Es dämmert bereits, als am 5. Mai 1809 einige Schiffe in der Hauptbucht von Cabrera Anker werfen. An Bord befindet sich das erste Kontingent von mehreren tausend französischen Soldaten, die im Unabhängigkeitskrieg in spanische Gefangenschaft gerieten und hier abgesetzt werden sollen – auf einer Insel, die aufgrund ihrer Kargheit nie mehr als ein paar Dutzend Bewohner hatte.

Über das fünf Jahre währende Drama der Franzosen auf Cabrera, das Tausende Menschenleben gekostet hat, wird alle Jahre wieder geschrieben. Wenig Beachtung findet die Vorgeschichte. Cabrera 1809 war nicht das Resultat eines isolierten Umstandes. Das Vorspiel war ein Drama für sich, bei dem historische Gegebenheiten, Politik, aber auch niedrige Instinkte bis hin zu schlichter Inkompetenz auf fatale Weise zusammenwirkten.

Der Ablauf: Ende März 1809 trifft in Palma eine Nachricht aus Sevilla ein, der zufolge 5.000 französische Soldaten, die in der Schlacht von Bailén in spanische Gefangenschaft gerieten, Richtung Balearen unterwegs sind. Konkret wird angeordnet, dass die Franzosen auf die Inseln Mallorca, Menorca, Ibiza und Cabrera verteilt werden sollen. Die Rede ist nur von einer provisorischen Internierung, denn zu diesem Zeitpunkt laufen Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch, für den die 5.000 Franzosen vorgesehen sind.

Verblüffend jedoch, dass die Order Cabrera nennt und das weit größere Formentera ignoriert. Hier liegt möglicherweise der Ausgangspunkt des Dramas. Die Erwähnung Cabreras überrascht umso mehr, als 15 Jahre zuvor eine Order des Königs Carlos IV. über die Internierung einer weit geringeren Anzahl von Gefangenen auf den Inseln Fuerteventura, Lanzarote, Cabrera und Nueva Tabarca (bei Alicante) aus humanitären Gründen, wie man heute sagen würde, rückgängig gemacht wurde. Denn Beamte wiesen Carlos IV. darauf hin, dass auf keiner dieser Inseln genügend Infrastruktur vorhanden sei.

Wer die Order des Jahres 1809 verfasst, kennt offenbar die Balearen nicht und holt auch keine Informationen ein. In Palma tritt die Junta-Regierung des Archipels zu Beratungen zusammen. Und obwohl ein Begleitschiff des Gefangenenkonvois eine Million Reales mit sich führt, um die Inseln für die Aufnahme der Franzosen zu entschädigen, schicken die Mallorquiner eine unmissverständliche Absage nach Sevilla.

Die Gründe für dieses „No“ sind vielschichtig. Auf den Straßen gehen Gerüchte um: Auf den Transporten sei eine Epidemie ausgebrochen und aus dem französischen Toulon eine Flotte ausgelaufen, die den Auftrag habe, die Gefangenen zu befreien, womit Palma ins Fadenkreuz des Feindes geraten wäre. In der Junta herrschen andere Ängste vor: Die Franzosen mögen Bazillenträger sein oder nicht, schwerer wiegt, dass sie neue Ideen mit sich tragen, die dem alten Herrschaftssystem gefährlich werden können. Napoleons Heer war das Heer der Revolution.

Aus Sevilla kommt die Antwort: Auf den Schiffen herrschten keine Epidemien, doch man könne etwelche Kranke gerne auf Cabrera absetzen. Erneut wird klar, dass der Verfasser nicht die blasseste Ahnung von den Verhältnissen auf diesem Inselchen hat.

Mallorca spielt den Ball nach Menorca weiter. In Maó ist gerade ein riesiges Lazarett fertiggestellt worden, das sich überdies auf einer Insel im Hafen befindet und daher für die Isolierung von Epidemie-Kranken bestens geeignet ist. Unter diesem Vorwand weist die Stadtverwaltung von Palma die von Maó an, alle 5.000 Gefangenen aufzunehmen, während die Inselregierung parallel und im Widerspruch dazu Weisung gibt, 1.500 ins Lazarett einzuweisen.

Sowie die Flotte in Palma eintrifft, wird sie zur Nachbarinsel weitergeschickt. Doch die Menorquiner denken gar nicht daran, 5.000 oder auch nur 1.500 Gefangene aufzunehmen. Das Lazarett ist voll mit Kriegsverwundeten vom Festland. Admiral José de Vargas, der Kommandant des Gefangenenkonvois, versucht, die Junta von Maó mit Geld umzustimmen. Am Ende werden 366 Franzosen akzeptiert und die Flotte kehrt nach Palma zurück. Angesichts der Stimmung im Volk – und wohl auch, um Zeit zu gewinnen – verhängt dort die Gesundheitsbehörde eine Quarantäne von zehn Tagen. Jeder Kontakt mit Schiffen, auf denen sich Gefangene befinden, wird strikt verboten. Wenden wir uns für einen Moment den Menschen zu, die wie eine Ladung unbestellter Ware von Adresse zu Adresse geschickt werden. Die Schiffe, auf denen sie transportiert werden, tragen so freundliche Namen wie „Amistad“ (Freundschaft), „Amigo fiel“ (Treuer Freund), „Fraternidad“ (Bruderschaft), ja sogar „Amable“ (Liebenswürdig), doch die Verhältnisse sind alles andere als liebenswürdig. In Cádiz waren die Frachter für die Aufnahme einer größtmöglichen Zahl von Gefangenen umgebaut worden, indem man Zwischenetagen einzog. Das heißt, die Franzosen können in ihren Unterkünften vielfach nicht einmal aufrecht stehen. Dazu kommt eine miserable Verpflegung, und was schwerer wiegt: Für die 5.000 Gefangenen sind weder Ärzte noch Medikamente verfügbar.

Ein längerer Aufenthalt der Franzosen auf den Schiffen ist ebenso wenig vorgesehen wie später auf Cabrera. Die Arrangements tragen den Stempel des kurzfristigen Provisoriums. Doch die Reise zieht sich hinaus. Nachdem die Flotte unverrichteter Dinge aus Menorca zurückkehrt, ankert sie bei Porto Pí, während in Palma die Junta berät. Zu den kaum erträglichen Bedingungen gesellt sich Ungewissheit: Findet der Austausch nun doch statt? Wenn nicht – wo wird die Reise enden?

Unterdessen flehen die Franzosen um medizinische Versorgung. Die unsagbaren Bedingungen führen zu ersten Todesfällen. Doch Admiral Vargas befindet sich in einer Zwickmühle: Dramatisiert er die Lage, wird die Quarantäne verlängert, beschönigt er sie, bekommt er keine Hilfe und eine Epidemie wird wahrscheinlicher. Jedenfalls werfen die Besatzungen die toten Franzosen heimlich ins Meer, um die Seuchenhysterie nicht zusätzlich zu schüren.

Unterdessen zeigen sich die in Palma beratenden Würdenträger mal mehr, mal weniger würdig. Die regionale Regierungsversammlung ringt sowohl mit widrigen Umständen, als auch mit ihrem Gewissen. Allerdings steht die Junta nach dem Fehlschlag in Maó unter Druck. Man meinte, das Problem gelöst zu haben, und hatte keinen Plan B ausgearbeitet.

Wenige Tage zuvor hat ein Zwischenfall bei Santanyí eindeutig klar gemacht, dass auf Mallorca niemand auch nur einen einzigen weiteren Franzosen aufnehmen will. Die Insel hatte über Jahre Flüchtlinge und Deserteure der Revolutionswirren absorbiert. Doch als am 17. April 1809 ein aus Ibiza kommendes Schiff mit 178 Franzosen an Bord in Cala Santanyí anlandet, setzt der Bürgermeister sofort die Soldaten seiner Stadtwehr los, um die Unglücklichen zurück ins Meer zu schicken.

In der Junta zeichnet sich mittlerweile Cabrera als einziger Ort ab, der Gefangene aufnehmen kann, und zwar hauptsächlich, weil dort niemand lebt, der dagegen protestieren könnte. Immerhin erscheint die Insel in der königlichen Weisung, und nachdem man davon ausgeht, dass auf den Schiffen eine Epidemie herrscht oder jederzeit ausbrechen könnte, gibt der Zusatz, man könne die Kranken auf Cabrera absetzen, die Rechtfertigung, gleich alle hinzuschicken.

Doch selbst in der Junta werden humanitäre wie auch organisatorische Einwände laut. Ein Mitglied drängt darauf, von der Deportierung nach Cabrera abzusehen, weil sie „kostspielig, gefährlich und inhuman“ sei, und regt als Alternative den Bau von Baracken vor den Stadtmauern von Palma an – damals freies Gelände. Ein anderer meint, man solle die Gesunden aufnehmen und die Kranken nach Cádiz zurückschicken. Doch bleiben diese Stimmen in der Minderheit.

Am 22. April trifft in Palma eine Nachricht des Kommandanten der in Bailén siegreichen spanischen Armee ein: Man möge die Gefangenen umgehend für den Gefangenenaustausch nach Tarragona weiterschicken. Gerüchte, die spanischen Gefangenen seien bereits auf dem Weg in die Heimat, tun ein Übriges: Admiral Vargas wird befohlen, abzusegeln. Doch der winkt ab: Das Wetter hat sich verschlechtert und viele Schiffe sind reparaturbedürftig. Tage später trifft die Nachricht ein, dass der Gefangenenaustausch abgeblasen wurde. Maßgebend sind vermutlich strategische Gründe. Am 3. Mai entscheidet die Junta von Palma, die Gefangenen „provisorisch auf Cabrera zu internieren“. Im Beschlusstext werden Gewissensbisse gemimt: Es sei zwar „ein wenig grausam, diese Unglücklichen auf eine unbewohnte Insel zu schicken, wo als einzige Unterkunft eine miserable Burg steht, die den Inselgouverneur und den Priester beherbergt“. Dagegen wiege jedoch die Überlegung schwerer, dass einer Infizierung der Bevölkerung vorzubeugen sei, die sich aus einer Internierung auf Mallorca ergeben könne. Der Antrag, auf der Insel ein Krankenhaus zu bauen, wird abgelehnt. Stattdessen wird als einzige Versorgung von nahezu 5.000 bereits geschwächten Soldaten eine transportable Feldapotheke nach Cabrera gebracht. Es ist der Aufakt zu einer historischen Tragödie.

Grundlage für diesen Artikel war das Buch „Les Archipels enchanteurs et farouches – les prisonniers de guerre sous le premier empire“ von Geisendorf-des Gouttes, aus dem auch die Illustrationen stammen. Mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Bartolomé March, Palma.

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