Ein paar Betrunkene wanken aus einer der Diskotheken in Cala Ratjada im Nordosten von Mallorca, ansonsten erscheint das Dorf wie ausgestorben. Auch am Hafen herrscht Stille. Ich schaue auf die Uhr. 5.20 Uhr am Dienstagmorgen. Wo bleiben die denn?

Wie auf Kommando biegt ein kräftiger Mann mit Baseballkappe um die Ecke und kommt direkt auf mich zu. Martín Bisellac, stellt er sich vor. Oder einfach Martín. Er ist Kapitän der „Es Virot", einem von acht Fischerbooten im kleinen Küstenort. „Brauchst du Hilfe?", fragt er und streckt mir von Bord aus die Hand entgegen. Ich ergreife sie und steige auf das leicht schaukelnde Boot. 10,5 Meter lang, spartanisch ausgestattet, mit einer

kleinen halb offenen Steuerkabine. Als ich verhalten gähne, lacht Martín. „Ist früh für dich, oder? Aber wer die llampuga fangen will, muss auch mal früh aufstehen. Die kriegt man nur bei Sonnenaufgang oder Sonnen­untergang." Alle Fischer aus Cala Ratjada hätten sich in den vergangenen Wochen nur auf den Fang der Goldmakrelen konzentriert. Immerhin wurden allein für die Feierlichkeiten der Goldmakrelenfeier am 13. Oktober 2.400 Kilo des schmackhaften Fisches benötigt.

Um 5.35 Uhr stechen wir in See. Auch Paco Souto ist zu uns gestoßen. Schlaksig, etwas unrasiert aber mit schelmischem Blick. Seit einem halben Jahr fährt er täglich gemeinsam mit Martín aufs Meer. „Allein Fischen ist mühsam. Hier fahren alle Fischer mindestens zu zweit raus", erzählt er. Martín übernimmt das Steuer und manövriert die „Es Virot" vorsichtig an der bunten Hafenmauer entlang. Vor ihm leuchten zwei Bildschirme. „Einer ist ein Radar, der andere GPS", erklärt Martín und fährt dann volle Kraft voraus in Richtung Nordosten. Auf dem GPS-Bildschirm sind zahlreiche kleine Kreuze markiert. Dort, erzählt Martín, hätten die beiden zu Beginn der llampuga-Saison Ende August capser angebracht, kleine schwimmende Bojen mit Palmzweigen. „Da sammeln sich die Makrelen, um die Nacht zu verbringen", sagt Martín. „Fallen also", stelle ich fest. „Na ja", grinst der Fischer. „Wir nennen es eher Rückzugsorte."

16 Seemeilen liegen vor uns, bis wir die am weitesten entfernte der 40 capsers erreicht haben. „Gut 75 Minuten. Wenn du ein bisschen schlafen willst, wir haben sogar ein Bett", sagt Martín und deutet auf eine kleine, mit Decken ausgelegte Nische im Bauch des Bootes. Ich lehne dankend ab. Schon jetzt, nach nur fünf Minuten auf See, wird mir mein Mageninhalt unangenehm bewusst. Ich setze mich lieber auf eine Steige an Deck. Frische Luft soll doch helfen. Paco setzt sich dazu, blickt in den Sternenhimmel. „Schau nicht auf den Horizont", rät er. „Wenn gleich die Sonne aufgeht wird das schon." Ich nicke, wenig überzeugt. Aber immerhin haben wir einen guten Tag erwischt, es gibt kaum Wellen. „Virot ist ein Seevogel, ganz typisch für hier", plaudert Paco munter weiter. „Und er ist eine kleine Petze. Er zeigt uns, ob sich tatsächlich llampugas um die Bojen tummeln. Hoffentlich. Gestern ist uns keine einzige ins Netz gegangen."

Ich nicke nur und konzentriere mich dann darauf, immer ganz ruhig ein- und auszuatmen. „Da ist ein virot, siehst du", ruft Paco gut eine Stunde später. Ich blicke auf. Tatsächlich kreist ein möwenartiger Vogel direkt über einer kleinen schwimmenden Plattform mit Palmwedel. Martín drosselt den Motor und Paco wirft einen Köder an einer langen Nylonschnur aus, dann umkreist das Boot langsam die Boje. „Da hat was angebissen", ruft Paco und plötzlich geht alles ganz schnell. Geschickt lassen die beiden das Netz ins ­Wasser, das bisher achtlos an Deck lag, und ziehen einen Kreis um die Boje. Dann heißt es kurbeln, um das 150 Meter lange Gewebe wieder einzuholen. Heraus kommt - nichts. „Mist", sagt Martín. Aber gut, 39 weitere Bojen warten ja noch. Mittlerweile geht es mir besser und als die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht bescheinen, fühle ich tatsächlich so etwas wie Zufriedenheit. Mehrere Bojen fahren wir ab, ohne anzuhalten. Dann beißt wieder etwas an. Sofort wird die Prozedur wiederholt.

Diesmal haben sie Glück: Als sie die letzten Meter des Netzes ins Boot ziehen, ertönt ein Plätschern und Klatschen. Gut zehn hellgraue Fische mit golden schimmernden Seiten versuchen verzweifelt, sich aus dem Netz zu winden. Vergeblich. Routiniert werfen die Fischer sie in einen abgetrennten Bereich an Deck. Rund fünf Minuten dauert der Todeskampf. Erst springen die Goldmakrelen aufgeregt umher, dann liegen sie nur noch schwach japsend auf dem Metallboden. Ich verspüre unwillkürlich den Impuls, sie einfach zu packen und heimlich ins Meer zurückzuwerfen. Doch ich widerstehe ihm. Paco und Martín haben beide zwei kleine Kinder zu ernähren. Und wenn sie nichts fangen, verdienen sie auch nichts.

„Fischen muss dir Spaß machen, sonst hälst du den Job nicht lange durch", sagt ­Martín, der schon wieder im Steuerhaus ist, um zur nächsten Boje zu fahren. Er selbst habe den Wunsch schon im Alter von drei Jahren gehegt, als er seinen Großvater, einen Hobby­fischer, in den Hafen begleitete. „Und ich gehe eigentlich jeden Tag gerne zur Arbeit."

Mehrere Stunden lang fahren wir die restlichen Bojen ab, fünf weitere Male halten wir an. Als wir kurz vor Mittag wieder in den Hafen einbiegen, haben wir rund 30 Kilo llampuga im Gepäck. „Rund 220 Euro", sagt Martín. Die muss er sich mit Paco und dem Bootseigentümer teilen. „Kein guter Tag, wahrscheinlich fahren wir heute abend noch mal raus." Immerhin seien sie im September erfolgreicher gewesen. "Und auch ein kleiner Fang geht jetzt an die Fischbörse in Palma."