Arbeiten im Schlaf, wer möchte das nicht können? Guillem Monserrat Moll (44), seines Zeichens selbstständiger Stuhlbespanner und Designer, tut genau das: Er legt sich abends zum Schlafen hin und wacht dann mitten in der Nacht mit einer neuen Idee für ein Stuhlmuster auf. Das klappt zugegebenermaßen nicht immer, doch ein paar seiner selbst entworfenen Bespannungsmuster sind tatsächlich so entstanden - im Traum.

Traumhaft ist auch der Ausblick aus seiner Werkstatt im Carrer Major, 212 im 15 Kilometer südöstlich von Palma gelegenen Llucmajor. Der direkte Blick auf den Berg Randa gibt Guillem zusätzliche Inspiration, wenn er bei schönem Wetter zwischen den weit geöffneten Toren sitzt und Stühle bespannt. Unter mehr als 30 verschiedenen Mustern kann man wählen, wenn man ihm einen alten Stuhl mit zerschlissener Sitzfläche zum Neubespannen bringt oder einen neuen erwirbt. Da gibt es von verschiedenen Schachbrettmustern über Gräten-, Zickzack- und Kornmustern bis hin zu Spiral- und Zylindermustern.

Seinen ersten Stuhl bespannte Guillem im Alter von 12 Jahren, nachdem er lange genug seinem Großvater über die Schulter geschaut hatte. Sein Vater hatte nie Interesse gezeigt, doch Guillem faszinierte die Kunstfertigkeit seines Großvaters von klein auf. „Er brachte mir aber nur ein Muster bei, die restlichen habe ich mir nach und nach selbst angeeignet und einige dann auch selbst entworfen", erzählt er. Im Handwerksunterricht in der Schule bekam er dafür aber nur eine 7, da der Verdacht bestand, sein Großvater habe ihm geholfen. Später erhielt er dann für einen weiteren die erhoffte Bestnote 10.

Die Materialien sind dabei fast so vielfältig wie die Muster: Das gängigste ist Sisal (pita), ein aus Agavenblättern gewonnenes Naturprodukt und natürlicher oder synthetischer Bast (rafia), der sich dank seiner Elastizität am besten verarbeiten lässt und zudem die längste Lebensdauer hat. „Die Stühle halten locker 80 oder mehr Jahre", sagt Guillem. Im Gegensatz dazu werden die Schnüre aus den Blättern der rund um Artà beheimateten Zwergpalme (palmito) und dem aus dem Naturschutzgebiet um Muro und Sa Pobla stammenden Schilfgras (enea) immer weniger verwendet. Beide Pflanzen stehen unter Naturschutz, werden daher streng kontrolliert geschnitten und sind demzufolge nur noch in geringen Mengen und zu stetig steigenden Preisen erhältlich.

Zwischen 150 und 200 Meter - je nach Größe der Sitzfläche und Muster - sind für die Neubespannung eines Stuhles erforderlich. Bei der Verwendung von Schnüren der Zwergpalme fallen so zirka 85 Euro reine Materialkosten pro Stuhl an. Diese werden außerdem noch, ebenso wie die Schnüre des Schilfgrases, von Hand zusammengedreht und nicht, wie alle anderen, maschinell hergestellt. Das ist eine ­Heidenarbeit,

und es gibt nur noch einige wenige Rentner, die die Zeit und Muße dazu haben. „Mein jüngster Schnurdreher ist 86, bei ihm habe ich zum Glück schon vor Jahren sämtliche Vorräte an Zwergpalmschnüren aufgekauft und mir einen schönen Vorrat angelegt", sagt Guillem mit einem verschmitzten Grinsen. Im Vergleich dazu kostet Sisal für einen kompletten Stuhl gerade einmal 5 Euro. Das unter Naturschutz stehende Schilfgras liegt, ebenso wie der wegen seiner Feuchtigkeits- und Temperaturanfälligkeit nur selten verwendete Hanf, bei 25 Euro. Andere Materialien wie Baumwolle, Nylon und Bast kosten alle unter 10 Euro pro Stuhl.

Die Kosten für eine Stuhl­bespannung richten sich nach dem gesamten Arbeitsaufwand. Oft bekomme er alte, aus dem Leim gegangene Stühle gebracht. „Die kann ich nicht einfach so bespannen, sondern muss erst einmal den Stuhlrahmen wieder herrichten." Das Bespannen dauert bis zu zwei Stunden. Die Preise beginnen bei 30 Euro für einen kleinen Hocker ohne zusätzlichen Arbeitsaufwand und steigen dann auf bis zu

80 oder 100 Euro je nach Aufwand, Material und Größe.

Um sich einen neuen Stuhl aussuchen zu können, hat ihm ein Schreiner aus der Umgebung einige Rohlinge angefertigt, die Guillem in seiner Werkstatt gestapelt hat. Die Muster, Materialien und Farben kann man sich dann nach Geschmack auswählen. Während er das alles erläutert, hat Guillem flink mehrere faustdicke Knäuel aus Sisal gewickelt und beginnt jetzt, einen Hocker damit zu bespannen. Bereits nach kurzer Zeit lässt sich das entstehende Karomuster erahnen.

Das Material beansprucht die Haut und trocknet sie aus, sodass sich Guillem alle halbe Stunde erneut die Hände eincremen muss. Auch andere gesundheitliche Folgen gibt es, Sehnenscheidenentzündungen und Allergien sind keine Seltenheit. Guillem hat gegen die bei der Verarbeitung der Palmblätter zu Schnüren entstehenden Substanzen, die wieder freigesetzt werden, wenn diese Schnüre für die Verarbeitung angefeuchtet werden, starke allergische Reaktionen entwickelt. Selbst Handschuhe helfen nicht, also überlässt er diese Bespannungen einem Gehilfen. Runde um Runde wickelt Guillem das Sisal, bis der Hocker in eine Richtung fertig bespannt ist. Dann kommt die senkrechte Wicklung, bei der er eine 40 Zentimeter lange, dicke Messingnadel mit gekrümmter Spitze zu Hilfe nimmt, um die Schnüre über- und untereinander durchzufädeln. Die Nadel hat er selbst entworfen und für seine Zwecke herstellen lassen.

Schon sein Großvater, der 1988 im Alter von 68 Jahren verstarb, ließ sich zu Beginn eine zirka 20 Zentimeter lange Rundnadel aus dickem Messing anfertigen, die er dann an seinen Enkel vererbte und die ebenfalls noch bei jeder Bespannung zum Einsatz kommt. Zu dessen Anfangszeiten gab es noch in praktisch jeder Familie einen, der sich aufs Stühlebespannen verstand, und bis zum Beginn der 50er-Jahre nutzte man üblicherweise Zeiten schlechten Wetters, in denen nicht draußen auf den Feldern gearbeitet werden konnte, um Stühle zu flicken.

Abwanderung in die Städte, neue, billigere Produkte und maschinelle Herstellung waren dann der Niedergang vieler dieser alten Handwerkskünste. Die heute noch auf Mallorca existierenden Stuhlbespanner lassen sich an einer Hand abzählen.

„Jahrelang war ich auf bis zu 35 Märkten im Jahr unterwegs", erzählt Guillem über seine Anfangszeiten als Stuhlbespanner. Dort bekam er dann die ersten Aufträge, die er zum Teil direkt vor Ort erledigte. Zu Marktbeginn wurden ihm die zu bespannenden Stühle gebracht, die er dann unter den interessierten Augen der Marktbesucher bearbeitete und zum Ende des Marktes fertig übergab. „Oft bleiben die Leute stehen und schauen mir beim Arbeiten zu", sagt Guillem. Er hat auch heute noch stets eine Auswahl seiner Modelle dabei, die man direkt erwerben kann. Die Anzahl der Märkte hat er um einiges reduzieren müssen - aus Zeit- und Kostengründen. Denn trotz allem reicht die Arbeit nicht für einen Haupterwerb aus, obwohl er viele Aufträge bekommt und eine breite Angebotspalette auf seiner Homepage anbietet. „Um davon leben zu können, müsste ein Stuhl mehr als das Doppelte kosten und das zahlt mir keiner", sagt Guillem. So bleibt es ein Nebenverdienst zu seiner festen Anstellung beim Flughafenbetreiber Aena.

Damit seine Kunst nicht gänzlich verloren geht, hat er auch immer wieder Abendkurse im Stuhlbespannen gegeben. Die Teilnehmer würden aus allen Altersgruppen kommen, das zeige, dass die Faszination und das Interesse an alten Handwerkskünsten durchaus auch bei der jüngeren Generation vorhanden ist. Schließlich will sich ja auch Guillem Monserrat eines Tages auf einem selbst bespannten Stuhl zur Ruhe setzen.

Bestellungen online unter www.cordatsguillem.es oder direkt in seiner Werkstatt in der Carrer Major, 212 in Llucmajor.

Tel.: 616 - 86 06 88