Die Finca liegt abgeschieden. So abgeschieden, dass die Handynavigation fehlschlägt. Es ist 6 Uhr am Sonntagmorgen (6.11.), eine Reporterin und eine Fotografin, verloren im Labyrinth der Schleichwege von Mallorca. Wir kommen zu spät. Das Morgengrauen hat eingesetzt, als wir endlich zum Gelände der Finca finden. Die zwei Schweine sind bereits tot. Wie massige Fleischsäcke liegen sie nun auf je einem Metallbock. Bis auf einen Schnitt in der Kehle sind sie unversehrt. Noch.

„Das eine hat geschrien, das andere war ganz still“, sagt Toni. Ein letztes Mal fährt er mit der Flamme des großen Bunsenbrenners über die Haut der Tiere, schabt mit einem Werkzeug die verbrannten Borsten und die oberen Hautschichten ab. Vor einer Stunde standen die Schweine noch im Stall, schon bald werden sie in viele Einzelteile zerlegt sein.

Kopfüber wird das Schwein aufgehängt und Stück für Stück zerlegt. Die Schlachter wollen unerkannt bleiben. Nele Bendgens

Matanzas, wie die Spanier sagen, oder matances, wie es die Mallorquiner nennen, waren früher bunte Unterfangen. Schlachtfeste, an denen ganze Familien teilnahmen, zu denen Freunde und Nachbarn eingeladen wurde, um das Schwein gemeinsam zu verwursten. Heute findet die Tradition nicht immer, aber immer öfter im Verborgenen statt. Im rechtlichen Graubereich, hinter verschlossenen Finca-Toren.

So wie hier. „Ich will nicht auf den Fotos zu sehen sein“, sagt einer der Männer, die Toni zur Hand gehen. Ein kräftiger mit Brille und kurzen Haaren, nennen wir ihn Miquel. „Wir auch nicht“, schließen sich drei Frauen an. Verschwiegenheit, Diskretion, Misstrauen gegenüber der Presse – sie liegt in diesen frühen Morgenstunden ebenso in der Luft wie der beißende Geruch nach verbranntem Fleisch.

Zunächst werden Borsten und obere Hautschichten angebrannt und abgeschabt. Nele Bendgens

Insgesamt ist die Gruppe zu siebt. Ein seit Jahren eingespieltes Team, teilweise befreundet, teilweise verwandt. Das ganze Jahr über versorgen sie mit Bedacht ihre Schweine. Von November bis Januar schlachten sie jeden Samstag und Sonntag zusammen. Mal ein Schwein, mal zwei, meist auf der eigenen Finca, ab und zu auch auswärts, für einen geringen Stundenlohn. Teilweise sind es die eigenen Tiere, denen es an den Kragen geht, teilweise die anderer Leute. Eigentlich braucht es für die Schlachtung viele Genehmigungen. Vom Rathaus, vom Veterinärsamt. Den Behörden kommt es auf gültige Papiere und Zertifikate an, nicht auf lebenslange Erfahrung und faire Tierhaltung.

„Mein erstes Schwein habe ich mit neun Jahren getötet“, sagt Toni. Seine Eltern waren Landwirte, hatten immer Vieh. „Es ist für mich etwas ganz Normales“, sagt er. Hauptberuflich arbeitet er als Schmied – wer kann heute schon von der Landwirtschaft leben? Er wirkt älter als die 30 Jahre, die er auf dem Buckel hat, in seiner bodenständigen und anpackenden Art. Ebenso sein Team. Vier Männer und drei Frauen, die sich nicht vor schwerer Arbeit scheuen. Und auch nicht vor kiloschweren Eingeweiden und frischem Blut. Sie alle sind erstaunlich jung und auf der Insel verwurzelt.

Selbst die Schweinefüße werden aufbewahrt. Nele Bendgens

Ein hochgewachsener Mittdreißiger – sagen wir, er heißt Biel – setzt das Messer im Nacken des einen Schweins an. Wie durch Butter schneidet das frisch geschliffene Metall durch Haut- und Fettschichten, sogar durch Knochen. Jeder Handgriff ist eingeübt, alle kennen ihre Aufgaben. Ein kleines Rinnsal Blut läuft auf den geteerten Boden, sofort kommt Miquel mit dem Gartenschlauch, spritzt es in einen unauffällig im Boden eingelassenen Ablauf. Hier bleibt nichts dem Zufall überlassen. Bald ist der Kopf des ersten Schweins abgetrennt, wird in einer weißen Plastikschale nach drinnen getragen. In der kleinen Halle bereiten die Frauen die Schneidetische vor. Erhitzen Wasser in großen Bottichen – zum Säubern und um aus den Köpfen Brühe zu kochen –, schneiden kleine Fäden zurecht, mit denen später die Därme abgebunden werden. Es wird wenig geredet, nur aus einem Radio tönen spanische Hits. Vielleicht, weil es noch immer früh ist, vielleicht auch, weil wir anwesend sind. Die Presse, die die jahrzehntelange Tradition auf der Finca in Schwierigkeiten bringen könnte.

Draußen haben die Männer bereits die gelatinehaltigen Vorderpfoten abgetrennt und in eine Kiste gelegt. „Wir schmeißen hier fast nichts weg, so gut wie alles wird verarbeitet“, sagt Toni. Auch das hat er von seinen Vorfahren gelernt. Die Tiere zu achten und nicht verschwenderisch mit ihren Erzeugnissen umzugehen. Mit festem Griff pressen Miquel und Biel die Hinterpfoten des kopflosen Schweins auseinander, klemmen sie an eine Metallaufhängung. Mit einem Trecker fährt Toni vor, bald baumelt das Tier von der erhobenen Schaufel freischwingend in der Luft.

Nach der Schlachtung wird der Kopf des fast 250 Kilo schweren Schweins abgetrennt Nele Bendgens

Jetzt kann es richtig losgehen. Meist ist es Toni selbst, der das Messer ansetzt und das knapp 250 Kilo schwere Schwein systematisch zerteilt. Erst die Speckschichten vom Rücken, später die Gedärme, dann die hochwertigen Lendenpartien. Die anderen Männer haben mittlerweile den Kopf des zweiten Tiers abgetrennt, das weiter auf dem Metallbock liegt. Bis es ebenfalls am Trecker aufgehängt wird, dauert es noch gut zwei Stunden. In denen sind alle mit dem ersten Schwein beschäftigt. Die grob abgetrennten Stücke werden an den langen Holztischen weiter zerkleinert, die Einzelteile sortiert. Weiches Fett kommt in einen Plastikbottich, daraus wird später Schmalz gemacht. Die blutigen Fleischteile wie auch Herz und Lunge landen auf einem anderen Stapel. „Für camaiot und butifarró.“ Harte Speckschwarten finden in einem dritten Gefäß Platz, Fleisch ohne Blut in einem vierten. „Beides brauchen wir nachher für die Sobrassada“, erklärt Toni.

Für die typische Streichwurst seien die beiden heute gestorbenen Schweine ideal. „Eine Kreuzung aus sehr fetthaltigem mallorquinischen porc negre und fleischhaltigem Iberischen Schwein, genau das, was sobrassada ausmacht“, sagt Toni. Die Tiere hätten in ihren anderthalb Lebensjahren nur ausgewähltes Futter bekommen – und die vorgeschriebenen Impfungen natürlich. Es sei ein würdiges Leben unter artgerechten Umständen gewesen. „Die Qualität hier ist nicht zu vergleichen mit Produkten aus Massentierhaltung. Was wir machen, ist gesund“, sagt Toni. Verkaufen darf er die Erzeugnisse trotzdem nicht ohne Genehmigung. Eigentlich.

Um die traditionelle Streichwurst Sobrassada herzustellen, werden Salz und Paprikapulver unter das Hackfleisch gemischt. Nele Bendgens

Je länger wir zusehen, desto mehr verlieren wir die Scheu. Ja, es geht hier blutig zu, ja, es ist nichts für Zartbesaitete. Gleichzeitig strahlt die ganze Szenerie etwas Ursprüngliches aus, das man in einer sterilen Schlachtanlage erfolglos sucht. Die selbst gezimmerten Schneidetische. Die alten Metallschalen auf den Gasfeuern, in denen eine der Frauen das Fett für das Schmalz zum Kochen bringt. Die offensichtlich selbst konstruierten, aber effizienten Abflussrahmen, in denen die zwei anderen Frauen heißes Wasser in Därme fließen lassen, um sie dann mithilfe von Holzstöcken umzustülpen.

Vor dem scheunenartigen Gebäude warten zwei Katzen und der Hofhund nur darauf, sich ein Stück des Fleischschmauses zu sichern. Und doch entsteht zu keinem Moment der Eindruck, es gehe hier unhygienisch zu. Ständig läuft eine Waschmaschine, um alte Stoffbahnen direkt nach dem Gebrauch auszukochen. Jeder Blutspritzer wird sofort entfernt, jedes Stück Fleisch, das nicht in die Sobrassada kommt, in den Kühlraum gebracht. „Ich bin manisch, was Sauberkeit angeht, und schließlich will ich ja auch selbst von der Sobrassada essen“, erklärt eine Frau Ende 30, für uns Antònia, und schüttet noch einmal heißes Wasser durch den Darm in ihren Händen.

Die Därme werden besonders akribisch gereinigt Nele Bendgens

Die Sonne scheint mittlerweile warm vom Himmel. Zu warm für die Jahreszeit – und eigentlich auch zu warm zum Schlachten. Biel hängt Fliegenfallen auf. Und langsam tauen auch die Mallorquiner auf. „Kaffee? Gebäck?“, bieten sie uns an. Ein erster Vertrauensbeweis. Die älteste der Frauen begutachtet die zugekauften Därme. Hier soll bald die Sobrassada hinein. Die Därme der eigenen Schweine reichen nicht aus für die gut 200 Kilo Streichwurst, die heute entstehen. „Unsere Großeltern haben früher Lumpen genommen, wenn ihnen die Därme ausgingen“, verrät die Frau. „Für sie reichten die Produkte der Schlachtung als Familienvorrat für den ganzen Winter.“

Miquel wirft abwechselnd Speck und unblutiges Fleisch in einen Fleischwolf am Ende der Halle. So lange, bis die Metallwanne darunter voll ist mit Hackfleisch. 134 Kilo, zeigt eine Waage an. Biel nimmt den Taschenrechner zur Hand, um die Mengenverhältnisse zu kalkulieren. Dann schüttet er Paprikapulver aus Porreres auf das Hackfleisch und extrafeines Schlachtersalz. Zu dritt kneten die Männer, der Muskelkater ist vorprogrammiert. Endlich entsteht die typische grellrote Sobrassadamasse. „Klar kenne ich Leute, die das hier eklig finden und ablehnen“, sagt Toni. „Gleichzeitig essen sie Fleisch aus dem Supermarkt.“

Er macht sich nichts vor. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Verordnungen und Gesetze werden in Kraft treten, die das hofeigene Schlachten erschweren. „In einigen Jahren werden wir das hier gar nicht mehr machen können“, ist er sich sicher. Dann verliert die eingeschworene Gruppe nicht nur den kleinen Nebenverdienst an den Wochenenden im Herbst und die leckeren Fleischvorräte für den Eigenbedarf, sondern auch ein Stück Identität. „Wir machen das hier in erster Linie, weil es uns gefällt. Weil es zu uns gehört, weil wir an diese gesunde Art der Fleischverarbeitung glauben“, sagt Toni. Als die Freunde fertig sind, ist der Mittag längst vorüber. Alle sind zufrieden – und müde. Mittlerweile lächelt uns Antònia richtig herzlich an. „Den Nachmittag verbringen wir auf dem Sofa vorm Fernseher“, sagt sie. Zumindest in der Hinsicht haben sie es komfortabler als ihre Vorfahren.