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Im Reich der Toten: Warum in Palmas Kathedrale Tausende Menschen bestattet sind

Nicht nur Geistliche und Adlige, auch einfaches Fußvolk fand in dem Sakralbau in Palma die letzte Ruhe. Die Gruften und Sarkophage erzählen von ihrem Leben, von Wirren der Geschichte und vom Umgang mit dem Tod

Jaume II. fand hier erst sieben Jahrhunderte nach seinem Tod die letzte Ruhe.

Jaume II. fand hier erst sieben Jahrhunderte nach seinem Tod die letzte Ruhe. / Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Der Weg zur letzten Ruhestätte führt nicht hinab in die Dunkelheit, sondern hinauf ins Licht. Durch eine Tür der Seitenkapelle von Palmas Kathedrale geht es eine Treppe hinauf, in den oberen Teil des Chorraums. Die Capella de la Trinitat ist in weißes Licht getaucht. Hier in der Dreifaltigkeitskapelle sind die Fensterscheiben – im Gegensatz zu den riesigen Rosetten und den Seitenfenstern – nicht bunt eingefärbt.

Der erste Blick fällt hinunter in das düstere Kirchenschiff und den Baldachin von Gaudí, der über dem Altar schwebt, der zweite Blick auf die beiden Sarkophage in der Kapelle. Linker Hand ruht Jaume II., der 1311 verstarb. Die Skulptur aus Alabaster zeigt ihn scheinbar schlafend im Königsgewand mit bekröntem Haupt, Löwenfratzen zu seinen Füßen, dazu Wappen der wichtigsten Territorien des Königreichs Mallorca und ein Engel mit dem Buch des Lebens. Jaume III., sein Enkel, wurde gegenüber bestattet. Da er den Tod 1349 kämpfend in der Schlacht von Llucmajor fand, ist er auf dem Sarkophag in militärischer Tracht verewigt.

Jaume III. ist ebenfalls in der Dreifaltigkeitskapelle bestattet.

Jaume III. ist ebenfalls in der Dreifaltigkeitskapelle bestattet. / Frank Feldmeier

Die beiden Mallorca-Könige sind nur zwei von mehreren Tausend Menschen, die in Palmas Kathedrale im Laufe der Jahrhunderte bestattet wurden. Während die weiteren Monarchen des mittelalterlichen Reichs woanders ihre letzte Ruhe fanden, sind unter den Toten von La Seu zahlreiche Adlige und Geistliche, Würdenträger und Zunftleute, aber auch einfaches Fußvolk. Und so verschieden die soziale Herkunft, so unterschiedlich auch die Bestattungsformen: Ossuarien, Familiengräber, Gruften unter Grabplatten, Nischen in den Wänden sowie mehr oder weniger prominent in der Kathedrale positionierte Sarkophage.

Pole-Position für Auferstehung

Wären die Toten auf einem Friedhof nicht besser aufgehoben gewesen? Nachdem anfangs im Inneren von Kirchen nur Geistliche bestattet wurden, kamen ab dem Hochmittelalter auch wohlhabende Persönlichkeiten hinzu. „Man glaubte, sie fahren auf diese Weise schneller in den Himmel auf“, erklärt Cristina Ortiz, Kulturmanagerin der Kathedrale. Die Nähe zu den Reliquien und die Gebete der Gläubigen galten als vorteilhaft für das Seelenheil. Die Grabstellen im Gotteshaus wurden so zu einem Statussymbol über den Tod hinaus sowie auch zu einer wichtigen Geldquelle für das Bistum.

Als einer der Ersten fand in Palmas Kathedrale Ramon de Torrella seine letzte Ruhe – wobei die sterblichen Überreste von Mallorcas erstem Bischof fast hundert Jahre warten mussten, bis sein Sarkophag in der Capella del Corpus Christi im Jahr 1370 so weit war. Ohnehin befand sich die Kathedrale, die nach der christlichen Rückeroberung der Insel von den Arabern auf den Resten einer Moschee entstand, damals noch in ihrer frühen Bauphase.

Der Sarkophag von Mallorcas erstem Bischof, Ramon de Torrella.

Der Sarkophag von Mallorcas erstem Bischof, Ramon de Torrella. / Frank Feldmeier

Das Grabmal ist ein gotisches Kunstwerk aus Bildhauerei und Malerei mit Chiffren, die auf Torrella verweisen: liegende Figur mit bischöflichen Gewändern, die der Schwerkraft zum Trotz seitlich fallen. Skulpturen von Greifen, eines Drachen sowie eines Hundes – ein Zeichen der Treue auch über den Tod hinaus. Darüber ein Gemälde von Christus, der mit ausgestreckten Händen die Wundmale zeigt und die Seele des Bischofs von zwei Engeln empfängt.

Gil Sánchez Muñoz hingegen muss – zumindest der Legende zufolge – weiterhin auf seine Auferstehung warten. Der Geistliche – alias Clemens VIII. – ging als letzter Gegenpapst in die Geschichte ein. Um das Abendländische Schisma zu beenden, gab er 1429 sein Amt auf. Er wurde Bischof im weit von Rom entfernten Bistum Mallorca und verstarb 1446. Sein Grabmal, das im Zentrum des gotischen Kapitelsaals auf vier Löwenfiguren steht, zeigt eine Skulptur mit naturgetreu wiedergegebenen Gesichtszügen dank Totenmaske aus Wachs, päpstlicher Mitra und gefalteten Händen.

Der schwebende Kardinalshut

Sánchez ließ sich hier der Überlieferung nach beisetzen, um auch nach dem Tod an den Sitzungen teilzunehmen, erzählt Kulturmanagerin Ortiz. Das Kalkül ging nicht auf: Die Kanoniker errichteten einen neuen, barocken Kapitelsaal nebenan, um nicht vor dem Grabmal tagen zu müssen. Und damit nicht genug: Der hoch über dem Sarg aufgehängte Kardinalshut fiel schließlich 1768 herab – ein Zeichen für den Aufstieg der Seele. Doch da der Geistliche zu Lebzeiten wenig beliebt war, sei der Hut kurzerhand wieder oben im Gewölbe befestigt worden, sagt Ortiz.. Dort hängt er noch heute.

Im Gegensatz zu anderen Kathedralen Spaniens sind monumentale Gräber von Adligen in La Seu weniger zahlreich – der kleine Stadtadel Mallorcas hatte nur begrenzte finanzielle Mittel. Umso eindrucksvoller ist das neoklassizistische Grabmal des Marquès de la Romana von 1814 in der Capella de Sant Jeroni. Das Mausoleum, das auf mehreren Ebenen allegorische Figuren versammelt, stand ursprünglich im Konvent von Sant Domingo, der aber im Zuge der Verstaatlichung von 1837 abgerissen wurde.

Dass dagegen sehr viele einfache Personen in der Kathedrale bestattet sind, hat seinen Grund in der Flutkatastrophe von 1403. Der Sturzbach Sa Riera, der damals noch über den Borne floss, riss bei einer Überschwemmung mehr als 5.000 Menschen in den Tod. Viele ihrer Gebeine wurden drei Jahre später zwischen zwei Pfeilern im Bereich vor dem Chorraum bestattet. An sie erinnert kein Grabmal, aber zwei Gemälde im Kapitelsaal erzählen ihre Geschichte. Die Taula de la Crucifixió symbolisiert mit einer Kreuzigungsszene das Leid, die Taula de la Mercè zeigt die gleichnamige Jungfrau der Barmherzigkeit, die die Gläubigen unter ihrem Mantel schützt und tröstet.

Massengrab im Untergrund

Diese gotische Ästhetik, sie ist angenehmer als die Vorstellung von Skeletten in Krypten und Gruften, die den Untergrund durchziehen. Zugang zu ihnen haben ohnehin nur Archäologen bei Ausgrabungen – mit Ausnahme einer Gruft im rechten Seitenschiff. Hinunter führt eine Treppe, die durch ein Gatter im Boden sichtbar ist. Ortiz war nur einmal dort unten, vor vielen Jahren, und erinnert sich an rote Inschriften an der Wand im Schein der Taschenlampe.

Hier geht es hinunter in die Gruft.

Hier geht es hinunter in die Gruft. / Frank Feldmeier

Verdienste um Mallorca

Bei Führungen durch das Totenreich der Kathedrale geht es aber weniger um den Grusel als um das Andenken von Menschen, die Mallorca geprägt haben. Dazu gehört beispielsweise Guillem Sagrera, Erbauer von Palmas Seehandelsbörse (Llotja). Allerdings dürften statt der Gebeine des 1454 in Neapel verstorbenen Baumeisters wohl nur die seiner Frau oder eines Sohnes hinter der Tafel in der Capella de Sant Jeroni bestattet sein.

Ortiz verweist zudem auf die in der Kathedrale bestatteten Frauen und ihre Verdienste. Herausragendes Beispiel ist Isabel Cifre, deren Grab sich in der Capella de Sant Bernat befindet. Die Rektorin des 1510 von ihr gegründeten Col·legi de la Criança, einer Schule für Adelsfräulein, habe als fromm und gebildet gegolten und in Zeiten der Germanies-Aufstände auf Mallorca zu vermitteln gewusst.

Oder etwa Beatriu de Pinós: Die Adlige widmete sich nach dem Tod ihres Ehemanns dem Studium der Schriften des Religionsphilosophen Ramon Llull und spendete 1478 einen Großteil ihres Vermögens für einen Lehrstuhl zu seinem Werk auf dem Puig de Randa. Das Grabmal aus Alabaster in der Capella del Sagrat Cor zeigt die 1484 verstorbene Adlige betend, flankiert von Engeln und Wappenschildern Ramon Llulls.

Angst vor Seuchen

Mit dem Ende des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit ging auch die Zahl der Bestattungen in der Kathedrale allmählich zurück – im Zuge der Ideen der Aufklärung, aber auch durch hygienische Vorschriften nach Seuchen und Epidemien sowie königliche Erlässe. Es war die Zeit, als etwa auch Palmas Zentralfriedhof seinen Betrieb aufnahm. Ab 1836 entstanden die monumentalen Grabmäler dort.

Heute gibt es nur noch zwei Ausnahmen für Bestattungen in La Seu. Zum einen ein Kolumbarium, das vor drei Jahren unter dem Hauptschiff in Betrieb genommen wurde. Die 55 Nischenplätze bieten Platz für jeweils zwei bis vier Urnen und können für eine Dauer von 25 Jahren gepachtet werden – danach erhalten die Angehörigen die Asche zurück.

Fragil und flüchtig: Blasen auf einer Grabplatte vor dem Altar symbolisieren Vergänglichkeit.

Fragil und flüchtig: Blasen auf einer Grabplatte vor dem Altar symbolisieren Vergänglichkeit. / Frank Feldmeier

Zum anderen finden nach wie vor Bischöfe ihre letzte Ruhe in La Seu, falls sie ihre letzte Wirkungsstätte auf der Insel hatten. Das ist in der Capella Reial der Fall, wo Pere Joan Campins bestattet ist. Der 1915 verstorbene Bischof galt als entschiedener Modernisierer und beauftragte Antoni Gaudí mit der anfangs umstrittenen Umgestaltung des Altarraums.

Mit zu den jüngsten Gräbern gehören allerdings auch die der zwei Mallorca-Könige. Die sterblichen Überreste von Jaume III. wurden ohnehin erst Anfang des 20. Jahrhunderts von seinem früheren Bestattungsort Valencia nach Mallorca überführt. Und Jaume II. ruhte erst in einem Holzsarg, der bis zur Fertigstellung der Dreifaltigkeitskapelle seinen Platz vor den Stufen des Chorraums hatte, ab dem 18. Jahrhundert dann in einem Marmorsarg. Die heutigen Grabmäler am lichten Ort, die Fréderic Marès 1946 schuf, sind nun für die Ewigkeit bestimmt.

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