Dass Don Rafael Soler Gayá ein bedeutender Mann ist, sieht man, wenn man seine große und gediegene Wohnung in der Nähe des Borne in Palma betritt. An den Wänden hängen Gemälde, eine Bronzebüste ziert den Eingangsbereich, eine Haushälterin wuselt geschäftig in Uniform auf Teppichen durch die Gänge. „Ich war von 1975 bis 1995 20 Jahre der Direktor von Palmas Hafen", sagt der bald 88-jährige Ingenieur, der sich gewählt auszudrücken weiß und wie ein Grandseigneur wirkt. „Zuvor war ich von 1955 bis 1975 für die kleineren Häfen auf Mallorca zuständig", fügt er hinzu. „Ich ließ mehrere Leuchttürme bauen, darunter die auf Sa Dragonera, und war für den reibungslosen Betrieb aller faros der Insel verantwortlich." Auch eine Reihe von Molen in kleineren Häfen der Insel entwarf Don Rafael. Der Ur-Mallorquiner hatte 1950 unter nicht weniger als 1.800 Bewerbern einen von 50 begehrten Studienplätzen der renommierten Straßenbauingenieurshochschule

in Madrid ergattert.

Doch seine berufliche Tätigkeit allein, die auch das Verfassen von Fachbüchern etwa über Licht­bojen umfasste, erfüllte Don Rafael nicht zur Gänze. Als im Jahr 1972 auf der Familien­finca Ca'n Soler in seinem Heimat­dorf Sant Joan eine Sonnenuhr von 1886 reparaturbedürftig war, richtete der Ingenieur sie selbst wieder her. Und fing Feuer für die Wissenschaft, die sich mit diesen seit Jahrhunderten auf Mallorca unübersehbaren Objekten beschäftigt. Don Rafael begann, sich intensiver mit der sogenannten Gnomotik zu beschäftigen. „Ich lernte, dass es auf der Insel etwa 1.000 Sonnenuhren gibt", sagt er. „Das ist eine je vier Quadratkilometern." So eine Dichte finde man in Europa seines Wissens nur noch in der westitalienischen Region Piemont rund um die Stadt Cuneo vor. Auch in ­Südfrankreich gäbe es noch ausgesprochen viele dieser Zeitmesser.

Das kann ich auch

Don Rafael entwarf 1972 ganz nebenbei „als Hobby", wie er sagt, seine erste Sonnenuhr. „Ich stellte sie mithilfe von Maurern in einem Anwesen von Familienmitgliedern in Son Verí Vell bei Llucmajor fertig", sagt er. Ein Jahr später folgte eine weitere im Haus seines Schwagers ebenfalls in Son Verí Vell. „Das waren zunächst alles vertikale Uhren, und alle wurden aus Marès-Stein aus Santanyí gemeißelt, weil der so schön hell ist." Diesem Material blieb Don Rafael in den Jahren danach treu, wiewohl er auch schon mal Metall verwendete. „Auch die Werkstatt in Palma ist die gleiche geblieben."

Bis zum Jahr 2016 ließ der Ingenieurs-Doyen 149 Sonnenuhren in die Landschaft setzen. Mehrere davon stehen in Palma am Meer, etwa im ­Hafen von Portitxol, in Molinar und an den Mühlen von Es Jonquet. Auch auf dem Klosterberg von Lluc, auf der Mole von Port d'Alcúdia, am

Kulturzentrum Son Tugores in Alaró oder am Ortseingang von Cala Figuera auf einem Kreisverkehr (s. re.) hat Don Rafael seine Handschrift hinterlassen.

Nach einigen Jahren wurde er auch jenseits von Mallorca aktiv: auf Ibiza etwa, auf Formentera und Menorca, in Astu­rien, Katalonien, Málaga und auf den Kanarischen Inseln. Auf etwa die gleiche Zahl kommen Solers Entwürfe, die nicht umgesetzt wurden und nur als Modelle existieren. Kein Wunder, dass im Straßen- und Hafenbaukollegium im Zentrum von Palma ein großes Foto des Mannes hängt, dem die Insel so viele Zeitmesser zu verdanken hat. „Es kamen neben fast allen Verwandten zunehmend auch Gemeinden auf mich zu, in deren Auftrag ich aktiv wurde", sagt der Ingenieur, dem es besonders die entweder auf Lateinisch, Provenzalisch, Katalanisch oder Italienisch formulierten Weisheiten auf den Sonnenuhren angetan haben.

Nachdem er in italienisch-, englisch- oder französischsprachigen Fachzeitschriften lang und breit über sein umtriebiges Wirken an der Sonnenuhrfront berichtet hatte, wurde man auch im Ausland auf ihn aufmerksam. „Die belgische Stadt Genk beauftragte mich Mitte der 90er-Jahre, im Molijenpark zwei horizontale Sonnenuhren aufzustellen." Pflichtschuldig tat Don Rafael, wie ihm geheißen.

Es ärgert ihn nicht, sondern macht ihn stolz, dass mehrere seiner Entwürfe kopiert wurden. „Auf der Kanareninsel Gomera steht in der Hauptstadt San Sebastián de la Gomera ein abgekupfertes­ Exemplar", sagt er. Als ungewöhnlichstes Bauwerk bezeichnet er eine Sonnenuhr, die er unter Wasser im Pool eines Verwandten anbringen ließ. „Ich mag schräge Sachen", sagt er.

Auch in tragbarer Ausführung

Neben horizontalen und vertikalen Uhren - Letztere lassen mehr Raum für Angaben wie Kalendertage oder Tierkreiszeichen - gibt es auch tragbare Sonnenuhren. „Der Gründer vieler kalifornischer Städte, der Mallorquiner Junípero Serra, hatte so eine, die Mönche, die ihn begleiteten, ebenfalls", weiß Don Rafael. „An ihnen waren Kruzifixe befestigt, die an den Schattenstäben hingen." Einer dieser Missionare stammte von der Finca in Sant Joan, die seit Generationen den Solers gehört.

Die Installateure von Don Rafaels Sonnenuhren müssen immer darauf achten, dass der Schatten­stab parallel zur Erdachse steht, auf dass auch die richtige Zeit angezeigt wird. Außerdem muss er auf den Winkel des jeweiligen Breitengrades eingestellt sein.

Die meisten Sonnenuhren auf Mallorca stammen allerdings nicht von Don Rafael, sondern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Man findet sie vor allem an exponierten Orten, weil sich der Tagesablauf früher noch stärker nach dem Stand der Sonne richtete - etwa an der Rambla in Palma an der Wand des aus dem 17. Jahrhundert stammenden Nonnenklosters Carmelitas Descalzas, am Kloster von Santa Maria del Camí, am Kirchturm von Galilea oder an der Pfarrkirche von Binissalem.

Die Araber, die Mallorca vor der Eroberung durch König Jaume I. bewohnten, benutzten ebenfalls einfache Sonnenuhren - etwa, um just zu jener Tageszeit mit Booten aufs Meer zu fahren, wenn die Fische am häufigsten in die Netze schwammen.

Genauer als mechanisch

Als die Sonnenuhren auf Mallorca populär wurden - sie sind schon seit römischen Zeiten bekannt - gab es schon lange mechanische öffentliche Uhren auf der Insel, die aber in der Regel sehr ungenau waren. Jedes Dorf hatte seine eigene Zeit. Vereinheitlicht wurde die Zeitmessung erst später, etwa 1884, als man beschloss, die Welt in 24 Zeitzonen einzuteilen. Seit Ende des 14. Jahrhunderts und bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein schlugen die Glocken zudem, anders als heute, auch auf Mallorca zur vollen Stunde: „Nach 0 Uhr nachts wurden sämtliche Stunden geschlagen", weiß Don Rafael. „Das hatte zur Folge, dass die Uhr etwa um 17 Uhr 17-mal schlug."

Don Rafael schiebt seit einiger Zeit eine ruhigere Kugel, ist aber alles andere als untätig. „Ich entwerfe weiter ­Uhren und werde von Schulleitern eingeladen, damit ich den Schülern zeige, wie so etwas funktioniert. Ich bringe ihnen runde Pappbehälter mit, in denen - wenn die Sonne durchscheint - ein weißer Punkt die Zeit anzeigt", sagt Don Rafael. Kerzengerade sitzt er am Ende des Interviews an einem Tisch in seiner Wohnung im edlen Zentrum von Palma und blickt gedankenversunken aus dem Fenster. Draußen scheint die Sonne, die Zeit verstreicht.