Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Anwohner vs. Wirte: Schlammschlacht im Ausgehviertel Santa Catalina

In Palmas bekanntem Viertel wollen die einen in Ruhe schlafen und die anderen in Ruhe arbeiten. Und ein Kompromiss ist nicht in Sicht

Unten Restaurants, oben Wohnungen. Im Carrer de la Fàbrica herrscht bis Mitternacht ein reges Treiben. Dann muss aber alles aufgeräumt werden. | FOTO: JOHANNA RAMTHUN

Es ist dunkel, die Fensterläden sind verschlossen. Die Laternen erleuchten das Kopfsteinpflaster, die rankenbesetzten Balkone, das gelbe Schild mit der Aufschrift „Silenci. Respecte. Civisme“, das ein Nachbar aufgehängt hat. Es bittet um „Ruhe. Respekt. Höflichkeit“.

Unter den Balkonen stehen zwei Männer im Security-Aufzug und sehen sich die jungen Leute an, die in der Nacht von Freitag auf Samstag auf dem Weg in einen der Clubs der Gegend durch die Gassen schlendern. Plötzlich hört man aus der Nachbarstraße jemanden singen. Die beiden Security-Männer sehen sich alarmiert an und geben sich Handzeichen. Der eine trabt los. Kurz darauf ist die Gesangseinlage vorbei.

Nachbarn beschweren sich über "unzivilisiertes Verhalten"

Der Betreiber der beiden Clubs am Ende der Gasse – Sala Luna und Bar Sabotage – hat zusätzliche Sicherheitskräfte angestellt, um im ganzen Block für Ruhe zu sorgen. In der angespannten Situation in den gerade auch unter Ausländern beliebten Stadtvierteln Santa Catalina und Es Jonquet will er nicht noch mehr Ärger.

Die Nachbarn beschweren sich über das „unzivilisierte“ Verhalten der Feiernden, über Lärm, über Bars ohne Schanklizenz. Sie haben das Gefühl, bei der Politik nur mit viel öffentlichem Druck und viel Präsenz in den sozialen Medien etwas zu erreichen. Die Gastronomen fühlen sich von den Nachbarn gemobbt und drangsaliert. Die einen wollen in Ruhe schlafen, die anderen einfach nur ihre Arbeit machen. Die Situation ist festgefahren.

In Santa Catalina bitten Schilder die Feiernden darum, leise zu sein. | FOTO: GUILLEM BOSCH

Freizeitvergnügen ist wichtig, das wissen wir spätestens seit der Pandemie“, sagt Juan Nieto. Der Betreiber der beiden Clubs steht vor der Sala Luna. „Und jeder hat doch ein Recht darauf, Spaß zu haben.“ Während drinnen die Musik auf volle Lautstärke gedreht ist, kann man sich draußen im Licht der Laternen normal unterhalten. Schallschutz ist für Clubs hier überlebenswichtig. „Ich weiß ehrlich nicht, was ich noch machen soll“, erklärt Nieto. Seine Türsteher würden nicht nur Gäste seiner Betriebe, sondern sämtliche Passanten darauf hinweisen, dass sie keinen Alkohol auf der Straße trinken und leise sein sollten.

Wenn seine Clubs schließen, versuchten die Sicherheitsleute, die Feiernden aus der Zone zu scheuchen. „Manche bleiben am Ende doch und machen Lärm, aber schließlich sind wir nicht die Polizei, wir können niemanden dazu zwingen, sich in der Öffentlichkeit zu benehmen“, fasst Nieto zusammen. Damit ist er auf einer Linie mit dem Zusammenschluss von 83 Bars und Restaurants aus Santa Catalina. „Wir warnen seit Langem, dass nicht genug Polizei hier ist, um die Menschen unter Kontrolle zu halten“, sagt Tomeu Mas, Sprecher der Gastronomen-Vereinigung.

Junggesellenabschiede mit Lautsprechern, Sex auf offener Straße

Besonders hoch schlugen die Wellen der Empörung im Mai, als ein Anwohner ein Video von einem Paar ins Netz stellte, das auf offener Straße Sex hatte. Es folgten Videos von Junggesellenabschieden, bei denen die Feiernden mit Lautsprechern durch die Straßen zogen. Schon nachmittags war es feuchtfröhlich, laut und unzivilisiert. Manch einer erleichterte sich mitten auf der Straße.

„Es sah teilweise aus wie in Magaluf“, erinnert sich Maribel Alcazar, die Vorsitzende der Nachbarschaftsvereinigung Santa Catalina, ein Verweis auf die britische Urlauberhochburg, in der es ähnlich ungestüm zugeht wie an der „deutschen“ Playa de Palma. „Einige Anwohner übernachteten an Wochenenden bei Freunden und Verwandten, manche beschlossen, ihre Wohnungen zu verkaufen.“

Polizisten kontrollieren inzwischen das Verhalten der Feiernden

Immerhin: Die Proteste zeigten Wirkung. Inzwischen sind hier jedes Wochenende Streifen der Ortspolizei unterwegs, kontrollieren, dass Ruhezeiten eingehalten werden, verhängen Bußgelder an Bars, die bei offener Tür laut Musik spielen. Alcazar erkennt an: Es gebe nun weniger Beschwerden wegen unzivilisierten Verhaltens, weniger Lärm zu später Stunde. „Aber jetzt dürfen wir nicht nachlassen“, sagt sie.

Schließlich könne es nicht sein, dass es eine Polizeistreife brauche, um in einem normalen Stadtviertel für Ruhe zu sorgen. „Das Problem ist die Überbelegung an Restaurants und Bars. Wir können nicht Anwohnerviertel in Partyzonen wie die Playa de Palma verwandeln.“

Polizisten kontrollieren kurz vor Beginn der Ruhezeit, ob die Restaurants die Tische wegräumen.  | FOTO: JOHANNA RAMTHUN

Polizisten kontrollieren kurz vor Beginn der Ruhezeit, ob die Restaurants die Tische wegräumen. | FOTO: JOHANNA RAMTHUN Marlene Weyerer

Viele Restaurants gibt es in Santa Catalina vor allem im Carrer de la Fàbrica. In der Fußgängerzone reiht sich ein Lokal an das andere. Alle haben Tische und Stühle vor ihren Türen, auch an diesem Freitag sind die Plätze gut gefüllt. Es gibt Pizza, Tapas, Tacos. Auf dem Tisch stehen Weinflaschen. Wer schon mit dem Essen fertig ist, schlürft einen Cocktail.

Die meisten sind schick angezogen. Eine Frau trägt eine zerrissene Mom-Jeans, ihre Freundin neben ihr ein enges hellblaues Kleid, schulterfrei und seidig. Es ist ein anderes Publikum als an der Playa de Palma, wo die Kleiderordnung eher aus Trikots und Kapitänsbinden besteht und die Getränke im Maßkrug statt im hippen Cocktailglas serviert werden.

Nachbarn kommen vorbei und schießen Fotos

„Gehoben und ruhig. Das ist doch eigentlich die Art von Publikum, das die Stadt will“, sagt der Kellner Iago, der nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen will. Iago serviert in einer der Bars im Viertel Cocktails. Er erzählt, dass manchmal Nachbarn vorbeikämen und statt etwas zu sagen, schwer nachzuvollziehende Fotos machten. Etwa von einem Stuhl, der knapp über der Linie stehe, die die Terrasse begrenzt. Die Knipser sind den Twitter-Account fütternden Anwohner. „Sie sind dabei, diesem Viertel einen schlechten Ruf zu verpassen“, sagt Iago und schüttelt genervt den Kopf.

Vor dem Club Bar Sabotage sorgen Türsteher für Ordnung und vor allem Ruhe. | FOTO: JOHANNA RAMTHUN

Auch Tomeu Mas von der Gastronomen-Vereinigung fühlt sich belästigt. „Wir bekommen einen Haufen Anzeigen und Kommentare auf Social Media wegen Dingen, die absolut legal sind“, sagt er. Wer keine Schanklizenz habe, sollte natürlich eine Strafe bekommen, aber wer ein legales Restaurant betreibe, müsse das doch tun dürfen. „Die Nachbarn und ihre Vereinigung haben uns mit Dreck beworfen, aber wir wehren uns jetzt“, sagt Mas.

Die Gastronomen arbeiten nun ihrerseits an einer Kampagne. Von der Bitte, die Zahl der Betriebe zu verringern, halten sie wenig „Die 83 Lokale in der Vereinigung haben mehr als 900 Angestellte“, sagt Mas. Viele Menschen lebten von der Gastronomie – und anders als andernorts nicht nur von den Touristen. „Hier feiern Ausländer und Festlandspanier, aber auch Mallorquiner“, sagt Tomeu Mas.

Nach der Cocktailbar in den Club

Die Gäste der Restaurants ziehen gegen Mitternacht, wenn sämtliche Stühle und Tische an der Fressmeile abgebaut werden, weiter in den Carrer de Sant Magí. Der Altersschnitt nimmt ab, die Federboa-Dichte zu. Es wird bunter, und die Raucher vor den Bars sind lauter, wenn ihnen die Aufpasser der jeweiligen Bar nichts sagen.

Weiter geht es dann für viele in einen Club. Zum Beispiel zur Bar Sabotage, wo ein Junggesellinnenabschied vom spanischen Festland feiern will. Quietschend und kreischend stehen die Frauen vor dem Eingang, eine hat noch ihren Koffer dabei, weil ihr Flug Verspätung hatte. Der Türsteher hebt beschwichtigend seine Pranken. „Ruhig eine nach der anderen rein“, sagt er. Als Antwort kreischen sie, weil sie reindürfen, werden aber bei seinem durchdringenden Blick doch ruhiger.

„Es ist alles Erfahrung und Psychologie“, sagt der große Mann mit den kurzgeschorenen Haaren fachmännisch. „Dann ist das Publikum hier eigentlich sehr einfach in den Griff zu bekommen.“ Anders sieht es wohl mit den Gemütern von Nachbarn und Gastronomen aus.

Artikel teilen

stats