Dass die Insel Cabrera zwischen 1809 und 1814 der Schauplatz der leidvollen Internierung tausender französischer Kriegsgefangener war, ist bekannt. Dass sich unter ihnen Soldaten anderer Nationalitäten befanden, schon weniger, obwohl der Umstand nicht überraschen dürfte: Napoleons Heer, dessen Niederlage bei Bailén die Tragödie der Gefangenschaft auslöste, war eine multinationale Truppe: Polen, Holländer, Belgier, Iren, Italiener und Schweizer hatten mit den Franzosen gekämpft, und auch Deutsche. Die derzeit im Gran Hotel in Palma laufende Ausstellung „Oblidats a Cabrera" (Vergessen auf Cabrera) bietet in dieser Hinsicht eine einmalige Gelegenheit: Auf dem Lesetisch liegen Kopien deutscher Bücher, in denen die Abenteuer deutscher Soldaten im Dienst Napoleons beschrieben sind.

Kriegserinnerungen fanden damals viel Beachtung. Niemand Geringerer als Goethe verfasste das Vorwort für das Buch „Der Junge Feldjäger in französischen und englischen Diensten während des Spanisch-Portugiesischen Krieges von 1806 bis 1816". In diesem Werk aus dem Jahr 1826 schildert Goethe, der als Sohn des Garnisonspfarrers von Weimar leichten Zugang zu Soldaten und Veteranen fand, u.a. die Erinnerungen des deutschen Soldaten Philipp Jacob Schwein, der zu den ersten Deutschen gehört haben muss, die nach Cabrera kamen, und dessen Erzählungen den deutschen Dichterfürsten nachhaltig beeindruckten. Das Buch war so erfolgreich, dass es ins Englische und Schwedische übersetzt wurde.

Soldat Schwein war kein Einzelfall. Zahlen sind zwar mit Vorsicht zu genießen, doch waren wohl einige hundert Deutsche auf Cabrera interniert. Die Historikerin Hiltrud Friederich-Stegmann, die für den Ausstellungskatalog einen ausführlichen Text über „Cabrera in den Erinnerungen der deutschen Gefangenen" schrieb, fand in der damaligen „Cabrera-Literatur" interessante Anhaltspunkte. Zu ihrer wichtigsten Quelle wurde ein Buch, das ein Hauptschullehrer namens Ludwig Zeidler Mitte des 19. Jahrhunderts anhand schriftlicher Memoiren, mündlicher Überlieferungen und auch französischer Publikationen schrieb. Darin rekonstruiert er die Geschichte des deutschen Bataillons Anhalt im Spanien-Feldzug. Aus ihm geht hervor, dass im Jahr 1811 die Gefangenen der Brigade des Generals Franz Xaver von Schwarz nach Mallorca gebracht wurden. Wie viele von den ursprünglich 41 Offizieren und 600 bis 900 Soldaten, die mit Napoleons Truppen auf dem Festland kapituliert hatten, die monatelangen Aufent­halte in Lagern und den Seetransport überstanden, ist nicht bekannt. Doch von den Rückkehrern der nach ihrem Kommandanten benannten „Brigade Schwarz" hinterließen einige detaillierte Berichte über die Verhältnisse im Schloss Bellver und vor allem auf Cabrera. Als die Deutschen der Brigade Schwarz auf Cabrera landeten, lebten dort rund 5.000 Franzosen, die sich nach zwei Jahren Gefangenschaft in einem entsetzlichen Zustand befanden, jedoch eine Ordnung etabliert hatten. Viele hatten Hütten errichtet, in denen Neuankömmlinge nur Platz fanden, wenn sie Geld mitbrachten.

Hunger und Krankheiten bedrohten von Beginn weg das Leben der Internierten. Die einzige Hoffnung bestand darin, in ein Spital zu kommen. Dazu finden sich in den Memoiren deutscher Soldaten interessante Schilderungen. Im Buch Zeidlers erzählt etwa Leberecht Heine, ein Unteroffizier im Bataillon Anhalt, von seinem Leidensweg. Geschwächt von einer neun Wochen dauernden Fieberkrankheit bekam er wie viele der Gefangenen auf Cabrera Probleme mit den Augen. Er sucht das in der Burg der Insel eingerichtete Spital auf. Mit letzter Kraft schleppte er sich über die Treppe der kleinen Festung hinauf zum Krankenzimmer. Die Zustände dort waren grauenhaft, „die Betten ekelhaft und der Schmutz unbeschreiblich". Der Arzt verabreichte dem Unteroffizier einen Kamillentee, das einzige Linderungsmittel, „alle Kranken bekamen es". Wenn wieder einer gestorben war, wurde der Leichnam an einen Strick gebunden und außen zu Boden gelassen, um vergraben zu werden. Doch nach acht Tagen hatte Heine Glück: Mit anderen ausgewählten Patienten wurde er in ein Spital gebracht, das die Inselbehörden eigens für die Kriegsgefangenen errichtet hatten.

Das Cabrera-Krankenhaus in Palma ist einer der wenigen Lichtblicke in den Erinnerungen der Gefangenen. Auf dem Weg dorthin, erzählt der Unteroffizier, machten die zerlumpten Gestalten einen derart erbärmlichen Eindruck, dass einige Mallorquiner ihnen Münzen zusteckten. Im Spital wurden auch die Offiziere behandelt, die an dem schlechten Trinkwasser im Schloss Bellver erkrankt waren. Somit wurde das Krankenhaus – sauber, organisiert, mit nahrhaftem Essen – zum Kontaktpunkt und zur Nachrichtenbörse zwischen den Cabrera-Soldaten und den Offizieren aus Bellver.

Die Geschichte der Brigade Schwarz hat ein kurioses Nachspiel: Als die Spanier auf Mallorca ein neues Kontingent aufstellten, rekrutierten sie aus Mangel an Einheimischen auch Gefangene. Der Volksmund nannte die neue Truppe Negrets. Was vielleicht eine Anspielung auf die Deutschen der „Brigade Schwarz" (negre) war.

Infos

Die Ausstellung „Oblidats a Cabrera" läuft noch bis 17.1.2010 im Caixa Forum im ehemaligen Gran Hotel in Palma.

Di bis Sa 10 - 21 Uhr, So 10 - 14 Uhr.

Im Museumsbuch­laden lässt sich auch der Katalog mit dem Aufsatz von Hiltrud Friederich-Stegmann erwerben.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem

- Herbstidylle auf Mallorca

- Tauchen im Winter

- Rundwanderung beim Kloster Lluc

- Kinderflohmarkt Santa Ponça

- Coole Zimmer mit Panoramablick

- Himmlisches für irdische Genießer

- Bar Día in Palmas Lonja-Viertel

- Das Mahl mit Bobet: Katalanischer Winzer zu Gast in Palma

- Der Riese mit der Hutkrempe: Mallorcas liebster Speisepilz