„Ich hätte viel früher gehen müssen“ – wie eine Auswanderin wagte, ihren gewalttätigen Mann anzuzeigen
Mehr als 30 Jahre lang erfuhr Britta (Name geändert) Gewalt durch ihren Ehemann. Dass sich die Deutsche letztlich doch wehrte, bereut sie nicht. Doch der Preis, den sie für die Anzeige gegen ihn zahlt, ist hoch

Gewalt im Beziehungsalltag. / Nele Bendgens
1987 heirateten Britta und Ingo (Namen geändert). Wenig später schlug er sie zum ersten Mal. „Zunächst war es eine klassische Ohrfeige, dann ging es weiter“, berichtet die Deutsche, die 25 Jahre lang auf Mallorca lebte. Anfang der 90er-Jahre musste sie zum ersten Mal im Krankenhaus behandelt werden. Damals hatte ihr Mann ihr einen so festen Schlag in den Nacken versetzt, dass sie mehrere Tage stationär behandelt werden musste. Bis heute ist ihr Bewegungsapparat dadurch eingeschränkt, die mittlerweile 62-Jährige ist erwerbsunfähig – und stark traumatisiert von der psychischen und physischen Gewalt, die Ingo ihr über Jahrzehnte antat.
Scherbe in der Stirn
„Anfangs redet man es sich schön, sucht Ausreden, hofft, dass er sich ändert“, sagt Britta. „Heute weiß ich, ich hätte viel früher gehen müssen. Ich habe viel zu lange zugeschaut.“ Scham habe dabei eine Rolle gespielt. Der Wunsch, den Kindern trotz allem ein Elternhaus zu bewahren. Und Druck, den Ingo immer wieder auf sie ausgeübt habe. „Er wollte nicht, dass die Öffentlichkeit davon erfährt.“
Insgesamt 36 Jahre lang blieb sie bei ihm. Trotz der Scherbe, die ihr aus der Stirn operiert werden musste, weil Ingo ihr eine Terrakottafigur an den Kopf schlug. Trotz der täglichen Streitereien und seiner wöchentlichen Wutausbrüche, seiner Zerstörungswut, seiner Druckmittel. „Er hat mich kleingehalten. Ich hatte keinen Zugriff auf die Konten, war komplett abhängig.“
Unterstützung der Ärztin
Vielleicht, sagt Britta, hätte sie den Schritt, zur Polizei zu gehen, niemals gewagt. Wäre da nicht die Ärztin in der Clínica Rotger gewesen, die ihr im Januar 2023 eindringlichst riet: „Geh zur Guardia Civil.“ Britta hatte die Medizinerin aufgesucht, weil ihr Mann sie am Abend zuvor so stark verprügelt hatte, dass ihr ganzer Arm blau geschwollen war. „Er war kurz zuvor ausgezogen, weil er mich betrogen hatte, aber noch einmal zurückgekommen auf unsere Finca, um etwas zu holen.“ Wieder gab es Streit, wieder schlug er zu, wieder drohte er ihr mit Konsequenzen, wenn sie nicht schweigen würde. „Wir Frauen lassen uns das nicht gefallen“, hielt die Ärztin am nächsten Tag dagegen. Und endlich wagte Britta den Schritt.
„Das war genau richtig“, sagt sie rückblickend. Die Guardia Civil habe großartig gehandelt. „Die Beamten waren einfühlsam, aber nicht aufdringlich. Sie haben mich ernst genommen und sofort gehandelt.“ Ein Protokoll wurde aufgenommen, man beruhigte sie. Anschließend habe ein Beamter sie nach Hause begleitet. Immer wieder seien Streifenwagen vorbeigekommen, immer wieder fragten sie nach, ob alles in Ordnung sei. „Ich bekam sogar eine Notfallnummer. Besser hätte man es nicht machen können.“ Soweit sie weiß, wurde ihr Mann unmittelbar vorübergehend festgenommen, zwei Tage später habe der Richter ein Näherungsverbot gegen ihn ausgesprochen. „Das ging sehr schnell, und er hat sich daran gehalten.“
Von Mallorca geflohen
Die Entscheidung, zur Polizei zu gehen, bereut Britta nicht – im Gegenteil. „Heute geht es mir alles andere als gut, aber doch besser als all die Jahre mit ihm.“ Mittlerweile ist Britta in psychologischer Behandlung, arbeitet Stück für Stück auf, was in ihrer Ehe passiert ist. Doch die Last wiegt schwer. Trotz der Bemühungen der Guardia Civil bekam Britta kurz nach dem letzten Vorfall Panikattacken. Die Angst, Ingo plötzlich wieder gegenüberzustehen, nahm überhand. Ein halbes Jahr blieb sie weiter auf Mallorca, dann verließ sie die Insel und sogar Europa.
Gut zwei Jahre ist das jetzt her. Noch immer lebt sie an diesem Ort, den sie nicht preisgeben will, an dem die Guardia Civil aber weiter mit ihr in Kontakt ist. Noch immer leidet sie unter Depressionen und bekommt Angst, sobald sie laute Männerstimmen hört oder jemand an ihre Tür klopft. Und noch immer wartet sie darauf, dass ein Verfahren wegen Schmerzensgeld gegen ihren Mann auf Mallorca endlich ein Ende findet. Eigenes Geld hat sie nicht – seit sie Anzeige erstattet hat, hat ihr Mann die Unterhaltszahlungen gestrichen.
"Justiz muss schneller handeln"
So sehr sie die Arbeit der Polizei in Spanien lobt, so scharf kritisiert sie das Justizsystem. „Es darf nicht alles auf den Schultern der Guardia Civil lasten. Der Staat muss die Täter sofort finanziell zur Verantwortung ziehen und damit Familien dauerhaft unterstützen. Oft ist es auch die finanzielle Situation, die Frauen wie mich die Brutalität aushalten lässt.“ Zudem verhindere das laufende Verfahren, dass sie einen Schlussstrich ziehen könne. „Die Justiz muss schneller handeln. Frauen in meiner Situation fast drei Jahre warten zu lassen, ist nicht akzeptabel.“
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