Die Vormittagssonne reflektiert auf einem Schild am Straßenrand. „Costa dels Pins" ist dort in schwarzen Lettern zu lesen, oder, wie es auf Spanisch heißt: „Costa de los Pinos". Man hört das Meer rauschen und Kinder lachen. Es geht ruhig zu am Es-Ribell-Strand. Viel ruhiger als an den meisten anderen Stränden an der Ostküste von Mallorca. Hier, nur etwa vier Kilometer vom belebten Cala Millor entfernt, scheint die Zeit langsamer zu laufen. Familien genießen das milde Wetter im Kies-Sandstrand, die Strandbar in der Mitte der Playa ist gut besucht - von Überfüllung kann aber nicht die Rede sein. An den Außenrändern des Strands liegen kaum Menschen.

An einigen Bäumen ringsum sind Fahrräder gelehnt. Nicht jene Rennräder, die im Frühling vor allem die Tramuntana bevölkern, sondern einfache Ausflugsräder. „In den vergangenen Jahren kommen immer mehr Urlauber mit dem Fahrrad hierher", erzählt ein Kellner, während er einen der

Tische in der Strandbar abräumt. „Viele radeln von Cala Millor hierher." Tatsächlich kann man die ruhige Bucht, die im Norden in Costa dels Pins endet, gut über einen Radweg an der Küste entlang erreichen. Auch die beliebte Radstrecke Vía Verde, die im Inselinneren von Artà über Son Servera nach Manacor führt, ist nur gut drei Kilometer entfernt.

„90 Prozent der Urlauber hier am Strand sind Deutsche", berichtet der Kellner weiter und geht dann zu einem Nachbartisch. Familie Heidemann hat sich hier breit gemacht: Vater Gregor, Mutter Nicole und die Töchter Jenny und Isabelle. Gespannt blicken die Kleinen auf das türkisblaue Wasser. „Gleich dürft ihr baden gehen", verspricht Gregor Heinemann. Die Familie ist in einem Hotel in Cala Millor untergebracht, am Strand von Costa dels Pins sind sie zum ersten Mal. „Die Radtour hat sich gelohnt", findet Nicole Heidemann. „In Cala Millor hat man am Strand ja immer die riesigen Hotelblöcke hinter sich. Hier gefällt es uns viel besser", sagt sie und deutet auf die Bucht.

Ein Stück strandabwärts liegen Gerald und Marion Schmidt hinter einem Wacholderstrauch und sonnen sich. Auch sie schätzen die Ruhe. „Der Strand ist perfekt für uns. Es gibt Bewirtung und Sonnenliegen, aber man kann sich auch zurückziehen", loben sie. Fast jedes Jahr verbringen sie zwei Wochen im Mai in Costa dels Pins, meist kommen sie in einem der wenigen Ferienapartments unter. „Dort drüben", sagt Gerald Schmidt und zeigt zum anderen Ende der Bucht. In der Ferne ist die Urbanisation zu sehen, die sich an eine bewaldete Hügellandschaft schmiegt, die Serra de Son Jordi. Auffällig ist ein großer Hotelkomplex.Kunstname für die Siedlung

Mit dem Auto sind es kaum zwei Minuten vom Strand bis zum Eurotel Punta Rotja, dem einzigen Hotel in der gesamten Gegend. Erbaut wurde es Anfang der 60er-Jahre vom Architekten Miguel Fisac; es war der Anstoß zur ­Besiedlung der Bucht. „Früher nannte sich diese Gegend 'Ses Muntanyes de Son Jordi'", berichtet Marga Vives, die Dezernentin für Tourismus vom zuständigen Rathaus Son Servera. Der Name Costa dels Pins sei mit der Entstehung der Siedlung einhergegangen - ist aber mehr als naheliegend: Die pins, die Mittelmeerkiefern also, sind in der Urbanisation bis heute allgegenwärtig. Sie spenden Schatten auf den breiten Straßen und den großen Grundstücken, die die luxuriösen Einfamilienhäuser umgeben. Von ihren Bewohnern ist kaum etwas zu sehen. „Rund 250 Wohnhäuser gibt es hier. Wegen der Hanglage haben die ­meisten Meerblick", berichtet Christine Heise. Sie betreibt in dem kleinen Ortszentrum das Immobi­lienbüro „Costa de los Pinos Real Estate". Große Anwesen mit Pool hängen in den Auslagen des Büros. „Etwa die Hälfte der Eigentümer wohnt nur in den Sommermonaten hier", erzählt Heise. Vor allem seien es Deutsche und Spanier, die sich die ansehnlichen Anwesen gönnen. „Es sind viele bekannte Familien aus Madrid darunter", so Heise. Die Schauspielerin Ana Obregón beispielsweise oder die Familie des Rallye-Rennfahrers Carlos Sainz. Freie Baugrundstücke gibt es in Costa dels Pîns kaum. „Weiter den Berg hinauf kann die Urbanisation auch nicht wachsen, da kommt dann ein Naturschutzgebiet."

Die Leute, die hier auf Haussuche gehen, seien wohlhabend und vor allem auf der Suche nach Ruhe, so Heise. „Es ist eine Abgeschiedenheit, die es in den Luxusgegenden um Palma so nicht gibt", sagt sie. Hier gehe es weniger um Sehen und Gesehen werden, als vielmehr um Entspannung. Und - für viele der Bewohner sehr wichtig - ums Golfen. Vier Golfplätze sind in unmittelbarer Nähe: der „Club de Golf Son Servera", der direkt an die Urbanisation angrenzt, „Pula Golf", „Capdepera Golf" und der „Canyamel Golf Club". Canya­mel liegt auf der anderen Seite des Hügels. Wanderwege durch Kiefernwälder führen dorthin, mit dem Auto muss man außen herumfahren.

„Es kommen tatsächlich immer häufiger auch Wanderer hier vorbei", erzählt der Besitzer eines der kleinen Cafés, die sich an die Hauptstraße, die Avinguda des Pinar schmiegen. Hier fährt auch der kleine rote Touristenzug entlang, der in Cala Millor startet. Von einer Parallelstraße der Avinguda aus führt ein kleiner Weg zu einem weiteren Strand: Es Ratjolí. Er ist versteckter als der große Es-Ribell-Strand, bietet aber einen Blick über die gesamte Bucht.

Viele Ausflügler zieht es zunächst weiter die Hauptstraße hinauf. Die Gesichter jener, die sich auf ihren Stadträdern die Steigung hinaufwagen, wirken angestrengt. Ihr Ziel: der Aussichtspunkt, der in den vergangenen Jahren immer wieder für Wirbel gesorgt hat und ganz am Ende der Straße liegt. Bereits im Jahr 2015 hatte das Rathaus von Son Servera angekündigt, den beliebten mirador umzugestalten. Ein „mediterraner Balkon" sollte entstehen, mit einem Holzsteg, Sitzbänken und indirekter Beleuchtung. Eigentlich sollte er schon zu Beginn der Sommer­saison 2016 eröffnet werden, doch bürokratische Hürden zogen die Arbeiten in die Länge, ebenso wie die Forderungen, die vielen Vorhängeschlösser, die Liebespaare symbolisch am alten Geländer des Aussichtspunkts angebracht hatten, zu erhalten.

Das alte Geländer mit den Vorhängeschlössern lehnt nun an der Felswand nebenan. Noch immer sind die Arbeiten in Gange. Zwei Handwerker kleben ein neues Geländer ab. „Jetzt dauert es wirklich nur noch wenige Tage", sagt einer. Dass die Urlauber allesamt unbekümmert unter den roten Absperrbändern hindurchkrabbeln, die eigentlich den Zugang zur Aussichtsplattform verwehren, stört die Arbeiter nicht. „Es kann nichts passieren, das ist alles sicher."

Tatsächlich ist die Aussicht spektakulär. Nach unten fällt die Klippe steil ab und gibt den Blick auf das klare Wasser frei, geradeaus erstreckt sich das offene Meer, rechts kann man bis nach Cala Millor und zur Punta de n'Amer sehen. „Schön", sagt eine Urlauberin auf Deutsch und legt ihrem Partner den Arm um die Schultern. Einer der Arbeiter wittert Romantik. „Die sollen sich bloß unterstehen, ein Liebesschloss anzubringen", grummelt er. „Das neue Geländer ist tabu."