Häusliche Gewalt: Wie die Polizei auf Mallorca den Frauen aus der Ohnmacht hilft
Täglich werden auf Mallorca Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Viele harren jahrelang bei ihrem Peiniger aus und trauen sich nie oder erst spät, zur Polizei zu gehen. Dabei sind die Policía Nacional und die Guardia Civil mittlerweile gut auf das Thema vorbereitet – und tun vieles, um den Opferschutz auszubauen

Gewalt gegen die eigene Partnerin – auch auf Mallorca kommt das in vielen Haushalten vor. / Sommer / dpa
Manche sind in Tränen aufgelöst. Andere wirken versteinert. Manche sind sichtlich erleichtert, endlich reden zu können. Andere einsilbig, verschlossen, eingeschüchtert. In der Polizeiwache der Policía Nacional in Palma finden sie alle Gehör, die Frauen, die häusliche Gewalt erfahren haben – und die sich trauen, Anzeige zu erstatten. Gegen jemanden, den sie mal geliebt haben oder sogar immer noch lieben. Von dem sie finanziell oder emotional abhängig sind, mit dem sie Kinder haben. Der Druck ausübt, droht, manipuliert. Jener Schritt über die Schwelle des Kommissariats ist für viele Frauen, die misshandelt wurden, der schwerste – und doch oft die einzige Möglichkeit, ihre Leidensgeschichte zu beenden.
Hilfe ab dem ersten Schritt
Immerhin: Ist der Schritt einmal getan, steht die Begleitung schon parat. Wenn die Frauen die Hauptwache an Palmas Carrer Simó Ballester betreten, ist dort jemand, der sie mitnimmt. In den dritten Stock genau genommen. Hier warten Eduardo Pérez und sein Team der UFAM auf sie. UFAM, das steht für Unidad de Atención a la Familia y Mujer, zu Deutsch etwa: Abteilung für Familien- und Frauenschutz.
Dort oben, abseits des Trubels, der in den unteren Räumlichkeiten herrscht, sollen die Frauen aufatmen können. Geschützt vor den Blicken Vorbeilaufender, weit weg von Ohren, die mithören. Es gibt geschlossene Boxen, die den Schall dämpfen. Ein wenig Intimität beim Gespräch mit den Beamten – so viel wie in einem Kommissariat möglich. „Gerade wenn es darum geht, die Vorfälle im Detail zu schildern, belastet das viele Frauen sehr. Je weniger Zuhörer sie dabei haben, desto besser“, weiß Eduardo Pérez. Wenn die Frau Kinder mitbringt, steht die „sala amable“ bereit, der „freundliche Raum“. Fast wie ein Wohnzimmer sieht er aus, es gibt Spielsachen, Kinderbücher, heimeliges Mobiliar und entsprechende Farbgestaltung.
Inzwischen 40 Mitarbeiter
Eduardo Pérez steht der Abteilung erst seit rund einem halben Jahr vor, doch die Einheit gibt es schon seit 2006. Das Ziel: Delikte, die mit Gewalt gegen Frauen (violencia de género), häuslicher Gewalt (violencia domestica) und sexueller Gewalt (violencia sexual) zu tun haben, mit einem speziell geschulten Team zu bearbeiten – und den Opferschutz auszubauen. „Anfangs hatte die Abteilung rund 25 Mitarbeiter, heute sind wir mehr als 40“, berichtet Pérez. Die meisten von ihnen – knapp 80 Prozent – sind Beamtinnen. „Sich vor Männern zu öffnen, fällt vielen schwer.“ Alle Mitarbeiter haben spezielle Fortbildungen durchlaufen und sind psychologisch geschult. Sensibilität sei ausschlaggebend, damit die UFAM eine gute Arbeit machen könne.
Gute Arbeit und viel Arbeit. Das Arbeitsvolumen sei seit der Gründung deutlich angestiegen, so Pérez. Laut dem spanischen Innenministeriums waren im September 2025 auf den Balearen 4.295 aktive Fälle von Geschlechtergewalt verzeichnet, die polizeilich bearbeitet werden – neben der Policía Nacional auch von der Guardia Civil: Diese Beamten werden in den kleineren Inselgemeinden tätig, wenn es um häusliche Gewalt geht. Die Nationalpolizei dagegen beschränkt auf Mallorca ihr Wirken bei häuslicher Gewalt auf die beiden größten Städte Manacor und Palma. „Hier vergeht kein Tag, an dem niemand kommt“, sagt Eduardo Pérez. An guten Tagen seien es „nur“ vier bis fünf Anzeigen im dritten Stock. An schlechten deutlich mehr. „Und das allein in Palma.“
Zahlreiche Hilfsmöglichkeiten
Egal ob Policía Nacional oder Guardia Civil – die Vorgaben, wie sich die Beamten in einem mutmaßlichen Fall von häuslicher Gewalt verhalten müssen, sind dieselben. Beide Sicherheitsapparate arbeiten mit dem übergreifenden System VioGén2. Auf dieser digitalen Plattform ist schneller Datenaustausch möglich. Damit verknüpft sind moderne Technologien, die helfen sollen, dass polizeiliche Schutzmaßnahmen möglichst schnell und effizient umgesetzt werden können. Aber auch der vorgeschriebene Umgang mit den mutmaßlichen Opfern ist vereinheitlicht. Sowohl die Beamten der Guardia Civil als auch die der Policía Nacional müssen sich an das protocolo 2025 des spanischen Innenministeriums halten – die Hilfestellungen in den Guardia-Civil-Wachen in den Inseldörfern sollen dieselben sein wie bei der Hauptwache der Policía Nacional in Palma.
„Wenn die Frauen zu uns kommen, um Anzeige zu erstatten, werden sie zunächst über ihre Rechte informiert“, erläutert Eduardo Pérez die vorgeschriebene Vorgehensweise. Beispielsweise darüber, dass Opfern von häuslicher Gewalt kostenlos spezialisierte Anwälte zustehen. Zudem zeigen die Beamten auf, welche akuten und mittelfristigen Hilfsmöglichkeiten es gibt – von Familienberatungsstellen über psychologische Betreuung bis hin zu Frauenhäusern, in denen die Betroffenen unterkommen können, wenn sie nicht wieder nach Hause können. Zu sehen, wie viele Hilfestellungen es gibt, beruhige einige der Frauen bereits ein Stück weit. „Viele wissen gar nicht, dass es so viele Möglichkeiten gibt.“
Persönlicher Schutzplan
Dann geht es darum, das Risiko einzustufen, in dem sich die Betroffene befindet, von niedrig (bajo) bis sehr hoch (extremo). „Die Einstufung erfolgt im Gespräch mit den Beamten, die sich an stilisierten Fragen orientieren“, so Pérez. Bei Ausländerinnen können Dolmetscher helfen. Jeder Fall sei individuell, grundsätzlich spiele aber eine Rolle, ob der Aggressor Vorstrafen hat oder in weitere aktenkundige Fälle verwickelt ist, ob die Aggressionen wiederholt vorkommen und wie schwerwiegend sie sind, ob Alkohol oder Drogen im Spiel sind und in welcher wohnlichen Situation sich Opfer und Täter befinden. „Wir berücksichtigen dabei die Geschichte von beiden einzeln und ihre gemeinsame Geschichte“, so der UFAM-Leiter. Ebenfalls wichtig, um die Risikostufe korrekt einzuteilen, seien Infos darüber, ob das mutmaßliche Opfer emotionale und praktische Hilfe von Freunden oder Familie bekommt.
Anhand dieser Informationen erstellen die Beamten dann einen persönlichen Schutzplan (plan de seguridad personalizado). „Dieser variiert je nach Situation und Risikostufe sehr, in jedem Fall wird der Frau aber ein spezieller Schutzbeamter zugeordnet, an den sie sich immer wenden kann. Wird die Gefahr als gering eingestuft, so könne es genügen, wenn der policía protector sich nur alle paar Wochen telefonisch bei der Frau melde, um zu fragen, wie es ihr geht. Auch bei Gängen zum Gericht könne der oder die Beamtin helfen. „Im schlimmsten Fall, bei sehr hohem Risiko, müssen wir eine 24-Stunden-Bewachung anordnen.“
Angst vor der Anzeige
Sobald die Frau die Anzeige unterschrieben hat, wird der Beschuldigte festgenommen. „In der Regel geht das bei häuslicher Gewalt sehr schnell, man weiß ja genau, um wen es sich handelt und wo er wohnt.“ Maximal drei Tage darf der Mann in U-Haft genommen werden, spätestens dann muss ein Haftrichter entscheiden, wie weiter mit ihm verfahren wird. „Häufig wird ein Näherungs- und Kontaktverbot verhängt“, so Pérez. In den meisten Fällen hielten die mutmaßlichen Täter dieses dann auch ein. Setzt sich der Aggressor darüber hinweg, wird das Risiko sofort auf „hoch“ heraufgestuft, und der Schutz der Frau erhöht. Dem Mann drohen dann unmittelbare rechtliche Konsequenzen.
„Wenn die Frauen zu uns kommen, können wir ihnen helfen“, resümiert Pérez. Manche finden erst nach vielen Jahren des Missbrauchs den Weg zur Polizei oder verweigern selbst dann eine Anzeige gegen den Mann, wenn Nachbarn oder Freunde die Sicherheitskräfte einschalten und die Beamten vor dem Haus stehen. „Das kommt in Palma mehrmals in der Woche vor. Finden die Beamten dann Anzeichen auf Gewalt, können wir dennoch handeln – auch wenn es ohne die Kooperation der Frau komplizierter ist“, berichtet Pérez. Fehlt die Anzeige, könne zwar kein Näherungsverbot erteilt werden – einen persönlichen Schutzplan und einen zugewiesenen Schutzbeamten bekomme das mutmaßliche Opfer aber dennoch.
Schritt aus der Ohnmacht
Angst und fehlendes Vertrauen in das System dürften die Hauptgründe dafür sein, dass nicht alle Opfer häuslicher Gewalt die Polizei einschalten. Dass es – trotz aller Bemühungen – einen allumfassenden Schutz nicht gibt, zeigen die traurigen Statistiken. Laut der spanischen Regierung sind seit Jahresbeginn landesweit 24 Frauen durch geschlechterspezifische Gewalt gestorben, seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2003 sind es 1.318 – einige davon trotz polizeilichen Schutzplans. Auch Eduardo Pérez ist sich dessen bewusst. Dennoch ist er davon überzeugt, dass sein Team gute Arbeit leistet – und dass Frauen nicht schweigen sollten. „Wenn sie nicht zu uns kommen wollen, sollten sie zumindest die Hilfsnummer 016 wählen.“ Darüber reden, Hilfe suchen. Um zu sehen, dass es Möglichkeiten gibt, aus der Misere herauszukommen. Und nicht weiter ohnmächtig zu sein.
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