Mallorca Zeitung

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Warum Son Serra de Marina ein einzigartiger Urlaubsort auf Mallorca ist

In der Siedlung am Südende der Bucht von Alcúdia scheint die Welt noch in Ordnung. Das liegt an der Natur, aber auch an den Menschen, die hier leben

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Son Serra de Marina auf Mallorca: Urlaubsfeeling am Naturstrand ohne Massenabfertigung Nele Bendgens

Demonstranten am Strand, mit Spruchbändern in der Hand, entschlossenem Blick und lauter Stimme. So viele, dass kaum noch Sand zu sehen ist. Gut sechs Jahre ist es her, dass die Einwohner von Son Serra de Marina sich auflehnten. Gegen geplante Strandkioske, Sonnenliegen, Sonnenschirme und den Massentourismus. Erfolgreich. Unterstützung bekamen sie damals, im Januar 2016, von der ganzen Insel – Son Serra liegt nicht nur jenen am Herzen, die ständig dort wohnen. Es ist ein Ort der Sehnsucht, für Mallorquiner anderer Gemeinden ebenso wie für viele ausländische Residenten. Nicht selten wird es als „letztes Paradies“ Mallorcas beschrieben. Zu pathetisch? Vielleicht. Ein besonderer Fleck aber ist Son Serra de Marina auf jeden Fall.

Ja, es gibt sie auch hier, die typischen Ansichtspostkarten und das Plastik-Strandspielzeug. Cati Vives hat es extra in einem Rollständer auf die Terrasse gestellt, gleich neben das Sonnencreme-Regal, gut sichtbar für jeden vorbeilaufenden Urlauber. „Natürlich ist Son Serra ein Urlaubsort. Aber eben anders“, sagt Vives. Seit 26 Jahren lebt sie ganzjährig hier und führt den einzigen Tabakladen. Ein Familienbetrieb, den einst ihr Großvater eröffnete. Im Winter hat er nur vormittags ein paar Stunden geöffnet. Jetzt, wo der Sommer vor der Tür steht, auch am Nachmittag.

Voller wird es nur zu den Schulferien

Nicht dass es schon merklich voll wäre im Ort. Die meisten Straßen mit den hübschen ein- und zweistöckigen frei stehenden Häuschen liegen am Freitagvormittag (20.5.) verlassen in der Sonne, bei vielen sind die Fensterläden noch verrammelt. „Aber wenn Mitte Juni die Schulferien beginnen, kommen sie alle wieder“, sagt Cati Vives. Die Zweithausbesitzer. Aus Palma, aus Santa Margalida, aus dem Inselinneren. Insulaner, die zumindest an den Wochenenden oder im Sommer auch ein wenig Mallorca-Urlaubsfeeling erleben möchten.

In Son Serra haben sie den Raum dafür. Hier herrscht keine Massenabfertigung. Trotz ihrer Premiumlage am Meer ist die Siedlung zwischen Colònia de Sant Pere und Can Picafort nicht zum touristischen Themenpark verkommen. Es gibt keine Hotels, keine Touristen-Info und eben auch keine Bewirtschaftung am Strand. Andererseits fehlen auch eine Bankfiliale, ein Kindergarten, ein großer Supermarkt. Cati Vives zuckt die Schultern. „Wir haben doch alles, um uns wohlzufühlen.“ Drei Naturstrände und ein Kiefernwald, was wolle man mehr. Nicht zu vergessen der Seniorenclub und der soziokulturelle Treffpunkt Espai Social, wo auch Sportkurse angeboten werden. Und die Kleinsten könnten im betreuten Busshuttle bis zur Kinderkrippe im zwölf Kilometer entfernten Santa Margalida fahren. „Wer hier wohnt, mag eben diese Ruhe.“

Keiner wohnt hier länger als Juan Llinas

Juan Llinas betritt den Tabakladen. Die Touri-Artikel am Eingang würdigt er keines Blickes. Er will eine Zeitung kaufen, so wie jeden Morgen. Als er fünf Jahre alt war, zog seine Familie nach Son Serra – vor mittlerweile 82 Jahren, berichtet der Rentner auf Spanisch. Er wechselt immer wieder ins Mallorquinische, redet mit einer leidenschaftlichen Ruhe, die irgendwie symbolisch ist für diesen Ort, den er Heimat nennt. „Kaum einer wohnt länger hier als ich“, betont er. Entsprechend könne sich auch kaum einer so gut wie er daran erinnern, wie es früher hier ausgesehen habe. „Es gab nichts. Keine Häuser, keine Wege, nicht einmal Bäume standen hier nahe der Küste.“ Nur das alte Landgut Son Serra, einige Kilometer landeinwärts gelegen. Eine possesió, von der aus die Gegend bewirtschaftet wurde. Nicht direkt am Meer, versteht sich – da taugt der Boden nicht für Landwirtschaft.

„Mitte der 50er-Jahre begannen sie dann, die Gegend in Grundstücke einzuteilen, eins neben das andere, ganz gradlinig, und zu verkaufen“, so Llinas. Umgerechnet 400 Euro für den Baugrund habe man damals aufbringen müssen, 500 Euro, wenn es sich um ein Eckgrundstück handelte. „Wir dachten, das ist doch Quatsch, wer will schon ein Haus so nah am Meer“, sagt Llinas und verzieht das Gesicht. „Ja, aus heutiger Sicht war das wohl eine Fehleinschätzung.“

Die Liebe, die die Einwohner mit ihrem Wohnort verbindet

Andernorts würde nun wohl ein Klagelied folgen, darüber, dass früher alles besser war. Nicht so in Son Serra. „Es ist auch heute gut. Anders, aber gut“, sagt Llinas schlicht. Sie ist an jeder Ecke zu spüren, diese Liebe, die Einwohner Son Serras mit ihrem Wohnort verbindet. Erstaunlich, in einer Siedlung, in der nur ein Bruchteil der Menschen ganzjährig lebt. Auch Antònia Maria Sureda ist voll der Zuneigung. An ihr kommt keiner vorbei. „Sa Botigueta“, ihr kleines Lebensmittelgeschäft mit angeschlossener Bar ist so etwas wie das gesellschaftliche Dorfzentrum, und das auch schon seit 40 Jahren, in zweiter Generation. In Suredas Fall war es ihr Urgroßvater, der 1955 aus Vilafranca kam und Grundstücke in der neuen Küstensiedlung kaufte. Gegen den Protest seiner Kinder, die ihn für verrückt erklärten. „Aber er sagte, er kaufe sie für seine Enkel, und er hat sein Wort gehalten“, so Sureda. Aus einem Hinterraum des Bar-Bereichs zaubert sie ein altes Fotoalbum hervor. Die obligatorischen Eselkarren-Fotos sind dort zu sehen. Und ihre Vorfahren, strahlend und vereint, in einem Son Serra, das gerade erst aus dem Boden gestampft war.

„Diese Essenz, die den Ort einst ausmachte, ist immer noch zu spüren“, versichert Antònia Sureda. „Dieser Zusammenhalt. Wir sind alle eine Familie.“ Ja, auch die ausländischen Immobilienbesitzer. Sie machen knapp ein Viertel der rund 660 gemeldeten Einwohner aus. Wo sich in anderen Inseldörfern Parallelgesellschaften gebildet haben, scheint man in Son Serra internationale Bande zu knüpfen.

"Eine sehr schöne Gemeinschaft", sagt Esther Schweins

Das versichert nicht nur Antònia Sureda, die nicht müde wird, auf ihrem Smartphone Videos aus den Wintermonaten zu zeigen, auf denen deutsche und mallorquinische Einwohner gemeinsam in ihrer Bar tanzen – sondern auch eine rotblonde Frau, die es sich auf der Terrasse der Botigueta bequem gemacht hat: Esther Schweins, den deutschen Fernsehzuschauern als Schauspielerin und Moderatorin bekannt. „Es ist eine sehr schöne Gemeinschaft hier“, schwärmt die Wahlmallorquinerin, umarmt Wirtin Antònia freundschaftlich und fährt fort: „Son Serra ist für mich einer der schönsten Orte auf der ganzen Welt. Er ist schützenswert und geschützt.“ Seit elf Jahren verbringe sie die Sommer im Küstenort. „Meine Kinder sagen immer, ein Sommer ohne Son Serra ist kein richtiger Sommer.“ Die Kundgebung damals, für den Erhalt des Naturstrands, sei die erste Demo gewesen, an der ihre Kids teilgenommen hätten. „Hier halten alle zusammen und das ist etwas Besonderes“, bekräftigt Esther Schweins.

Das hat auch Walter Frisch erlebt. Er hat es nicht nur in der Dorfgemeinschaft bis in den inneren Kreis geschafft, sondern gehört für Wirtin Antònia Sureda praktisch zur Familie dazu. „Ich nenne ihn meinen deutschen Papa. Er ist der langjährigste Urlauber im Ort“, sagt sie, grinst und gibt auch gleich freimütig seine Handynummer weiter. „Ich war 1969 zum ersten Mal da“, berichtet der Kölner am Telefon. In den ersten 30 Jahren sei er jedes Jahr gekommen, bis vor einem Monat besaß er selbst ein Grundstück. „Ich habe es verkauft, aber ich komme auch weiterhin privat im Ort unter“, sagt er. Es sei in erster Linie die Ruhe, die Son Serra de Marina ausmache. „Ja, der Ort ist gewachsen, und ja, er ist beliebt und zieht Urlauber an. Aber es ist einfach nicht vergleichbar mit den Massenurlaubsorten Cala Ratjada oder Can Picafort. Daran hat sich nichts geändert“, versichert er. Mittlerweile verbinden ihn und die Urmallorquiner viele Jahrzehnte voller Erinnerungen. „Der Zusammenhalt ist wirklich noch immer groß. Aber wer zuzieht, muss es natürlich auch wollen. Wer sich selbst abschottet, bleibt außen vor, ganz klar.“

Man merkt, wie langsam hier das Leben beginnt

Groß Zeit, um Freundschaften zu schließen, hat Selina Roth noch nicht gehabt. Erst Anfang des Monats hat die junge Schweizerin mit Unterstützung ihrer Mutter an der Zufahrtsstraße von Son Serra ein Lokal eröffnet, eine Mischung aus Bäckerei, Konditorei und Eiscafé, in der es auch deutsche Backware gibt. Jeden Tag pendelt sie von Manacor in den Küstenort. „Es waren schon ein paar Mallorquiner hier. Ich hoffe, wir können neben den Deutschen auch sie ansprechen, das ist unser Ziel“, berichtet Roth. Auch deshalb reicht das Sortiment von Mettbrötchen bis Mandeleis. Eher aus Zufall sei sie auf das freie Ladenlokal gestoßen. „Man merkt, wie hier langsam das Leben beginnt. Einige Nachbarn sind bereits in ihre Ferienhäuser gekommen. Mal sehen, wie die Saison wird.“

Bei aller Offenheit: Als ausländischer Gastronom muss man sich auch in Son Serra de Marina erst einmal beweisen, um in der Dorfgemeinschaft akzeptiert zu werden. Das haben auch die Inhaber vom El Sol bei der Eröffnung 2005 erfahren. Das Restaurant direkt am Anfang des großen Sa-Canova-Strands ist ein Publikumsmagnet, spätestens, seit große deutsche Medien wie „Stern“ und „Bild“ es vor Jahren als „Geheimtipp“ anpriesen. „Man wird anfangs von den Einheimischen ganz genau beobachtet. Man braucht viel Geduld“, so Mitinhaber Thomas Heilig. Doch das sind alte Kamellen. „Hier gehen auch die Einheimischen längst ein und aus“, so Mitarbeiter Dennis Völkle. Auch er hat seinen Lebensmittelpunkt vor elf Jahren dauerhaft nach Son Serra verlegt. Naturliebhaber, Hippies, Surfer, aber auch reiche Geschäftsleute oder Promis kämen im El Sol zusammen. „Es ist eine coole Mischung. Jeder ist willkommen. Die Demo 2016 hat das noch verstärkt“, sagt Völkle.

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