Zuerst sollte man auslosen, wer fährt. Und dann entscheiden, ob man im Norden oder Süden startet. Die Traumroute bleibt dieselbe. Nur die Perspektive wechselt. Je nachdem, ob Sie am Steuer sitzen oder Beifahrer sind. Wem das zu kompliziert ist: Fahren Sie einfach los! Gemütlich über Esporles Richtung Banyalbufar.

Spätestens wenn die MA-10 die Küste erreicht, sind Diskussionen um Sitzplätze sowieso hinfällig. Stattdessen beginnt man zu genießen: die Aussicht (Olivenbäume), die Gerüche (Pinienduft), das langsame Vorankommen (Serpentinen).

Betrachtet man die 30 Kilometer lange Panoramastrecke bis Andratx als Tour für Genießer, befindet man sich noch in der Aufwärmphase. Bis man Banyalbufar erreicht. Die ­terrassierten Gärten sind das Eingangstor in das "nahe dem Meer errichtete" Dorf, wie sein Name übersetzt heißt.

Der Beifahrer liest aus dem Reiseführer vor: Banyalbufar, arabisch der kleine Weinberg am Hang. In früheren Zeiten war dieser Ort wirklich ein Weingarten. Heute werden auf den rund 2.000 Terrassenparzellen hauptsächlich Tomaten und anderes Gemüse geerntet. Die Wasserleitungen, die das kostbare Nass aus den Bergen herabführen, stammen zum großen Teil noch aus arabischer Zeit. Unser erster Stopp ist die Bushaltestelle in der Ortsmitte, ein paar Meter hinter der Eisdiele. Ob hier wirklich jemand auf den Bus wartet, bleibt ungewiss. Die Holzbank unter zwei Schatten spendenden Linden lädt freilich dazu ein. Zum Hören und Schauen ebenso. Vögel zwitschern, Wasser gluckst in der Rinne, eine Katze verschwindet hinter einem Vorhang im Haus. Wenn man noch kein Schriftsteller ist - hier könnte man einer werden. Wer auf Meditation steht: Auf der Holzbank fällt sie leicht.

Nicht immer ging es in Banyalbufar so beschaulich zu wie heute. Um sich im 16. Jahrhundert vor den maurischen Piraten zu schützen, wurde außerhalb des Ortes ein Wachturm errichtet. Der ist unser nächstes Ziel. Der Torre des Verger scheint über dem Meer zu schweben. Eine schlichte Eisenleiter im Inneren des Turms führt aufs Dach. Eine Kletterpartie für Sportliche oder Verliebte. Der Ausblick lohnt natürlich. Weil man sich dem Meer so nah fühlt.

Es geht weiter. Entlang hölzerner Leitplanken, vorbei an knorrigen Kiefern und Agaven, die ihre dicken, fleischigen Blätter in eleganten Bögen von sich strecken. Zwischen den Grüntönen blitzt es immer wieder blau. Meerblau.

Kaffeepause in Estellencs. Zum Beispiel in der ersten Dorf-Etage, im "Restaurant Montimar", das eine erhöhte Terrasse mit Kirchblick besitzt. Oder ebenerdig in der "Cafetería Estallenchs", wo man rasch mit einem der 200 Dorfbewohner ins Gespräch kommt. Einen Abstecher lohnt auch der Mini-Kirchgarten: eine Steinbank unter einem Gummibaum und dazu zwei Zitronenbäume - mediterrane Gartenbaukunst par excellence. Spätestens wenn die Kirchuhr zum dritten Mal schlägt - hier schlägt sie alle 15 Minuten - geht´s weiter. Nicht, weil man noch Termine hätte. Nein, einfach so.

Wir rollen südlich von Estellencs die Küstenstraße entlang, wo sich die Berghänge der Tramuntana-Gipfel immer näher ans Meer drängeln. Felsblöcke wölben sich über die Fahrbahn, Kiefern wachsen aus Gestein heraus. Auch Menschen fanden hier nie genug fruchtbare Erde, um sich niederzulassen. Man passiert eine verwaiste Tankstelle, ein Stück ehemalige Zivilisation, das von der Natur langsam zurückerobert wird.

Für eine Terrasse hoch über dem Meer reicht der Platz aber auch hier. Bei Kilometer 98 parken wir neben einem eleganten englischen Oldtimer und betreten die Restaurant-Terrasse. Die Augen suchen die Tische nach dem five o´clock tea ab. Und finden stattdessen riesige Eisbecher. Auch Pa amb oli. Die Überraschung: Für einen Sonnenplatz an der Balustrade muss man nicht anstehen. Im "Es Grau" warten 20 Tische in der ersten Reihe auf Meerblick-Süchtige. Klar: Die Weiterfahrt verzögert sich um mehrere Stunden. Auf der Karte entdecken wir zuerst den fluffigen Zitronenkäsekuchen, später frischen gegrillten Fisch. Nach dem Sonnenuntergang sind die letzten Kilometer bis Andratx schnell gemacht. Ginsterbüsche und Felsformationen huschen in der Dämmerung an uns vorbei. Wir diskutieren erneut die Fahrtrichtung: Hätten wir die Tour im Süden gestartet, wäre die Bushaltestelle von Banyalbufar unsere letzte Station gewesen. Dort säßen wir jetzt vielleicht immer noch. In Meditation versunken. Beim nächsten Mal probieren wir es aus.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 31. Mai (Nummer 630) lesen Sie außerdem:

- Kindermenü: Ferienbetreuung II

- Schöne Dinge: Die Papiertiger

- Wasserwelten: Der Jetlev-Flyer

- Abschlag: Golf ohne Nachwuchs

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