Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Antworten unter dem Sand: Am Strand von Sa Coma auf Mallorca beginnt am Donnerstag die Suche nach Milizionären aus dem Bürgerkrieg

Den Sondierungen sollen nach Saisonende Exhumierungen folgen – so denn überhaupt noch etwas gefunden werden kann

In diesem Gebiet am Strand von Sa Coma, zwischen den beiden dortigen Bunkern, könnten die Gefallenen und Hingerichteten verscharrt worden sein. | FOTO: NELE BENDGENS Nele Bendgens

Es waren Aufnahmen der CIA, die entscheidende Informationen lieferten. Der US-Geheimdienst hatte 1941 zu militärischen Zwecken Luftaufnahmen von der spanischen Küste angefertigt, und auf diesen inzwischen freigegebenen Dokumenten ist auch der Strand von Sa Coma an der Ostküste von Mallorca zu sehen. „Es gibt sichtbare Veränderungen in den Dünen“, sagt Jesús Jurado, Koordinator der Projekte zur Aufarbeitung der Bürgerkriegszeit auf den Balearen. Wurden hier 1936 getötete Milizionäre verscharrt? Die Antwort ist noch offen, aber „diese Aufnahmen entstanden nur fünf Jahre nach den Kriegshandlungen“, so der Politiker der Linkspartei Podemos.

Die historischen Fotos waren vergangenes Jahr Grundlage für erste Analysen vor Ort mit Bodenradar und Magnetometer. Und jetzt wird erstmals gegraben: Ab Donnerstag (23.3.) wird auch am Strand von Sa Coma erstmals nach Opfern des Bürgerkriegs gesucht, wie der Regionalsender IB3 mitteilt. Es handelt sich um Sondierungen von voraussichtlich zehn Tagen, die die Grundlage für Exhumierungen im Herbst sein sollen.

Milizionäre bei der Landung an der Ostküste Mallorcas. | FOTO: ARCHIV/DM

Das Projekt in Sa Coma ist Teil der vierten Stufe des Plans zur Bergung von Bürgerkriegsopfern auf den Inseln, für die 1,3 Millionen Euro bereitstehen. Wurde bislang nach Opfern der Repression gesucht, die zu Kriegsbeginn von Franco-Schergen ermordet worden waren, geht es nun auch um die Aufarbeitung der kurzen, aber heftigen Kampfhandlungen auf Mallorca, nachdem im August 1936 republikanische Milizionäre bei Porto Cristo gelandet waren.

Die Verteidiger der Republik wurden von den Putschisten mithilfe italienischer Faschisten zurückgedrängt und besiegt. Nur einige der Milizionäre kehrten lebend nach Barcelona zurück. Viele kamen zu Tode, verschwanden. Dass bis heute nicht nach ihnen gesucht wurde, ist in erster Linie mit der langen Franco-Diktatur (1939–1975) und dem Schweigepakt in der jungen spanischen Demokratie zu erklären. Bei den vor knapp zehn Jahren begonnenen Exhumierungen von Bürgerkriegsopfern war Sa Coma bislang außen vor geblieben.

Milizionäre der Bayo-Expedition am 31. Juli 1936. | FOTO: VIDAL CORELLA

Feldstudien seit 2017

Das gilt auch für die Erkundungen von Manuel Aguilera und seinen Kollegen. Der Journalist und Autor ist einer der Koordinatoren eines 2017 gestarteten Projekts zur Erforschung der Kriegshandlungen im Sommer 1936. Die Forscher haben die Schauplätze der Kampfhandlungen an der Ostküste vermessen und dort auch Ausgrabungen vorgenommen. Die Exhumierung menschlicher Überreste aber falle nun einmal in die Zuständigkeit der Behörden, erklärt Aguilera.

Einerseits erwartet sich der Forscher viel vom anstehenden Projekt der Landesregierung: „Sa Coma wird als Schauplatz von zahlreichen Quellen genannt.“ Viele der beim Rückzug gefallenen oder aber zurückgelassenen und hingerichteten Milizionäre könnten vor Ort vergraben worden sein. Andererseits gibt es auch Quellen, wonach die Opfer verbrannt wurden, in Felsspalten verschwanden oder auf privaten Grundstücken verscharrt wurden. Es sei ungewiss, was man nach so vielen Jahrzehnten unter dem Strand noch finden werde.

Die aktuellen Schätzungen gehen für die Kriegshandlungen von rund 4.000 Kämpfern im nationalen Lager aus, 5.000 im republikanischen Lager und wohl 400 Toten aus. Man könne davon ausgehen, dass die meisten dem Lager der Republikaner angehörten, sagt Jurado. Die Opfer auf Seiten der Putschisten hätten damals schließlich geborgen werden können. Es gebe auch keine einzige Vermisstenmeldung für Kämpfer des nationalen Lagers.

Was damals geschah

Es war am 16. August 1936, als die republikanischen Kämpfer unter dem Kommando von Kapitän Alberto Bayo bei Porto Cristo an Land gingen, um die Insel den Putschisten unter General Franco zu entreißen. Die Milizionäre hatten im Auftrag der damals republiktreuen katalanischen Regierung zuvor Formentera und Ibiza eingenommen. Auf Mallorca jedoch kam die Offensive noch vor der Einnahme der Ortskerne von Son Servera und Sant Llorenç ins Stocken. Das Franco-Lager bekam Zeit für den Gegenangriff. Anfang September gaben die republikanischen Kräfte auf und traten Hals über Kopf den Rückzug an.

Die Feldforschungen der vergangenen Jahre lassen schon jetzt neue Schlüsse über die dramatischen 20 Tage zu. „Die Schlacht war intensiver und blutiger, als man bislang dachte“, sagt Aguilera mit Verweis auf die Schutzwälle und Schützengräben, die sein Team in den Hügeln rund um Son Servera katalogisiert hat. Patronenhülsen belegen den intensiven Einsatz der Artillerie. Auch das Chaos in den Reihen der republikanischen Kämpfer lasse sich belegen. „Es war die einzige Anlandung im Spanischen Bürgerkrieg, eine komplexe militärische Operation.“ Die meisten Kämpfer waren Milizionäre statt ausgebildeter Soldaten, ihnen fehlten Ortskenntnisse und sie hätten den Widerstand unterschätzt, sagt Aguilera. Den Angreifern sei es nicht gelungen, den Überraschungsmoment nach der Landung auszunutzen.

Hinzu kam: Die republikanische Regierung in Madrid schickte keine Verstärkung, sondern erachtete andere Schauplätze des Bürgerkriegs als wichtiger. Anders das nationale Lager: Franco gab Order, die republikanischen Angreifer noch an der Küste zu stoppen. Dank der früheren Stationierung auf den Balearen kannte er die Gegebenheiten bestens. Und dann, am 28. August, kam Verstärkung durch die italienischen Alliierten. Kontrollierten die Republikaner bis dato den Luftraum, versetzte ihnen das nationale Lager nun einen „tödlichen Schlag“.

Keine Suche zur Urlaubssaison

Wo sich vor 87 Jahren Dramen abspielten, herrscht heute Strandidylle, und diese soll auch durch die Ausgrabungen nicht gestört werden. Noch vor Ostern ziehen sich die Forscher wieder zurück und kommen erst nach Ende der Urlaubssaison im Oktober wieder – das habe die Landesregierung zugesichert, so Inés Batle, Vorsitzende der Hoteliersvereinigung von Cala Millor, „das hat keinerlei negative Auswirkungen für uns“. Zunächst handle es sich ohnehin nur um Sondierungen, bei denen die Löcher schnell wieder zugeschüttet würden. Die studierte Ingenieurin lobt die Informationspolitik, in den Gesprächen habe man alle Fragen beantwortet bekommen. Ansonsten ist sie aber skeptisch, was für Funde nach all den Jahrzehnten überhaupt möglich sind.

„Das ist ein ziemlich einzigartiger Fall“, meint denn auch Xesc Busquets, Koordinator von der katalanischen Firma Atics, die zusammen mit der baskischen Firma Aranzadi den Zuschlag für die Arbeiten bekommen hat. Voraussichtlich fünf Personen sollen zunächst im Einsatz sein, Archäologen, Anthropologen, Forensiker. Ihm sei kein vergleichbarer Fall über Ausgrabungen an einem Strand bekannt, sagt Busquets. Die Erosion, die ungeschützte Lage an der Ostküste, Stürme – es sei völlig offen, was man in welchem Zustand vorfinden werde. Stoße man bereits bei den Sondierungen auf Knochen oder Objekte, werde man diese geschützt vor Ort bis zum Herbst zurücklassen. Im Übrigen werde das vor Ort tätige Team auch Passanten, die sich für die Arbeiten interessierten, gerne über das Projekt informieren.

Atics und Aranzadi sind erfahren mit Ausgrabungen auf Mallorca, und Jurado ist froh, dass sich beide Firmen in der Ausschreibung für die jetzige vierte Phase als Konsortium gemeinsam bewarben – das garantiere nicht nur Qualität, sondern auch die nötige Manpower. Es gibt schließlich weitere Standorte. Im Fall der Schlacht werden sterbliche Überreste auch auf der Finca Son Escrivà am Puig de sa Font, am Hospital de Sang – der Name steht für das einstige Lazarett – sowie auch am früheren Friedhof von Son Carrió vermutet. Des Weiteren hat die letze und ambitionierteste Exhumierungsphase auf dem alten Friedhof Son Coletes bei Manacor begonnen. Dort müssen zunächst drei Meter Erdreich abgetragen werden.

Politische Priorität

Allein in Son Coletes sind 86 der bislang 241 geborgenen Überreste von Opfern der Repression gefunden worden. Die Aufarbeitung der Franco-Vergangenheit ist ein zentrales Anliegen der inzwischen seit acht Jahren auf den Inseln regierenden Linksregierung, die zu diesem Zweck ein eigenes Gesetz verabschiedete. Seit 2014 das erste Grab im Dorf Sant Joan noch auf kommunale Initiative hin geöffnet worden war, folgten in den vergangenen Jahren balearenweit 20 weitere Exhumierungen.

Von den 241 geborgenen sterblichen Überresten sind bislang 53 identifiziert und 48 ihren Angehörigen übergeben worden, zuletzt in einem feierlichen Akt am Samstag (11.3.) am Bürgerkriegsdenkmal auf Palmas Zentralfriedhof. Zugegen war auch der UN-Sonderberichterstatter zur „Förderung der Wahrheit, Gerechtigkeit und Rehabilitierung“, der Argentinier Fabián Salvioli. Er lobte die Initiativen auf den Balearen und stellte klar, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjährten – auch wenn man das nicht überall in Spanien so sehe.

Die Balearen jedenfalls durchlaufen gerade eine Hochphase der Vergangenheitsbewältigung. Die derzeitige vierte Stufe ist die bislang ehrgeizigste, mit ihr sollen die verbliebenen Bürgerkriegsgräber auf den Inseln geöffnet werden. Auch Dokumentation, Forschung und museale Aufbereitung sind als zentrale Ziele formuliert. Für Nachkommen von Franco-Opfern wurde gerade ein eigenes Büro eröffnet, in dem diese nicht nur Informationen über die Nachforschungen erhalten sollen, sondern auch psychologische Unterstützung – genauso wie Opfer von häuslicher Gewalt oder Terrorismus.

Und mit dem Projekt von Sa Coma wird die Vergangenheitsbewältigung nun auch über Regionengrenzen hinweg betrieben. Viele der getöteten Milizionäre stammten aus Katalonien, und die dortige Regionalregierung baut mithilfe von Angehörigen der Opfer eine DNA-Datenbank auf. Sind einmal die ersten Skelette in Sa Coma geborgen und die DNA brauchbar, kann die Identifizierung beginnen.

Artikel teilen

stats