Pegah Khoei hat unter den Regeln der Sittenpolizei im Iran gelebt, auf Zypern das Studentenleben genossen, in einem türkischen Flüchtlingslager Musik unterrichtet. Jetzt lebt sie auf Mallorca, der dritten Mittelmeerinsel ihres Lebens, und verbindet mallorquinische Arbeiterlieder mit mesopotamischer Musik. Die 38-Jährige strahlt im Interview Ruhe aus und eine Zufriedenheit mit sich und der Welt. Das war nicht immer so, vor allem nicht zu ihrer Anfangszeit in Spanien.
Pegah Khoei kam 1984 in Teheran zur Welt, fünf Jahre nach der islamischen Revolution im Iran. Die Gesetze des noch jungen Mullah-Staates waren damals noch strenger als heute, erzählt sie. Ihre Familie brachte sich beispielsweise allein dadurch in Gefahr, Musikinstrumente zu besitzen. „Jeder hatte zwei Leben: eines zu Hause, das man sich ausgesucht hat, und eines draußen, von der Regierung bestimmt“, sagt die Iranerin.
Wenn Khoei an ihre Kindheit denkt, erinnert sie sich vor allem an das Leben zu Hause. Dort, wo die Frauen ihre Kopftücher gefahrlos abnehmen konnten. Sie erinnert sich an ihre Familie, an Musik, an Gedichte, die vorgelesen wurden. Immer war ein Cousin zum Spielen da, nie war sie allein. Und sie erinnert sich daran, ständig auf Reisen gewesen zu sein. Ihr Vater kam aus der geschichtsträchtigen Stadt Isfahan im Zentrum Irans, Khoeis Mutter aus Schiras im Südwesten. Häufig besuchten sie Familienmitglieder. Dabei lernte Khoei die Kulturen ihres Heimatlandes kennen. Ihre Großeltern mütterlicherseits beispielsweise waren Nomaden.
Leben "pausierte" fünf Jahre lang
Schon von klein auf liebte Khoei das Reisen. Weil sie außerdem genug von der strengen Sittenpolizei hatte, beschloss sie 2003, im Ausland zu studieren. Sie zog auf die türkische Seite Zyperns, denn dort brauchte sie kein Visum, und das Leben war vergleichsweise günstig. Ihre Karriere verlief damals in geregelten Bahnen, sie machte erst den Bachelor, dann den Master in PR und Kommunikationswissenschaften, lernte Türkisch und verliebte sich in einen türkischen Kommilitonen. Mit ihrem damaligen Freund zog sie nach dem Studium nach Istanbul. Dort arbeitete sie fünf Jahre in einer Werbeagentur.
Sieht man Khoei heute, mit ihrer bunten Kleidung, den wilden Locken und einer Art künstlerischen Aura, kann man sich die Iranerin nur schwer bei einem klassischen Bürojob vorstellen. „Im Nachhinein habe ich das Gefühl, dass in diesen Jahren mein Leben eine Pause machte“, sagt die 38-Jährige. Als es mit ihrer Jugendliebe zu Ende ging, zog sie auf eine der Prinzeninseln vor Istanbul, um näher an der Natur zu sein. Jeden Tag fuhr sie mit der Fähre in die Stadt. Die Wende brachte eine Zirkusschule direkt neben ihrer Arbeitsstelle. Khoei lernte dort Jonglieren, übte sich im Singen. Plötzlich war sie wieder von Kunst umgeben wie in der Kindheit. Von Tag zu Tag war ihr der Job weniger wichtig. Das bemerkten auch ihre Vorgesetzten. „Ich wurde gefeuert“, erzählt sie. Die Zeit danach nutzte Khoei zum Reisen, größtenteils durch die Türkei.
Entdeckung des Sufismus
Dabei kam sie in die anatolische Stadt Konya, wo der persische Dichter und Sufi-Mystiker Rumi verehrt wird. Khoei lernte den Sufismus, eine spirituelle Strömung aus dem Islam, kennen. „Meine Welt explodierte“, sagt sie. Der zentrale Gedanke des Sufismus sei die „Überwindung des Egos auf dem Weg zur Liebe“, sagt Khoei – und klingt dabei weder verklärt noch missionarisch. Sachlich versucht sie die mystische Praxis zu beschreiben, der sie bis heute folgt. Wobei sie Strömungen innerhalb des Sufismus auch kritisch sieht. „Manche sagen, man muss erst dem Islam zugehören, bevor man Sufi wird“, sagt sie. Khoei selbst ist keine gläubige Muslima und sieht ihren spirituellen Glauben getrennt von der Religion. So gibt sie es auch in ihren Sufi-Workshops auf Mallorca weiter.
Nach ihrer Entdeckung des Sufismus reiste Khoei weiter. 2014 war der syrische Bürgerkrieg war in vollem Gange. Mit Freunden begann sie, in Flüchtlingslagern in der Türkei Musik zu unterrichten. „Ich habe erst dort gesehen, wie das Leben sein kann, es war eine Erfahrung, die mir die Augen öffnete“, sagt sie.
Hinzu kam eine weitere Entdeckung, die sie bis heute begleitet. Nachdem sie monatelang mit Windpocken im Bett lag, war ihr Gesicht voller Wunden. „Ich dachte, ich bin jetzt für immer entstellt“, erzählt sie. Auf der Suche nach Heilung verbrachte sie sechs Monate in einer ayurvedischen Farm in der Türkei. Sie kam geheilt zurück und trägt ihre Kenntnisse aus dieser Zeit bis heute mit sich. Auf Mallorca kocht sie für das Ayurveda-Zentrum Moksha.
Umzug nach Spanien
Im Anschluss lebte sie einige Zeit wieder im Iran, bis 2017 erneut ein Wendepunkt kam: Sie lernte bei einem Sufi-Festival einen Spanier kennen und verliebte sich. Nachdem sie ein Jahr lang zusammen gereist waren, heiratete das Paar. Khoei zog nach Valencia. „Anfangs war es schwer für mich, in Europa zu leben“, erzählt sie. Der Kulturschock war vor allem im Zwischenmenschlichen groß. „Iraner sind eher verschlossen, aber wenn du dich mit jemandem anfreundest, dann ist es eine tiefe Beziehung.“ In Spanien sei es eher anders herum. Khoei hatte Schwierigkeiten, richtige Freundschaften zu knüpfen. „Andererseits lag das sicherlich auch an mir, ich war zu diesem Zeitpunkt einfach unglücklich.“ Die Beziehung zu ihrem Mann lief nicht so gut wie erwartet. Nur ein Jahr nach der Hochzeit ließen sich die beiden wieder scheiden.
Im Iran war zusätzlich zur politischen Situation in der Zwischenzeit die wirtschaftliche Lage untragbar geworden. Khoei beschloss, nach der Trennung in Spanien zu bleiben. Aus Valencia aber wollte sie weg. Sie überlegte, nach Granada zu ziehen. „Einfach nur, weil ich Flamenco liebe“, sagt sie. Vorher schaute sie aber noch auf Mallorca vorbei, wo sie einem Freund ein Instrument aus dem Iran vorbeibringen wollte.
Auf Mallorca eine neue Heimat gefunden
Es gefiel ihr auf der Insel, sie blieb. „Erst Zypern, dann die Prinzeninseln in der Türkei, jetzt Mallorca: Irgendwie fühle ich mich einfach zu mediterranen Inseln hingezogen“, sagt sie. Aus ihrem kurzen Aufenthalt wurde schnell eine dauerhafte Bleibe, als die Corona-Pandemie ausbrach. Noch während des Lockdowns begann sie mit dem Künstler Tomeu Gomila an verschiedenen Projekten zu arbeiten. Sie gründeten mit Es Clot des Font einen Ort, an dem sie unter anderem Konzerte und Workshops zu Spiritualität anbieten. „Wir haben von Anfang an eine starke Verbindung gespürt“, erzählt Khoei. Mit der Zeit entwickelte sich daraus eine Beziehung.
Für Khoei ist es wie ein Kreis, der sich schließt. Wie in ihrer Kindheit ist sie umgeben von Kunst, Musik und Familie. Und ähnlich wie die Iraner seien Mallorquiner verschlossen, aber an echten Freundschaften interessiert. Um ihre alte und ihre neue Heimat zu verbinden, hat sie sogar ein eigenes Projekt gestartet. Weil mallorquinische Volkslieder Khoei an Lieder aus dem Iran erinnerten, spielen sie und Gomila in der Gruppe Qânât nun eine Mischung aus diesen beiden Musikrichtungen. „Unsere Kulturen haben sehr viel gemeinsam“, sagt Khoei. Und diese Gemeinsamkeiten will sie weiterhin erforschen.