Mallorca Zeitung

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TV-Genie, Mallorca-Fan, Angeklagter: Das turbulente Leben des Regisseurs Dieter Wedel

Zum Tod von Dieter Wedel: Auch wenn sein Mallorca-Film nie zustande kam, inspirierte ihn die Insel. Über ein Leben zwischen Erfolg und Skandal

Dieter Wedel im Jahr 2016 bei der Lektüre eines Drehbuchs auf der Terrasse seiner Wohnung in Cala Llamp. | FOTO: TERRASSA

„Berge von Material“ hatte Dieter Wedel über Mallorca gesammelt – Infos, Beobachtungen und Ideen für einen Film über die Insel. Er sollte eine Liebeserklärung an Mallorca werden, auch eine Gesellschaftskomödie über Deutsche, die sich über die Größe ihrer Immobilie definieren und mit den mallorquinischen Lebensvorstellungen in Konflikt geraten. Mallorca als Übungsfeld für ganz Europa sozusagen. Dann sollte es aber auch ein Film sein, dessen Handlung die politische Korruption verarbeitet, die jahrelang auf der Insel für Schlagzeilen sorgte.

Dieter Wedel (2. v. li.) bei der Recherche in der Redaktion der Mallorca Zeitung. | F.: BENDGENS

Viel Stoff also, und obwohl der Film schon so lange angekündigt war – gegenüber der Mallorca Zeitung erwähnte Wedel das Projekt erstmals Anfang 2005 –, wurde nie etwas daraus. Irgend etwas kam immer dazwischen. Und jetzt steht fest: Es bleibt der Fantasie überlassen, wie ein mallorquinisches Pendant zu Werken wie „Gier“ oder „Der König von St. Pauli“ ausgesehen hätte – sozusagen ein „Wedel“ über die Insel, wie seine großen Erfolge ehrfürchtig genannt wurden.

Verfahren eingestellt

Der Regisseur starb vergangene Woche „nach langer schwerer Krankheit“, wie seine Anwälte mitteilten. Über den Tod des 82-Jährigen in einem Hamburger Krankenhaus informierte am Mittwoch (20.7.) allerdings als Erstes die Justiz, wo ein Strafverfahren gegen Wedel anhängig war. Das Landgericht München I hatte eigentlich am Mittwoch endlich bekannt geben wollen, ob es zum Prozess gegen den Filmemacher kommt. Das Verfahren gegen ihn wird nun eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte Wedel schon im März vergangenen Jahres wegen eines Vorwurfs aus dem Jahr 1996 angeklagt. Die Schauspielerin Jany Tempel gibt an, Wedel habe sie damals in einem Münchner Luxushotel vergewaltigt – ein Vorwurf, den Wedel bestritt.

Tauchte der Name des Filmemachers seit 2018 praktisch nur noch in der #MeToo-Debatte auf, stand er in den Jahren davor für Meilensteine der TV-Geschichte. Mit seinen Mehrteilern begeisterte Wedel ein Millionen-Publikum. Ab den 1990er-Jahren, als Streamingdienste mit riesigen Budgets und dem Anspruch komplexer Drehbücher noch Zukunftsmusik waren, lieferte er einen Erfolg nach dem anderen ab, darunter „Der große Bellheim“ (1993), „Der Schattenmann“ (1996), „Der König von St. Pauli“ (1998) oder „Die Affäre Semmeling“ (2002).

Inspiration in Cala Llamp

Auch wenn aus dem Mallorca-Film letztendlich nichts wurde, fand die Insel doch irgendwie Eingang in die Werke. Denn die Drehbücher entstanden oft hier, spätestens seit dem Jahr 1999, seit Wedel in seinen Zweitwohnsitz in der Gemeinde Andratx hatte einziehen können, eine Wohnung in der Küstensiedlung Cala Llamp. „Ich fühle mich hier sehr wohl und schreibe sämtliche Drehbücher auf Mallorca“, so der der Regisseur in einem MZ-Interview im Jahr 2007. „Das habe ich allerdings auch schon getan, als ich noch keine Immobilie hier hatte. Mallorca empfand ich beim Schreiben immer als äußerst anregend. Manchmal habe ich hier monatelang im Hotel gewohnt.“

Eigentlich wollte er nie eine Immobilie hier kaufen, meinte er – und als er dann doch von Freunden überzeugt wurde, stand jede Menge Ärger ins Haus. Zum einen wegen des Baulärms, den ein Bauträger in der Bucht von Cala Llamp verursachte. Als sich Wedel in Interviews und Talkshows darüber ausließ, verklagte ihn der Bauträger wegen angeblicher Rufschädigung auf Schadensersatz – ohne Erfolg. Zum anderen sorgte der Streit mit einem Nachbarn in der Wohnanlage für Schlagzeilen, der Wedel wegen Umbauarbeiten auf der Dachterrasse verklagte. Der Filmemacher ließ sich aber nicht unterkriegen. Auf Mallorca bestehe mehr Rechtssicherheit, als man vermuten könne, so sein damaliges Resümee gegenüber der MZ.

Mit seiner Wohnung in Cala Llamp war Wedel auch ganz nah dran an seinem Material für den geplanten Mallorca-Film. Andratx, das war die Mutter der Korruptionsfälle auf Mallorca, und Bürgermeister Eugenio Hidalgo mit seiner langen Reihe von Skandalen sowie Verfahren hatte das Zeug, die nötigen Inspirationen für einen Protagonisten zu liefern. „Warum wurde plötzlich Korruption so unnachgiebig verfolgt, dass sogar die Königsfamilie in Verruf geriet? Was war da passiert?“, fragte sich Wedel.

Für die Recherche zum geplanten Film zapfte er auch die Mallorca Zeitung an. Als er zu diesem Zweck im Jahr 2008 in der Redaktion in Palma vorbeischaute, befragte er die Redakteure mehr als zwei Stunden lang über die Politik, den Immobilienmarkt, die Polizei, den Umweltschutz oder die deutschen Auswanderer. Das ZDF habe den Film für Anfang 2011 eingeplant, so der Filmmacher damals noch zuversichtlich. „Er wird das Image Mallorcas über Jahre hinaus prägen.“

Vom Film zum Theater

Wenn die Insel schon nicht zum Inhalt seiner Filme wurde, so zumindest zur Kulisse. 2004 entstanden Szenen für den zweiteiligen Scheidungsfilm „Papa und Mama“ auf der Insel. Dass die Arbeit mit Wedel dabei nicht immer einfach war, daran erinnert sich Journalistin Eddie Lange, die den Dreh besuchte. „Er war immer höflich, freundlich, und oft blitzte auch sein Humor durch.“ Diesen habe er aber verloren, wenn Crew-Mitglieder unvorbereitet am Set erschienen. „Schon von Weitem hörte ich, wie er jemanden lautstark anbrüllte und niedermachte. In der Pause fragte ich ihn, warum er oft so ausrastet. Seine Erklärung fand ich irgendwie einleuchtend: Stell dir vor, du bestellst einen Handwerker, und der vergisst sein Werkzeug. Wie würdest du reagieren?“

Ein Insel-Heimspiel war auch ein Teil der Dreharbeiten des Zweiteilers „Gier“, der von der Sucht nach Macht und Geld, nach Luxus, Liebe und Freundschaft handelt. Es ist ein Tanz um das Goldene Kalb, der auch auf Mallorca hätte angesiedelt sein können, analysierte die MZ, als der Film 2010 Premiere hatte. Es war das letzte TV-Highlight, seitdem widmete sich Wedel vor allem dem Theater. Bereits in der Zeit zwischen 2002 und 2014 leitete er die Nibelungenfestspiele in Worms, 2015 wurde er dann Intendant der Bad Hersfelder Festspiele. „Bei dem Freilicht-Theaterfestival stellte der promovierte Theaterwissenschaftler Zuschauer-Rekorde auf und sorgte dafür, dass viel Prominenz zur Eröffnung über den roten Teppich lief“, schreibt die Nachrichtenagentur dpa. „Im Moment ist meine Bühne das Theater“, so Wedel bei seinem letzten Interview mit der Mallorca Zeitung im Herbst 2016. Gleichzeitig versicherte er, dass ihn das Mallorca-Projekt weiter begeistere und er nicht die Absicht habe, es fallen zu lassen.

Axel Thorer über Dieter Wedel

Den Menschen Dieter Wedel lernte Axel Thorer kennen: „Was haben wir für schöne Stunden verbracht auf Mallorca und mit unserem Freund Matthias Kühn auf Tagomago.“ Der passionierte Publizist und frühere „Bunte“-Vize beschreibt den verstorbenen Filmemacher als „umfassend gebildet, immer unaufdringlich und von köstlichem Humor“, zudem habe er sehr gut zuhören können. „Er stellte leise, kluge Zwischenfragen und vollführte ganz nebenbei Mudhras, wie die Inder die magischen Fingerspiele nennen.“ Und natürlich sei es bei den Unternehmungen um Frauen gegangen sowie um ein Geheimnis, so Axel Thorer: „Wie kann ein zart gebauter 175-Zentimeter-Typ mit Behinderung derart unwiderstehlich auf Frauen jeden Alters wirken? Ein Mutmacher, ganz nebenbei gesagt, für alle, die wie Wedel nicht gut zu Fuß sind. Und die Erkenntnis, dass man mit einem brillanten Kopf und erstklassigen Manieren jedes Handicap tilgen kann. Ein Lockenkopf mit blitzendem Blick und kessem Don-Juan-Bärtchen. Beim Lächeln und Grollen standen seine Lippen immer etwas schräg, da er immer einen Mundwinkel nach oben zog dabei.“

In Wedels Privatleben ging es turbulent zu. Er hatte sechs Kinder von sechs Frauen, unter anderem einen Sohn mit der 2019 verstorbenen Hannelore Elsner. Er stand zudem dazu, dass er mit zwei Frauen gleichzeitig zusammenlebte, die sich damals auch untereinander gut verstanden, wie er gegenüber der MZ im Jahr 2007 versicherte.

„Ich habe ihn bewundert wegen seiner nonchalanten Unwiderstehlichkeit“, so Thorer. „.Ich weiß, welche Frauen ihn angefleht hatten, ein gemeinsames Wochenende mit ihm verbringen zu dürfen, um sich endlich mal ausquatschen zu können – sie riefen an, während wir beim Wein am Meer saßen. Mit Bett? Nebensache. Endlich einen Mann um sich haben, dem man alles erzählen kann. Mehr, als der eigene Ehemann ertrug. Wedel als Seelsorger. Der Frau das Gefühl geben, dass man ihre Probleme ernst nimmt!“

Bekanntester #MeToo-Fall

Der Fall rund um die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Wedel war der bekannteste in der deutschen #MeToo-Debatte, die im Jahr 2017 ins Rollen gekommen war. Nach der Todesnachricht vom Mittwoch meldeten sich inzwischen auch die Anwälte von Anklage und Verteidigung zu Wort. „Völlig perplex“ sei Schauspielerin Jany Tempel, erklärte deren Anwalt Alexander Stevens gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Er sprach Wedels Angehörigen sein Beileid aus, betonte aber, dass er davon ausgehe, dass der Prozess gegen Wedel eröffnet und dieser auch verurteilt worden wäre. Seine Mandantin hoffe, dass sich nach Wedels Tod nun mehr Frauen aus der Defensive wagen – „und ihre Geschichte erzählen“, sagte Anwalt Stevens. Tempel war zuletzt sogar kurzzeitig in den Hungerstreik getreten, um dagegen zu protestieren, dass das Gericht sich mit seiner Entscheidung über eine Verfahrenseröffnung so lange Zeit ließ.

„Anlass für die Fortsetzung öffentlicher spekulativer Erwägungen besteht nicht“, lassen dagegen Wedels Anwälte gegenüber der dpa mitteilen – und kritisierten die Berichterstattung über das Strafverfahren: „Das Verfahren gegen unseren Mandanten wurde medial zum angeblichen ‚Musterverfahren‘ einer gesellschaftlichen Bewegung aufgebauscht.“

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