Dokumentationen haben im spanischen Fernsehen einen schweren Stand. Es gibt ausgeruhte Tier-Dokus in La2 am Nachmittag, die mancher Spanier für die Siesta einschaltet. Es gibt jede Menge eingekaufte, mit Spanisch übersprochene Dokus über Hitler, die größten Brücken der Welt oder moderne Architektur, die mit der spanischen Realität wenig zu tun haben. Und es gibt Dokus der Privatsender, die Aktuelles bunt, aber mit wenig Tiefgang präsentieren. Obwohl die spanische Geschichte spannendes und historisch noch nicht aufgearbeitetes Material liefert, überließ man es 2017 dem ZDF, die „Wahrheit über Franco“ in einem aufwendigen Vierteiler zu erzählen.

Jetzt hat der Staatssender TVE ein ehrgeiziges Projekt im Programm, das die spanische Geschichte des 20. Jahrhunderts aus einer neuen Perspektive erzählt. „España, el siglo XX en color“ (Spanien, das 20. Jahrhundert in Farbe) zeigt in sechs Kapiteln die dramatischen Jahrzehnte in aufwendig nachkolorierten Archivaufnahmen – vom Niedergang des Königreichs und der Diktatur von Miguel Primo de Rivera in den 20er-Jahren über den traumatischen Bürgerkrieg (1933–1936) bis hin zum Franco-Regime mit seinen ganz unterschiedlichen Etappen und dem späten Übergang zur Demokratie Ende der 1970er-Jahre.  

Ungewohnte Farben

So habe man das Jahrhundert noch nicht gesehen, verspricht TVE, und das stimmt auch. Die Ästhetik des Spanischen Bürgerkriegs bestimmen eigentlich Schwarz-Weiß-Bilder. Jetzt leuchten die wehenden republikanische Fahnen in Rot, Gelb und Lila, die Uniformen der Kämpfer im satten Grün, die Bombenangriffe auf spanische Städte in Feuerrot. 

Modern ist aber vor allem die soziologische Sicht auf die Geschichte. Die Handlungen der Staatenlenker und Diktatoren sind aufs Nötigste beschränkt. Protagonist ist nicht Franco, sondern vielmehr die spanische Gesellschaft. Im Vordergrund stehen die einfachen Leute und das tägliche Leben. Und ein Verdienst der Dokumentation ist insbesondere, dass die spanische Geschichte nicht wie bislang nur aus männlicher, sondern auch gebührend aus weiblicher Sicht erzählt wird.

Ausgewogene Perspektive

Die Dokumentation hat zwar keine neue, interessante These. Es kommen auch keine Historiker zu Wort. Aber wahrscheinlich ist es Verdienst genug, die Geschichte des ideologisch gespaltenen Landes ausgewogen zu erzählen – auf Distanz zu gehen zu den Propaganda-Aufnahmen der Diktatur, ihr das jahrzehntelang verschwiegene Leid der Verlierer-Seite gegenüberzustellen und trotzdem auch die auf republikanischer Seite begangenen Gräueltaten zu thematisieren. Aus der Perspektive des deutschen Zuschauers ist besondere die Intervention von Hitler-Deutschland im Bürgerkrieg ein interessanter Aspekt. Der Angriff auf Guernica, die Toten in den Trümmern und Schützengräben – auch diese Szenen sind koloriert worden. 

Kuriose Details

Selbst wer sich ein bisschen mit der spanischen Geschichte auskennt, dürfte neue Aspekte und Anekdoten zu sehen bekommen. Da gibt es Szenen aus der einstigen Kolonie Äquatorialguinea. Da gibt es Ausschnitte aus dem Film „La Malcasada“ aus dem Jahr 1926, in dem erstmals offen im Kino das Thema Scheidung angesprochen wird und in dem der spätere Diktator Francisco Franco mit dabei ist – der Militär spielt sich selbst in einer kleinen Rolle. Oder da sind Bilder eines Fußball-Freundschaftsspiels zwischen Spanien und Deutschland, der Kommentator nennt die Gäste auf dem Spielfeld ganz selbstverständlich bebedores de cerveza, Biertrinker.

So aufwendig die Produktion von Minoría absoluta, so versteckt der Sendeplatz: TVE zeigte die sechs Teile Ende vergangenen Jahres in seinem zweiten Programm, in zwei Mammutblöcken von jeweils drei Stunden. Man stelle sich vor, was das ZDF daraus gemacht hätte – eine „Event-Doku“ zur besten Sendezeit. 

Sechs Folgen, je 60 Minuten, Spanisch, abzurufen in der Mediathek (externer Link)