Sie wurden vor 4.000 Jahren geschrieben, sie gehören zu einem der ersten literarischen Werke der Menschheit - und sie waren auf Mallorca in Vergessenheit geraten: Papyrusfragmente, die mehr als ein Jahrhundert lang in einem kleinen und wenig bekannten Museum, dem Museum Bíblic de Mallorca, aufbewahrt wurden. Wiederentdeckt hat sie bereits vor einigen Jahren, damals noch als Studentin, die spanische Ägyptologin Marina Escolano-Poveda.

Auf rotem Karton geklebt und in einem Rahmen mit Glas abgedeckt, werden in Palma Fragmente vom Anfang des "Gesprächs eines Lebensmüden mit seiner Seele" (auch: "Gespräch eines Mannes mit seinem Ba" oder nur "Lebensmüder") aufbewahrt. Es handelt sich bei dem Text um den Dialog zwischen einem Sterbenden und seinem "Ba", in dem über den Nutzen von Leben und Tod nachgedacht wird. Der "Ba" ist in der altägyptischen Mythologie ein Aspekt der Seele, der den Körper verlassen und eigenständig agieren kann.

Der "Lebensmüde" und die "Hirtengeschichte"

Escolano-Poveda, die an der University of Liverpool unterrichtet, erklärt: "Der Dialog gilt als der erste philosophische Text der Geschichte." Verfasst ist er auf Papyrus in hieratischer Schrift, einer mit den Hieroglyphen eng zusammenhängenden Kursivschrift. Der größte Teil des einzigen Exemplars dieses Textes wird im Ägyptischen Museum in Berlin aufbewahrt und ist Teil des so genannten "Papyrus Berlin 3024". Er enthält neben dem "Lebensmüden" auch das größte Fragment der "Hirtengeschichte", ein weiteres wichtiges Stück altägyptischer Literatur aus dem Mittleren Reich (2000-1650 v. Chr.) – der ersten dokumentierten Literatur neben jener, die vor 40 Jahrhunderten parallel in Mesopotamien entstand.

"Diese Texte sind sehr selten. Die literarischen Werke aus dieser Zeit umfassen nicht mehr als zwanzig, und die meisten von ihnen sind sehr fragmentarisch. Es gibt etwa zehn relativ vollständige erzählende Berichte. Die Entdeckung neuer Fragmente war sehr bedeutsam", sagt Escolano-Poveda. In dem Textfragment, das bis zum Fund der Papyri von Mallorca bekannt war, wird der Dialog zwischen dem namenlosen Menschen und seinem Ba dokumentiert. Laut der Ägyptologin wurde jedoch lange darüber diskutiert, was der Auslöser für diese Debatte war.

Die Ägyptologin Marina Escolano-Poveda. EFE

Erste Forschungsergebnisse 2017

Die neuen Fragmente liefern zwei wesentliche Elemente: Erstens wird der Protagonist als "der kranke Mann" identifiziert, was seinen Dialog mit dem Tod erklärt, und zweitens wird der Rahmen der Erzählung festgelegt – nämlich die Geschichte, die dieser Mann Dritten erzählt, darunter einer Frau namens Ankhet.

Escolano-Poveda veröffentlichte 2017 die ersten Ergebnisse ihrer Forschung unter dem Titel "New Fragments of Papyrus Berlin 3024" in der Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde. Dabei erwähnte sie bereits, dass sich in den Mallorca-Fragmenten auch relevante Elemente des anderen Textes, der "Hirtengeschichte", befänden. Die Erkenntnisse aus einer vertiefenden Beschäftigung mit diesem Thema sollen nun im Dezember veröffentlicht werden.

Begegnung mit einer furchteinflößenden Göttin

In dieser zweiten – älteren und kürzeren – Geschichte auf der in Berlin aufbewahrten Schriftrolle ist der Protagonist ein Hirte, der in wörtlicher Rede berichtet, wie er bei einem Teich neben dem Weideland auf eine Frau traf, die ihm große Furcht einflößte. Die Begegnung veranlasst ihn dazu, sein Vieh in Sicherheit zu bringen. Am nächsten Tag begegnet er erneut dieser Göttin in Frauengestalt und wird von ihr in Versuchung geführt.

In den Fragmenten von Mallorca stieß die Ägyptologin auf die Passage der Verwandlung der Göttin in eine Frau, die zunächst die Gestalt eines Tieres annahm, möglicherweise mit löwenähnlichen Zügen, und die den Hirten nach der Anzahl seiner Rinder fragt, um sich einige von ihnen anzueignen. Sie enthält auch eine poetische Beschreibung der weiblichen Schönheit der Göttin.

Eine Stele im Louvre, die ein Jahrtausend nach dem Papyrus datiert ist, gibt die Beschreibung der Göttin in identischen Worten und in der Sprache des Mittleren Reiches wieder, was auf eine Kontinuität in der literarischen Tradition hindeutet, die mit der Erhaltung des Papyrus zusammenhängen könnte.

Wie gelangten die Fragmente nach Mallorca?

Escolano-Poveda will die Papyri aus Mallorca nun in das Ägyptische Museum in Berlin bringen, um ihre korrekte Konservierung zu gewährleisten, bevor sie auf die Insel zurückgebracht werden. Zudem möchte sie die Position der Fragmente im Gesamtmanuskript untersuchen.

Das könnte Sie interessieren:

Das Herausnehmen aus dem Rahmen und die Untersuchung des Zeitungspapiers, auf dem die Unterlage des Papyrus befestigt ist, könnte darüber hinaus Licht in eines der Rätsel bringen, die diese Stücke noch immer umgeben: Wie sie einst nach Mallorca kamen. Bekannt ist, dass die Schriftrollen, aus denen sie herausgerissen wurden und die in den 1830er Jahren in Ägypten gefunden worden waren, 1837 in London versteigert und 1843 in die Berliner Sammlung aufgenommen wurden. Aber unklar ist, wie die fehlenden Teile des Puzzles schließlich in das Museu Bíblic de Mallorca gelangten.

Das kleine, an ein Priesterseminar in der Altstadt von Palma de Mallorca angeschlossene Bibelmuseum ist unter Besuchern und Einheimischen nur wenig bekannt. Aufbewahrt werden dort, unter anderen Ausstellungsstücken, auch eine ägyptische Mumie und ein Sarkophag. /bro/ck