Mallorca Zeitung

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MZ-Serie "Die anderen Auswanderer": Wie ein US-Amerikaner der Liebe wegen in Bunyola landete und den Poetry-Slam der Insel prägte

James Miele Scialabba ist als "Jim just Jim" beim Poetry-Slam auf Mallorca Kult. Dass es ihn auf die Insel verschlug, verdankt der US-Amerikaner den Irrungen und Wirrungen der Liebe. MZ-Serie "Die anderen Auswanderer", Teil 6:

James Miele Scialabba aus Brooklyn ist durch und durch Poet. Nele Bendgens

Amtierende balearische Meisterin im Poetry-Slam ist die Argentinierin Luz Violeta. Der emotionalste Moment bei ihrer Kür Ende März aber gehörte dem 66-jährigen James Miele Scialabba: Die Poeten der Insel würdigten den US-Amerikaner, der inzwischen auch die spanische Staatsbürgerschaft hat, mit einer Urkunde und viel Applaus für seine Verdienste auf und hinter der Bühne.

Slam öffnete Türen für mich“, sagt der lebenslustige Poet beim Besuch in Bunyola. „Ich habe mehr spanische und mallorquinische Freunde durch den Poetry-Slam gefunden als auf anderem Weg.“ Er sei dankbar für die Offenheit innerhalb der Bühnendichter-Szene, dankbar dafür, dass er mit seinen dramatischen, humorvollen, politischen oder philosophischen, aber immer leidenschaftlichen Texten schon seit vielen Jahren Gehör findet. „Slam ist voller gesunder Skeptiker und Zyniker. Da passe ich gut rein: Wer aus New York ist, hat das in den Genen“, sagt Miele, der von italienischen Immigranten abstammt.

Kindheit in Brooklyn, Jugend im Vorort

Seine Kindheit verbrachte der in Long Island Geborene seit dem zweiten Lebensjahr in Brooklyn. „Du bist nicht wie deine Schwestern!“, hörte der kleine James oft in der Schule von den Nonnen, die ihn unterrichteten. „Ich war der Klassenclown und habe immer ein bisschen Ärger gemacht“, erinnert er sich. Es waren andere Zeiten: Sportunterricht gab es damals nicht, dafür „Duck and cover“-Trainings. „Die Sirene ging an, und wir mussten uns unter dem Tisch verstecken. Das ist cold war stuff.“ Später schrieb Miele ein Gedicht darüber, in dem die Zeilen die Form einer Atompilzwolke bilden.

In seinem Viertel lebten Juden, Italiener und Einwanderer aus Puerto Rico und Kuba, die gut miteinander auskamen. „Ich hatte eine Gang in Brooklyn – nicht so eine mit Messern, aber wir hingen zusammen ab und tranken Boone’s Farm Apple Wine“, erzählt Miele. Als er 16 war, zog die Familie nach Nassau County auf Long Island, einer Vorort-Gegend von New York. Mit diesem Einschnitt begann eine schwere Zeit. Miele vergrub sich mit Musik und Büchern in seinem Zimmer, schrieb und las Hermann Hesse auf Englisch, auch Bob Dylan und Jack Kerouac. „Es war schwer, dort Freunde zu finden. Also wurden die Worte meine Freunde“, sagt er.

Der Wunsch, auszuwandern

Miele konnte es nicht erwarten, auszuziehen und zu studieren. Von 1974 bis 77 besuchte er die Syracuse University, dann unterbrach er das Studium, um Geld zu verdienen. Später ging er an die Florida International University in Miami, machte seinen Bachelor in Englischer Literaturwissenschaft, danach einen Master und arbeitete als Lehrer in seiner alten Heimat Brooklyn. Dort traf er eine Holländerin, die als Au-pair in den USA arbeitete, und verliebte sich. Miele plante, zu ihr nach Europa zu ziehen. „Aber als sie nach Rotterdam zurückging, kam sie wieder mit ihrem Ex-Freund zusammen“, sagt er.

James Miele 1975 in Syracuse im Bundesstaat New York. privat

Trotzdem hielt Miele an seinem Vorsatz fest, auszuwandern. Der Wunsch wurzele in seiner Jugend: „Ich wollte das Land schon immer verlassen, weil ich mit der Politik nicht einverstanden war. Die USA empfand ich als großen Tyrann auf der Weltbühne.“ Der erklärte „Lefty“ war in seinem Umfeld der politischste. „Mein Vater wiederholte ständig, wie eine kaputte Schallplatte: ,Schneid dir die Haare!‘ “ Noch heute gibt es in seiner Familie Zerwürfnisse mit Trump-Befürwortern.

Von Barcelona nach Bunyola

Miele bekam einen Job beim Institute of North American Studies (IEN) in Barcelona, wo er 1990 nach einer Fahrradtour von den Niederlanden bis Katalonien aufschlug. In den ersten Jahren in Spanien bewegte er sich in einer multikulturellen Blase. Bei einem Workshop lernte er 1996 eine Katalanin kennen, die in Bunyola lebte. Wieder erging es ihm wie mit der Holländerin: „Sobald ich eine Möglichkeit bekam, auf die Insel zu ziehen und schon Kisten in ihrem Haus abgestellt hatte, machte sie Schluss“, sagt Miele, fast amüsiert.

Er kam dennoch nach Mallorca, arbeitete bei „Palma English“, gab Privatunterricht und war eine Zeit lang mit einer Palmesanerin zusammen. Später unterrichtete er an der Balearen-Universität. Nach mehreren Umzügen fand er 2001 das schöne Haus in Bunyola, wo er bis heute lebt. „Im ersten Jahr sagte ein Freund aus New York, als er auf die Terrasse trat: ‚Ah, so muss ein Bild von Spanien aussehen!‘ Das ist eine geradezu hemingwayeske Art, es auszudrücken“, erzählt der 66-Jährige.

James Miele fand die Liebe - und die zum Poetry-Slam

Fragt man James Miele nach seinem Eindruck, den er von den Mallorquinern gewann, denkt er zuallererst an die Sprache: „Sie hatten viel mehr Musik darin als die Katalanen!“ Besonders freundlich fand er die Menschen abseits der Universität nicht, aber er kam zurecht. Im Dorf suchte er Anschluss, indem er in der Bar Fußball schaute. Eigentlich wollte Miele nun erst einmal Single bleiben, denn es gefiel ihm nicht, dass er zu einem „seriellen Monogamisten“ geworden war. Doch es kam anders: Seine deutsche Ehefrau, mit der er seit 2004 glücklich verheiratet ist, traf er drei Sonntage in Folge in der Schlange beim Bäcker. Dann lud er sie auf einen Kaffee ein.

Und Miele entdeckte noch eine zweite Liebe: die zum Poetry-Slam. „Slam hilft den Leuten, ihre poemophobia zu überwinden“, sagt er. Von Anfang an mischte „Jim just Jim“ bei der Organisation mit, quartierte internationale Gäste bei sich zu Hause ein und erlebte verschiedene Stationen des Slams auf Mallorca von der Pike auf mit: wechselnde Mitstreiter und wechselnde Veranstaltungsorte wie die Bar L’Antiquari, das Café A Tres Bandas und den Espai Suscultura. Auch die erste nationale Meisterschaft 2011 in Barcelona, an der Mallorca als einer von nur fünf Slams teilnahm. Inzwischen seien es mehr als 30.

"Jim just Jim" bei einem Auftritt im Jahr 2013. JUAN ANTONIO MONTAÑEZ

Texte auf Englisch und auf Spanisch

Miele schreibt seine Slam-Texte auch auf Spanisch, „obwohl es nicht immer funktioniert“. Oft bekomme er den Hinweis, die Vokale deutlicher auszusprechen. Doch er bleibt am Ball, weil er will, dass das Publikum versteht, was er zu sagen hat – mit Englisch bekam er auf der Insel schon knallharte 0 Punkte. Mieles erstes spanisches Gedicht hieß „El funcionario“, sein erfolgreichstes „El menú diario“. Eine Auswahl von Texten auf beiden Sprachen findet sich in seinem Buch „A Degree of Latitude“. Der Name hat Symbolkraft, erklärt er: „Brooklyn, Barcelona und Bunyola liegen fast exakt auf demselben Breitengrad.

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