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Einsam auf Mallorca: Längst nicht nur ein Problem der Auswanderer

Dass ältere Ausländer auf Mallorca mitunter vereinsamen, ist bekannt. Studien aber zeigen, dass es vielen Einheimischen ähnlich geht – oder sie es zumindest so empfinden. Dabei gibt es Möglichkeiten, Einsamkeit aktiv zu bekämpfen

Auch junge Menschen fühlen sich auf Mallorca verstärkt einsam

Auch junge Menschen fühlen sich auf Mallorca verstärkt einsam / Fabian Sommer / dpa

Sophie Mono

Sophie Mono

Manchmal fragt sich Heinz Schmidt (Name geändert), warum er morgens eigentlich noch aufstehen soll. „Es schaut ja doch niemand nach mir.“ Das kleine Häuschen im Osten der Insel, in dem er seit einigen Jahren zur Miete wohnt, liegt abseits der Ortschaft. Oft bekommt der Auswanderer tagelang keinen Menschen zu Gesicht, abgesehen von einer direkten Nachbarin. „Aber die arbeitet immer und hat überhaupt so viel zu tun.“ Zu seinen erwachsenen Kindern in Deutschland hat der Rentner kaum Kontakt, und der Weg in die Dorfkneipe wird immer beschwerlicher. „Ich vereinsame hier regelrecht. Aber im Ortskern kann ich mir die Miete nicht leisten.“

Als einkommensschwacher Rentner und Ausländer passt Heinz Schmidt in mehrerer Hinsicht in die Gruppe von Menschen, die auf Mallorca besonders von Einsamkeit bedroht sind. Seit Jahren befassen sich Initiativen wie die Stiftung Herztat mit diesen Fällen, organisieren Hausbesuche, animieren zur Teilnahme an Veranstaltungen und versuchen, Auswanderer für das Thema zu sensibilisieren, bevor sie in die Einsamkeitsfalle geraten.

Nicht nur die Ausländer

Doch es sind nicht nur ältere Ausländer, die sich auf Mallorca alleine fühlen. Eine Studie des Nationalen Statistikinstituts INE zufolge leiden aktuell rund 15.000 Balearen-Bewohner über 65 Jahren unter Einsamkeit. 3.653 Frauen und 1.956 Männer gaben bei entsprechenden Befragungen sogar an, dass sie sich „immer einsam fühlen“. Diese Zahlen dürften sich Experten zufolge in den kommenden Jahren noch einmal deutlich erhöhen, unter anderem wegen des demografischen Wandels. Man rechne mit rund 20.000 sich einsam fühlenden Balearen-Bewohnern im Jahr 2037, heißt es in der INE-Studie. „Es ist eine riesige Welle, die da über uns hereinbricht“, sagte unlängst die Uni-Dozentin und Bildungswissenschaftlerin Carmen Orte bei der Vorstellung des balearischen Jahresberichts zum Thema Altern.

Jaume bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Im städtischen Altenclub, dem „Club de Tercera Edad“ in Capdepera, stellt er seinen Kaffee vor sich auf den Tisch und beginnt ohne Hast, mit dem Löffel darin zu rühren. So gut wie jede Woche komme er hierher, erzählt der Mallorquiner. „Um mal ein bisschen rauszukommen, Leute zu treffen“, sagt er und trinkt einen Schluck. Weit über 80 Jahre alt sei er bereits, „da ist man für seine Kinder nicht mehr so interessant“. Seine Familie sei über die Insel verstreut, einige Enkel lebten auf dem Festland, seine Frau verstarb vor einigen Jahren. „Die Sonntagstreffen mit allen gibt es schon lange nicht mehr“, sagt Jaume.

Ob er sich einsam fühle, das könne er gar nicht so genau sagen. „Ich will mich nicht beschweren. Ich habe ja hier meinen Kreis“, sagt er und deutet auf den Schankraum des Altenclubs, an dem einige seiner Bekannten bereits Brettspiele ausgepackt haben. „Aber manchmal“, fügt er hinzu, „manchmal wäre es schon schön, öfter Besuch zu bekommen.“

Dadurch, dass das traditionelle Familienmodell – Mutter bekommt viele Kinder und bleibt zu Hause, Vater arbeitet – kaum noch existiert, fühlten sich die jüngeren Generationen durch ihre vielfältigen Alltagsaufgaben oft zu gestresst, um sich viel um ihre älteren Verwandten zu kümmern, sagt Xavier Revert. Der Psychologe, der auch in der balearischen Psychologenkammer aktiv ist, arbeitet in Palmas Krankenhaus Hospital General. „Ich erlebe es oft, dass ältere Menschen in die Sprechstunde kommen und über Einsamkeit klagen“, sagt er. Auch jene aus alteingesessenen mallorquinischen Familien. Die familiären Bande seien oft nicht mehr so stark wie vor mehreren Jahrzehnten – alleine schon deshalb, weil kaum noch mehrere Generationen gemeinsam unter einem Dach leben.

Immer mehr junge Leute betroffen

„Es sind aber nicht nur die Senioren, die betroffen sind. Auch junge Leute können unter Einsamkeit leiden“, betont Revert. Das bestätigen auch Studien eines von der ONCE-Stiftung geschaffenen Observatoriums namens „SoledadES“. Demnach fühlen sich etwa 20 Prozent aller Menschen in Spanien einsam, allen voran: die jüngeren. Laut den Befragungen liege die Anzahl derer, die sich ungewollt einsam fühlen, bei den 16- bis 29-Jährigen mit 25 Prozent über dem Durchschnitt. Viele von ihnen verspürten die Einsamkeit bereits seit mehr als einem Jahr. Während sich unter den Angehörigen mittlerer Altersklassen etwas weniger Menschen einsam fühlen, steigt der Prozentsatz laut der Studie im Alter ab 75 Jahren dann wieder stark an. Ebenfalls besonders anfällig seien Menschen mit Behinderung oder mit psychischen Problemen sowie Menschen mit Migrationshintergrund und Angehörige der LGTBI+-Gemeinschaft.

„SoledadES“ differenziert zwischen sozialer Isolation, bei der ein Mensch objektiv keine sozialen Kontakte hat – was oft der Fall von älteren oder körperlich eingeschränkten Menschen ist, die kaum das Haus verlassen –, und der „soledad no deseada“, also der „nicht gewünschten Einsamkeit“, die mehr ein subjektives Gefühl beschreibt und unabhängig davon ist, wie viele Kontakt ein Mensch hat. Sie ist es, die vor allem junge Leute betrifft.

„Durch soziale Medien sind sie mit mehr Menschen verbunden als früher, doch oft können diese Kontakte die persönlichen Beziehungen in der realen Welt nicht ersetzen“, so der Psychologe Revert. Er betont: „Alleine zu sein, ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes, sondern kann sogar sehr wichtig und wertvoll sein, um sich heilsam mit sich selbst zu beschäftigen.“ Auch für kreative und intellektuelle Aktivitäten sei es oft förderlich, Raum und Zeit für sich zu haben. „Problematisch wird es, wenn die Einsamkeit ungewollt ist, wenn man das Gefühl hat, niemanden um sich zu haben oder nirgendwo richtig reinzupassen. Dieses Gefühl kann sogar dann aufkommen, während man sich inmitten einer großen Menschengruppe befindet.“

Auswege aus der Einsamkeit

Wie viel Zeit ohne andere Menschen jeder Einzelne braucht, hänge vom Charakter und der Lebenssituation ab – ebenso wie die Fähigkeit, neue Kontakte zu knüpfen und Freundschaften zu schließen. „Es gibt aber therapeutische Werkzeuge, um dies zu erleichtern. Wer Leidensdruck wegen Einsamkeit verspürt, dem kann eine Therapie durchaus helfen“, sagt Revert. Dabei sei es wichtig, die Ängste abzubauen, die Menschen daran hindern, mit anderen eine tiefere Verbindung aufzubauen. „Und natürlich ist auch immer das eigene Selbstwertgefühl entscheidend dafür, wie offen man sich auf andere einlassen kann und wie sehr man von der Präsenz anderer Menschen abhängt.“

Langfristig kann ungewollte Einsamkeit schwerwiegende Folgen haben, betont der Soziologe Ferran Dídac im balearischen Altersbericht. Das könnten etwa Übergewicht und Depressionen sein, aber bei Senioren auch eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten. Deshalb, da sind sich alle einig, sei Einsamkeit nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch ein gesellschaftliches. Ob Kollegen, Nachbarn oder Familienangehörige – wer bei Mitmenschen Anzeichen bedrückender Einsamkeit feststelle, könne und solle aktiv Hilfe anbieten. „Auf sie zugehen, sie einbeziehen, sie zu Aktivitäten motivieren“, rät Revert. „Das ist für sie wichtig, aber auch für die Gesellschaft.“

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