Wer künftig auf den Landstraßen im Süden Mallorcas unterwegs ist, wird spätestens alle fünf Kilometer auf ein neues Schild am Straßenrand aufmerksam werden. Es zeigt Spitzhacke und Schaufel in stilisierter Form, zu lesen ist auf Mallorquinisch der Satz: „Straße von republikanischen Häftlingen gebaut“. Während Bürgerkrieg (1936–1939) und Franco-Regime (1939–1975) bauten Zwangsarbeiter auf der Insel Straßen mit einer Gesamtlänge von 160 Kilometer sowie zahlreiche Verteidigungsanlagen entlang der Küste, vor allem Bunker. Darunter auch die am Es-Trenc-Strand, wie die Historikerin Maria Eugènia Jaume im Gespräch mit der Mallorca Zeitung erklärt. „Wenn ich heute sehe, wie sie mit netten Sprüchen bemalt sind, habe ich gemischte Gefühle.“

Die Aufarbeitung dieses bislang öffentlich wenig beachteten Kapitels der Franco-Vergangenheit ist das neueste Geschichtsprojekt der Balearen-Regierung und des Inselrats von Mallorca. Seit inzwischen knapp acht Jahren holt der regierende Linkspakt die in Zeiten der Diktatur und der jungen Demokratie in Spanien ausgebliebene Vergangenheitsbewältigung nach. Los ging es Ende vergangener Woche mit einer ersten Info-Tafel bei Port de Sóller. Was von Weitem wie eine Mallorca-Karte für Wanderer oder Radfahrer wirken mag, zeigt die Strecken, die die insgesamt rund 8.000 Zwangsarbeiter in den Jahren zwischen 1936 und 1942 gebaut haben.

Furcht vor Angriffen

Dabei ging es von Anfang an um rein militärische Zwecke. Diktator Franco, der vor dem Putsch, in den Jahren 1933 bis 1935, als Militärkommandant auf den Balearen stationiert gewesen war, kannte die Mängel der Verteidigungsfähigkeit der Insel aus erster Hand. Angesichts eines befürchteten Angriffs der mit dem republikanischen Lager sympathisierenden Länder in Europa sollte die Insel besser verteidigt werden können – daher der Ausbau des Wegenetzes direkt hinter der Küste, um schnelle Truppenbewegungen zu ermöglichen. Ein erster Versuch republikanischer Milizionäre, die Insel von den Putschisten zurückzuerobern, war im August 1936 bereits brutal niedergeschlagen worden.

Die für den Ausbau der Verteidigung benötigten Zwangsarbeiter wurden auf verschiedene Weise rekrutiert. Während des Bürgerkriegs waren es vor allem Häftlinge aus den Inselgefängnissen – Sozialisten und Kommunisten, die nach Kriegsausbruch von den Putschisten festgenommen worden waren. Forscherin Jaume berichtet aber auch von Besatzungsmitgliedern von Schiffen, die in die Hände der Franco-Schergen geraten waren. „Darunter befanden sich Festlandspanier, aber auch Griechen oder Russen“, so die Historikerin, die über das Thema gerade ihre Doktorarbeit schreibt.

Kriegsgefangene vom Festland

In einer zweiten Phase bis 1940 kamen dann vor allem Kriegsgefangene vom Festland hinzu – auf Mallorca gab es schließlich kaum Kriegshandlungen. Diese Einheiten trugen den Namen batallones de trabajadores, „Arbeiterbataillone“. In einer letzten Phase bis 1942 erfolgte dann die Zwangsrekrutierung von Republikanern, die vor den Franco-Truppen ins Ausland geflohen waren, dann aber angesichts des Vormarsches der Hitler-Truppen wieder ins Land zurückgekehrt waren. Sie bildeten die batallones disciplinarios de soldados trabajadores, wörtlich „Disziplinarbataillone der Arbeitssoldaten“.

Untergebracht wurden die Zwangsarbeiter in insgesamt 26 Lagern entlang der Küste. Statt schwerer Maschinen hatten die Häftlinge nur Hacke und Schaufel zur Verfügung, es gab zudem einen eigenen Sprengtrupp aus Zwangsarbeitern, der bei Bedarf den Weg für die Streckenführung ebnete. Meter für Meter kämpfte man sich voran. Geschuftet wurde im Hochsommer bei Hitze ebenso wie an feuchtkalten Wintertagen, zu essen gab es viel zu wenig – „Fraß“, wie der einstige Zwangsarbeiter Gabriel Riera der Mallorca Zeitung vor fünf Jahren im hohen Alter von 98 Jahren erzählte.

Provisorische Lager

Zwangsarbeit, Konzentrationslager – beim deutschen Blick auf das Thema ist schnell die Assoziation mit dem Nazi-Regime da. Die Unterschiede seien aber fundamental, betont Jaume. Zwar sei auch die Lage der Gefangenen auf Mallorca oftmals prekär gewesen, es habe Misshandlungen und Strafen, Mangelernährung und Epidemien gegeben. Doch dabei sei es niemals um die Vernichtung der Menschen durch Arbeit wie in der Nazi-Ideologie gegangen, im Gegenteil: Oberstes Ziel sei die maximale Verteidigungsfähigkeit Mallorcas gewesen. Man habe schon allein deshalb die Arbeiter nicht unnötig quälen wollen, da Ersatzarbeitskräfte erst aufwendig auf die Insel hätten gebracht werden müssen.

Diese Straßen wurden von Zwangsarbeitern gebaut. Consell

Die Behandlung der Gefangenen habe sich zudem je nach Kommandostruktur deutlich unterschieden. Die Lager waren zunächst provisorischer Natur – die Arbeiter wurden in Landhäusern, öffentlichen Gebäuden und vor allem Zelten untergebracht, der Bereich dann umzäunt und streng bewacht. Später entstanden bei Artà im Nordosten der Insel, im heutigen Parc de Llevant, auch einfache, mit Dissgras bedeckte Baracken für die mehr als 300 dort untergebrachten Häftlinge. Die Ruinen sind noch heute auf dem nach ihnen benannten Camí dels Presos zu sehen. Es war das letzte Lager mit Zwangsarbeitern, das auf Mallorca eröffnet wurde, und es war auch das letzte, das geschlossen wurde – am 11. Dezember 1942, vor ziemlich genau 80 Jahren.

Spanienweit erstmalig

Wenn heute so wenig auf Mallorca an die Zwangsarbeit erinnert, liegt das auch daran, dass die zunächst für Militärfahrzeuge konzipierten Wege später asphaltiert wurden und heute praktisch normale Landstraßen sind. Führten sie früher längs kaum besiedelter Gebiete am Meer entlang, erschließen sie heute vor allem an der Südküste die nicht zuletzt von Urlaubern frequentierten Küstenorte. Auch etwa der Weg hoch auf die Talaia d’Albercutx auf der Halbinsel Formentor ist das Werk von Zwangsarbeitern.

Nur ein kleiner Teil der Straßen gehört heute dem Militär, ein weiterer kleiner Teil den Gemeinden, 133 der insgesamt 166 Kilometer dagegen fallen in die Zuständigkeit von Mallorcas Inselrat. Damit die Hinweise überall zu lesen sind, überlässt der Inselrat die neuen Schilder auch den anderen Institutionen. Auf Mallorca hofft man, dass die spanienweit erstmalige Initiative in anderen Regionen Nachahmer findet.

Schilder schon beschmiert

Auf der Insel selbst stößt sie hingegen auf Widerstand. An mindestens zwei Orten – in der Nähe der Urbanisation Les Palmeres (Gemeinde Llucmajor) sowie an der Einfahrt nach Portocolom – haben Rechtsextreme die gerade erst aufgestellten Schilder bereits mit schwarzer oder rot-gelber Farbe verunstaltet, was einen MZ-Leser aus Llucmajor an die Schändung jüdischer Gedenkstätten in Deutschland erinnert.

Für die Nachkommen der Zwangsarbeiter dagegen sind die neuen Schilder ein Stück späte Gerechtigkeit. So war auch der Sohn eines in der Nähe von Campos eingesetzten Gefangenen bei der Vorstellung des Projekts vergangene Woche in Port de Sóller mit dabei. Eine solche Initiative sei früher nicht denkbar gewesen, so der heute 90-Jährige mit Tränen in den Augen. Er sei sehr dankbar dafür.