Wenn Isabel Seguí über die Tramuntana-Landschaft hinter ihrem Haus in Campanet blickt, dann ist es auch wie ein Blick zurück. In eine Zeit, die sie mit harter Arbeit, aber auch mit fröhlichen Stunden verbindet. Sie ist eine der Frauen, die einst die Olivenernte auf Mallorca vorantrieben. Was heute Profis mit moderner technischer Ausstattung und zu geregelten Arbeitszeiten erledigen, war damals ein aufreibender Knochenjob. In einer groß angelegten Kampagne sucht der Inselrat von Mallorca derzeit nach Frauen wie Isabel Seguí, den letzten noch lebenden collidores – um ihre Arbeit zu würdigen, aber auch, damit ihre Geschichten nicht in Vergessenheit geraten.

84 Jahre ist Isabel Seguí mittlerweile alt, doch an ihre Olivensammler-Zeit kann sie sich noch erinnern, als wäre es gestern. Im Alter von 15 Jahren wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer kleinen Schwester und etwa einem Dutzend weiterer Frauen und Mädchen auf dem Landgut Can Palou bei Cala Tuent an der Nordküste eingesetzt. Drei Wochen am Stück blieben sie vor Ort, schliefen in einfachen Hochbetten. Die Arbeit war hart. „Wir lasen die Oliven auf, füllten sie in Säcke. Dann kamen die Männer und brachten sie zur Ölpresse.“ Kleidung gegen die Kälte in den Bergen bekamen die collidores nicht, sie arbeiteten in einfachen Kleidern. „Am Körper froren wir nicht, solange wir uns bewegten, aber unsere Hände waren meist eiskalt.“

Sammeln, bis alle Oliven im Korb sind: Viele Frauen blieben über Wochen zur Ernte in den Bergen. | FOTO: DM/ARCHIV Sophie Mono

Ehrungen in den Dörfern

Maria Antònia Garcías, zuständige Dezernentin im Inselrat, hat schon mit vielen Frauen wie Isabel Seguí gesprochen, seit im vergangenen Jahr die Idee aufkam, die alten Olivensammlerinnen ausfindig zu machen. Im Juni traf sie Seguí und eine Gruppe Frauen in Campanet, im August besuchte sie weitere schon betagte Damen aus Banyalbufar. Ende September steht ein Ehrentreffen in Bunyola an, im November dann in Fornalutx und Calvià. „Wir sind mit etwas mehr als hundert Frauen in Kontakt, vermuten aber, dass noch gut 200 am Leben sind“, sagt sie. Die Rathäuser der Berggemeinden unterstützen den Inselrat bei der Suche. „Es sind beeindruckende Geschichten, von Zeiten, die so fern scheinen, und doch noch gar nicht so lange zurückliegen“, berichtet Garcías von ihren Zusammentreffen mit den Frauen. Einige Erzählungen hätten sie besonders berührt.

Da war die Mutter, die mit ihren vier kleinen Kindern in die Tramuntana kam, um sich wochenlang der Olivenernte zu verschreiben. „Zum Teil waren die collidores bei Schnee und Eis im Einsatz und mussten in notdürftigen Lagern in den Bergen übernachten“, so die Inselratsdezernentin. Wie man ihr berichtete, hatten viele junge Mädchen damals heiße Steine ins Feuer gelegt, an denen sie sich dann die eiskalten, steifen Finger aufwärmten. „Einige Mädchen und Frauen mussten stunden- und tagelang laufen, um überhaupt zur Erntestelle zu gelangen“, so Garcías. So, wie Seguí und viele weitere collidores aus Campanet. Oder die Mädchen, die am letzten Tag der Ernte, wenn sie ihr Brot fertig gebacken hatten, in der Nacht den achtstündigen Heimweg von Sa Calobra nach Sóller antraten – um am nächsten Morgen wieder pünktlich zu Hause sein zu können und dort die Hausarbeit zu erledigen.

Die Schwestern Margalida und Aina Mascaró Canals aus Campanet – nur zwei der noch etwa 200 lebenden „collidores“. | FOTO: JOAN FRAU

Rund um die Uhr schuften

„Viele von ihnen waren erst zehn, elf oder zwölf Jahre alt. Sie arbeiteten unter Bedingungen, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann“, erzählt Garcías. Feste Arbeitszeiten gab es nicht. „Sie begannen, wenn die Sonne aufging, und arbeiteten, bis sie wieder unterging.“ Vergütet wurde die Arbeit durch einen bescheidenen Lohn, und manchmal durch ein wenig kostbares Olivenöl.

„Ihre Leistungen wurden nie in vollem Umfang gewertschätzt“, sagt Garcías. Dabei hätten die Generationen von Frauen und Mädchen ebenso wie die männlichen Landarbeiter oder die Trockensteinmaurer dazu beigetragen, die Serra de Tramuntana zu der heute so geschätzten und von der UNESCO geschützten kultivierten Terrassenlandschaft zu machen.

Dass ihnen auf ihre alten Tage noch einmal öffentlich gedankt würde für ihre Anstrengungen, hätten Margalida und Aina Mascaró Canals aus Campanet nicht gedacht. Die Schwestern erinnern sich noch, wie sie einst als junge Mädchen in die Haine der Großgrundbesitzer geschickt wurden. „Wir waren zehn und zwölf Jahre alt, es war sehr ermüdend. Unsere Enkel würden diese Arbeit niemals machen“, ist sich Margalida Mascaró sicher. Wie viel Geld sie damals erhielt, weiß sie nicht mehr. „Aber der Lohn kam pünktlich jede Woche.“

Auch Margalida Grau gehört zu jenen, die vom Inselrat ausgezeichnet worden sind. „Es ist eine tolle Initiative. Sie erinnert die jungen Leute daran, was ihre Großeltern getan haben“, findet sie. Schon als Neunjährige begleitete sie in den 1940er-Jahren ihre Mutter zur Olivenernte. Die beiden arbeiteten Hand in Hand. „Und sie bezahlten mich genauso wie die erwachsenen Frauen, dabei waren meine Hände viel kleiner, und ich war bestimmt nicht so effektiv wie die anderen“, erinnert sich Grau. „Man schuftete ohne Zeitgefühl und wartete nur darauf, dass die Sonne unterging.“

„Trotz allem Glücklich“

Noch bis in die 60er- und sogar 70er-Jahre wurde die Tradition, Frauen und Mädchen als Erntehelfer in den Hainen einzusetzen, weitergeführt – wenn auch in den letzten Jahren unter deutlich besseren Bedingungen als noch einige Jahrzehnte zuvor. Damit die Geschichten über die collidores auch künftigen Generationen im Gedächtnis bleiben, bereitet der Inselrat gerade einen Dokumentarfilm vor, der sich auf die Erzählungen der Zeitzeuginnen stützt. Er soll im Oktober veröffentlicht werden.

„Es muss hart gewesen sein, was unsere Großmütter leisteten. Aber was mich beeindruckt hat, war auch, dass viele der Olivensammlerinnen die Zeit trotz allem in guter Erinnerung haben. Sie lernten zu teilen, zusammenzuarbeiten, über sich selbst hinauszuwachsen und eine Gemeinschaft zu sein. Bis heute sind viele von ihnen ausgesprochen großzügig und stark“, so Inselratsdezernentin Garcías. Die Mascaró-Schwestern aus Campanet bestätigen das. „Wir waren glücklich, trotz allem.“

Isabel Seguí kann sich ebenfalls an die schönen Momente während der Olivenernte erinnern. An das Grammofon, das eine der Sammlerinnen mitgebracht hatte und dem sie abends lauschten. Oder an die Besuche der Erntehelfer anderer Haine. An das knusprige Brot mit Oliven, das sie nach getaner Arbeit zusammen verspeisten, hungrig vom anstrengenden Tag. Es seien Eindrücke, die bis heute nachwirken, wie Isabel Segui sagt. „Sie sind ein Teil von mir.