„Unsere blaue Luftmatratze. Ist die wohl hier abgegeben worden?“, fragt ein korpulenter Mann in Badehose. Nadine Schmidt (Name von der Redaktion geändert) schüttelt bedauernd den Kopf, ignoriert freundlich den nackten Bauch ihres Gegenübers, der an die glänzende Holztheke stößt, macht sich eine Notiz. „Wenn sie auftaucht, sagen wir Ihnen Bescheid.“ Das Telefon klingelt. Das WLAN sei kaputt, beschwert sich ein Gast. „Der Techniker ist schon informiert“, beschwichtigt Schmidt. Wieder eine Notiz. Dann ein strahlendes Lächeln für den nächsten Gast, der vortritt. Ob denn sein Mietwagen gestern planmäßig abgeholt worden sei, fragt er. Ein Blick in die Unterlagen. Ja, alles prima.

Die große Wanduhr über der Rezeptionstheke in dem Vier-Sterne-Hotel auf Mallorca zeigt 9.30 Uhr an. Zweieinhalb Stunden Hochbetrieb hat Schmidt schon hinter sich, fünfeinhalb weitere stehen der zweiten Chefrezeptionistin noch bevor an jenem Donnerstag (11.8.), an dem die MZ ihr über die Schulter schauen darf. Mit Genehmigung der Hotelleitung selbstverständlich. Erst im Nachhinein lehnen die Verantwortlichen eine Veröffentlichung ab. Bleibt nur die Anonymisierung. „Ach, heute ist doch ein ruhiger Tag, zumal wir die meiste Zeit über zu dritt sind“, sagt Schmidt, und hat schon ein Funkgerät in der Hand. „Fernando, wie steht es mit dem WLAN“, fragt sie auf Spanisch in den Apparat und drückt nebenbei auf einen Knopf, damit ein Paar den gesicherten Gepäckraum neben der Empfangshalle betreten kann.

Niemand lange warten lassen

August, Hochsaison, volle Auslastung. Knapp 500 Menschen sind an diesem Tag in dem Vier-Sterne-Hotel untergebracht. 485 um genau zu sein, das steht auf einer der Listen, die im kleinen Büro hinter der Rezeption an der Wand befestigt sind. Listen, Notizzettel, Logbücher – sie helfen Nadine Schmidt und ihrem Team, im Wust der Informationen nicht unterzugehen. Multitasking ist hier das Motto. An der Rezeption laufen alle Fäden zusammen, man koordiniert das kostbare Urlauberglück. Und lässt niemanden lange warten. „Wenn die Gäste zufrieden sind, sind auch wir zufrieden, und das ist keine Phrase“, sagt Thomas Waldmann (Name geändert). Seit Mai ist er als ayudante de recepción dabei. Nadine Schmidt nickt. „Von den zufriedenen Gästen bekommt man am wenigsten mit.“

Und in der Regel laufe ja auch alles glatt. Größere Probleme hat Schmidt in ihren zehn Jahren an der Rezeption noch nicht erlebt, sagt sie. Kein Overbooking, nur wenige Partytouristen, stattdessen hauptsächlich Familien und Paare aus Deutschland, die im gehobenen All-inclusive-Ambiente entspannen wollen. Es sind die kleinen Dinge, die dazu führen, dass die Deutsche an manchen Tagen während ihrer Schicht kaum Zeit hat, die Toilette aufzusuchen. Allein in den knapp fünf Stunden, in denen die MZ vor Ort ist, kommen rund 80 Menschen mit ihren Anliegen zur Rezeption – nicht zu vergessen die zahlreichen Anrufe, die ebenfalls hier eingehen. Einige Fragen sind schnell beantwortet. Wann denn das Animationsprogramm beginne („Das wird unten ausgeschrieben“), wie weit es zum Sandstrand sei („rund 15 Minuten“), oder wann denn das gewünschte Zimmer 322 frei werde („noch nicht, aber entspannen Sie gern schon im Poolbereich“).

Schwimmkurs, Zahnschmerzen, Koffer vergessen

Andere Anfragen nehmen mehr Zeit in Anspruch. Da ist das Paar mittleren Alters, das bei der Anreise in der vergangenen Nacht seinen kleinen grauen Koffer im Bus vergessen hat. Wann das Busunternehmen ihn denn endlich bringen werde? Oder der Familienvater, der eigentlich um 10 Uhr im kleinen Pool einen Schwimmkurs gebucht hat. „Aber da ist noch die Reinigungsmaschine zugange.“ Und die Mutter, die nicht nur einen Arzt, sondern auch Zuspruch braucht, weil ihr Sohn unter akuten Zahnschmerzen leidet. Und zwischendurch immer wieder Ab- und Anreisen.

„Nadine, hast du eine Minute“, fragt ein Mitarbeiter auf Spanisch und lotst sie ins Backoffice. Mal kurz über die Infos reden, die die Gäste über einen QR-Code abrufen können. Es werden eher fünf statt einer Minute. Gut, dass der Techniker mittlerweile das WLAN repariert hat. Dafür, erklärt eine Reinigungskraft kurz angebunden, sei nun ein Aufzug defekt. Auch der Bademeister, der angestürmt kommt, fasst sich kurz. „Der Kinderpool ist gerade nicht nutzbar, ein kleiner Gast hat Kacka gemacht. Die Reinigung dürfte aber nicht allzu lange dauern“, informiert er. Und dann die Reiseleiterin mit gestresstem Gesichtsausdruck. „Sagt bitte allen, die von München geflogen sind, dass ihr Gepäck heute oder morgen kommt. Mehr wissen wir auch nicht.“ Nadine Schmidt und ihre Helfer wirft all das nicht aus der Bahn. Keine Spur von Überforderung, kein Anzeichen von Stress. „Ich mache mir kurz eine To-do-Liste“, ist das Einzige, was die Deutsche ihren Kollegen zuruft.

„Ich mag es zu organisieren“

Gegen 11.15 Uhr reißt der Strom der Gäste an der Rezeption ein wenig ab. „Ich mag es zu organisieren. Und den Umgang mit den Menschen. In einem geschlossenen Büro zu arbeiten, wäre mir zu langweilig. Obwohl ich mir manchmal genau das wünsche“, sagt Nadine Schmidt und lässt sich auf den Bürostuhl fallen. Die Listen der Reisebüros aus Deutschland liegen für den Abgleich auf ihrem Schreibtisch. Und dann will ja noch die Zimmerverteilung für den nächsten Tag gemacht sein. Welches Profil haben die künftigen Gäste? Welches Zimmer passt zu ihnen?

„Können wir kurz persönlich sprechen“, fragt da ein junger Mann mit ernstem Gesichtsausdruck. Braun gebrannt, glitzernde Ohrringe, pinke Kappe. Er wolle ja niemanden beschuldigen. Aber sein Selfie-Stick sei aus dem Zimmer verschwunden, und sein Achselshirt. „Dieses hier? Das wurde bei uns abgegeben“, sagt Nadine Schmidt höflich und zieht ein weißes Shirt unter dem Rezeptionstisch hervor. Ja, das sei es. Und der Selfie-Stick? Ob die Zimmermädchen den vielleicht mitgenommen hätten. Wieder ein zuvorkommendes Lächeln, wieder eine Notiz, wieder ein Anruf. „Wir nehmen das ernst, obwohl ich die Hand für unsere Reinigungskräfte ins Feuer lege“, erklärt Schmidt dem Gast. Mehrfach. Nach rund zehn Minuten entspannt der Mann sich, scheint sich verstanden zu fühlen. „Ihr seid Engel“, sagt er und schlendert zum Pool.

Die Kunden zeigten sich nicht immer dankbar, sagt Nadine Schmidt, und nur in Einzelfällen baue man persönlichen Kontakt zu ihnen auf. Wie in dem Fall des neunjährigen Jungen, dessen Vater im Juli plötzlich einen Notarzt brauchte. „Ich kümmerte mich um den Jungen und er erzählte mir, dass seine Mutter vor wenigen Monaten gestorben war.“ Doch das sind Ausnahmen. Das Alltagsgeschäft überwiegt, nicht alle Urlaubersorgen sind tiefgründig. Wie auf Kommando tritt eine ältere Blondine an die Rezeption. „Wo hält denn hier die Bimmelbahn?“, fragt sie.