uns von der UNO in keiner Weise unterstützt und fordern lediglich ein Referendum, damit wir wählen dürfen und unser Land zurückbekommen.

Sie sind mit sieben Jahren nach Mallorca gekommen. Wie hat sich das angefühlt?

Von Tindouf aus wirkt Mallorca wie ein Paradies. Und als ich hier ankam, war alles wie im Film „Avatar“, ich war von allem begeistert.

Fühlen Sie sich heute als Mallorquinerin oder als Angehörige der Sahrauis?

Die Lager sind ein großen Teil von mir, der da ist und dringend Hilfe braucht. Ich fühle mich mallorquinisch, weil ich hier aufgewachsen bin, aber ich fühle mich auch sahrauisch, weil ich dort meine Familie habe.

Wie ist die Situation der Menschen in Ihrem Alter in Tindouf?

Die jungen Leute sind arbeitslos, sie haben nichts und können nichts tun, weil es nichts gibt. Sie lernen das, was die Älteren ihnen beibringen können, und sind dann frustriert, weil sie nichts aus ihrem Leben machen können, es ist wie in einem Gefängnis.

Versuchen Sie in Ihrem Alltag, die Situation Ihrer Landsleute zu erklären?

Jedem, der sich für die Sahrauis interessiert, erkläre ich ihre Situation, auch wenn es nicht leicht zu verstehen ist. Ich versuche es mit einem Beispiel, ich sage dann: Du als Spanier hast nichts gegen die Franzosen oder Portugiesen, aber du willst sicher nicht Franzose oder Portugiese genannt werden. Und so ist es auch mit der Sahara und Marokko.

Wie haben Sie die Entscheidung Spaniens aufgenommen, sich an die Position Marokkos anzunähern, das ein Referendum über die Westsahara ablehnt?

Wir sind schockiert, dass ein freies Land wie Spanien einen Deal mit einem extremistischen monarchistischen Land aushandelt und dabei über das Leben Hunderter unschuldiger und schutzbedürftiger Flüchtlinge hinweggeht, die gezeigt haben, dass sie keine Marokkaner sind und auch nicht sein wollen. Wir haben nichts gegen das marokkanische Volk, aber sehr wohl etwas gegen seine Regierung. Wir identifizieren uns nun einmal nicht als Marokkaner, weil wir nie Marokkaner waren. Wir fühlen die gleiche Frustration und Hilflosigkeit wie das ukrainische Volk. Die Sahrauis wollen eine friedliche und gerechte Lösung, sie wollen kein Blutvergießen. Sie harren bereits seit mehr als 47 Jahren aus.

Prägt Ihre Herkunft Sie auch beruflich, wenn Sie in der Küche stehen?

Ehrlich gesagt überhaupt nicht. In den Lagern geht es darum, Lebensmittel für die tägliche Mahlzeit zu haben. Die Menschen ernähren sich von dem, was sie bekommen können. Die sahrauische Gastronomie ist mir unbekannt. Alles, was ich weiß, habe ich hier gelernt.

Wirkt sich der Westsahara-Konflikt auf Ihre weiteren Lebenspläne aus?

Im Moment ist es mein Ziel, meine Ausbildung in der Gastronomie fortzusetzen. In Zukunft möchte ich jenen eine Ausbildung oder eine Arbeit ermöglichen, die sich für die Gastronomie begeistern. Meine Leidenschaft gehört dem Konditorhandwerk. Als gute Köchin möchte ich die Menschen zusammenbringen und nicht trennen, wie es die Politik tut.

Programm für Sahraui-Kinder wird wieder aufgenommen

Nach der coronabedingten Pause beginnt die Vereinigung der Freunde des Sahraui-Volks auf den Balearen wieder ihr alljährliches Austauschprogramm: Familien auf der Insel können im Juli und August Kinder aus Tindouf bei sich aufnehmen. Die Mädchen und Jungen sollen einen schönen Sommer haben, es geht den Amics del Poble Saharaui aber auch um die Sensibilisierung für den Konflikt (saharaillesbalears.org).