Wer vor den 2000er-Jahren in spanischsprachigen Ländern aufgewachsen ist und sich an seine ersten Kinogänge erinnert, kann gar nicht anders, als sich auch an jene riesigen Filmplakate zu entsinnen, die über den Kinoeingängen hingen. Ob die Gran Vía in Madrid oder die einst fast nur aus Kinos bestehende Fußgängerzone Lavalle in Buenos Aires: Die Hollywood-Stars hingen in zum Teil fünf mal drei Meter großen Monumental-Bildern vor den Lichtspielhäusern. In Deutschland kannte man das in der Regel nicht. Doch auch in Spanien gibt es diese Werke nicht mehr, sie wurden abgelöst von Bildschirmen oder von in Schaukästen befindlichen Mini-Plakaten vor den Eingängen zu den Kinos und gehören genauso wie Schreibmaschinen oder Walkmen der Vergangenheit an.

„Es waren diese Plakate, die mein Interesse für das Kino erst geweckt hatten", sagt Toni Bestard. Der mallorquinische Regisseur und mehrfache Kandidat für den spanischen Filmpreis Goya, der mit seinem Porträt über den Darth-Vader-Darsteller David Prowse vor einigen Jahren für Furore sorgte, hat einen neunzehnminütigen Dokumentarfilm namens „Sueño Efímero" („Vergänglicher Traum") gedreht. Toni Bestard porträtiert in dem informativ-nostalgischen Werk drei ehemalige Filmplakatemaler aus Spanien: Juan Antonio García aus Barcelona, Vater des international bekannten Regisseurs José Antonio Bayona („Un monstruo viene a verme"), Alfonso Pérez aus Madrid und Rafael Ruiz aus Palma, der jahrzehntelang als Einziger diese Plakate als Selbstständiger auf Mallorca malte. Ruiz fertigte die Kopien der kleinen Original-Plakate ab Mitte der 50er-Jahre mehr als 40 Jahre lang ganz allein an, und das nicht in Werkstätten mit mehreren Helfern, wie das in Madrid und Barcelona üblich war, sondern in speziell dafür hergerichteten Räumen in den einzelnen Kinos, wo er ausgerüstet mit Pinseln und Farbeimern zu Werke ging.Planquadrat um Planquadrat

Planquadrat um Planquadrat„Sueño Efímero" fußt unter anderem auf einem neuen Buch der Geschwister Tomeu und Verónica Fiol, das sich allein mit dem Insulaner beschäftigt: „Rafael Ruiz. L'home que pintava pellicules" (Ed. Òrbita, 200 Seiten, 20 Euro). Die Autoren erzählen darin, wie der Palmesaner („Ich kopierte immer schon gern") sich als junger Mann ab 1957 von Gabriel Palmer, einem Freund seines Vaters, in die Kunst des Plakatemalens einweisen ließ und wie er diesen schließlich beerbte.

„Meine Vorgehensweise bestand darin, auf Tuch oder Karton zunächst eine große Zahl Planquadrate zu zeichnen", so der inzwischen 79-jährige Rafael Ruiz bei der Vorstellung von Film und Buch in der Bücherei „Llibres Colom" am Freitag (16.2.) in Palma. „Dann nahm ich ein Foto und malte alle Quadrate einfach nacheinander aus." Das konnte mehrere Wochen in Anspruch nehmen, wobei Ruiz in seinen besten Zeiten in verschiedenen Kinos an bis zu zehn Plakaten gleichzeitig arbeitete. Danach wurden diese oberhalb der Eingänge von Häusern wie dem noch bestehenden „Rivoli" oder dem „Augusta", dem schon vor Jahrzehnten abgerissenen „Teatro Lírico" oder der Konzerthalle „Auditorium" in Palma befestigt. „Als nach dem Tod von Diktator Francisco Franco 1975 die Zensur verschwand, verlangten die Kinobesitzer mit immer mehr Nachdruck auch nach Plakaten mit nackter Haut", sagt Rafael Ruiz und lacht. „Dem kam ich selbstverständlich nach."

Was diese Monumental-Bildnisse anbelangt, weiß Buchautor Tomeu Fiol auch von Anekdoten zu berichten: „Da es so was in Hollywood nie gab, machten Stars, die etwa nach Madrid oder zum Filmfestival in San Sebastián kamen, immer große Augen, wenn sie sich selbst so riesig sahen", sagt er. Manch einer habe sogar spanischen Malern viel Geld geboten, um ein Mega-Plakat zu sich nach Hause nach Kalifornien herübertransportiert zu bekommen. Auch in anderen Ländern als den spanischsprachigen seien solche Plakate populär gewesen, so Tomeu Fiol. Doch die Werke der dortigen Maler seien mit denen der Spezialisten hierzulande nicht vergleichbar gewesen. „In Russland beispielsweise ähnelten die gemalten Figuren eher selten den wirklichen Schauspielern", weiß Tomeu Fiol.

Nach „Lincoln" war Schluss

Nach „Lincoln" war SchlussDie Kunst des Malens von enormen Filmplakaten ging nicht von einem Tag auf den anderen verloren, sondern starb langsam. „Weil immer mehr Multiplex-Kinokomplexe entstanden, die die Filme mit neuen Technologien anpriesen, und immer mehr traditionelle Kinos schlossen, hatten die Maler mit der Zeit immer weniger Arbeit", so der Autor. Und so schrieb man das 2013, als in Spanien das letzte Plakat gezeigt wurde: Gemalt von dem Madrilenen Alfonso Pérez, der damit das Historiendrama „Lincoln" von Star-Regisseur Steven Spielberg auf der Gran Vía in der spanischen Hauptstadt anpries.

Rafael Ruiz hatte bereits Anfang des neuen Jahrtausends bemerkt, wohin sich die Entwicklung bewegte: Im Jahr 2003 entschied Mallorcas Filmplakatemaler Knall auf Fall, nie wieder einen Pinsel in die Hand zu nehmen. Woran er sich allerdings zunächst einmal nur zum Teil hielt. „Ich malte noch zwei Jahre weiter Plakate fürs Auditorium Palma", so der Künstler in der Bücherei „Llibres Colom". „Seitdem begeistern mich nur noch zwei Dinge: Ich kümmere mich um meine Enkel und experimentiere in der Küche beim Kochen."