Da ist er wieder, der alte Pappkamerad. 21 Jahre ist es her, dass ich ihn das letzte Mal auf dem Bauch liegend durch die Zielvorrichtung eines deutschen Sturmgewehrs ins Visier genommen habe. Er hat sich verändert, Kopf, Brust und Beine sehen quadratisch aus. Kommt mir seltsam neutral vor. Bei meiner Ausbildung 1997 zum Fallschirmjäger in Norddeutschland trug der Pappkamerad eine Waffe in der Hand, rannte mit grimmigem Gesicht auf die Schützenreihe zu, die ihm Löcher in die Brust schoss. Ich frage mich gerade, welche Schießscheibe eigentlich entarteter ist, als Leutnant Alejandro Cobas fuego befiehlt. Meine sechs neben mir liegenden Journalisten-Kollegen feuern. Ich lasse mir Zeit, atme ein und drücke beim Ausatmen fünfmal ab.

24 Stunden mit dem 47. Regiment Palma verbringen, Journalisten sollen Aufgaben und Arbeitsweisen des hiesigen Militärs kennenlernen. Als die Einladung eintrifft, ist mein Donnerstag (22.11.) verplant: Ich habe als Einziger in der Redaktion gedient und bin nun gespannt, welche Unterschiede es zur Bundeswehr gibt.

Lockeres Outfit

Natürlich hat sich seit der Zeit viel verändert, die größten Einschnitte bei beiden Armeen waren die Abschaffung der Wehrpflicht, in Spanien 2001, Deutschland brauchte bis zum Jahr 2010, um sich zu einer Berufsarmee durchzuringen. Die andere Revolution bestand darin, dass Frauen nicht mehr nur als Sanitäterinnen ausgebildet, sondern als reguläre Soldatinnen eingesetzt werden. In beiden Armeen beträgt der Frauenanteil heute um die zwölf Prozent. Die einzigen Damen, die mir in der Kaserne Jaime II. in Palma am Donnerstagmorgen um 10 Uhr über den Weg laufen, gehören zu den gut 20 Journalisten, die an dem Treffen teilnehmen. Einige tragen Jogginghosen und Turnschuhe. Ich mit meinen dicken Jeans und Wander-Schnürschuhen komme mir overdressed vor. „Machen wir Frühsport?", frage ich. „Nein, aber wir schlafen doch hier!" Wenn schon zum Militär, dann wenigstens bequem.

Der Regiment-Chef sagt Hallo

Begrüßt werden wir vom Regiments-Chef Eduardo Gutiérrez. Der ergraute Schnurrbartträger erklärt, dass sich das 47. Regiment aus einem 80 Mann starken motorisierten Infanteriebataillon, den „Philippines", zusammensetzt, von denen uns eine Kompanie ins 236,7 Hektar große Übungsgeländer nördlich der Kaserne begleiten wird. Außerdem gibt es noch so etwas wie Pioniere, ein Musikkorps, Funkspezialisten, eine Nachschubeinheit und Spezialisten zum Schutz des Königshauses - insgesamt 500 Männer und Frauen leisten ihren Dienst hier. Einsätze bestünden in Hilfsaktionen, im Inland wie in Sant Llorenç im Oktober - gerade beteiligt man sich an dem Bau einer behelfsmäßigen Brücke bei Artà -, in Bosnien (bis 2006), Kosovo (2008), Afghanistan (2014), Zentralafrika (2016), Irak (2017) und jetzt Senegal. Der Regiments-Chef übergibt an Antonio Ortiz, dem Leiter des Pressestabes. „Wir sind normale Leute", sagt der. „Nur dass wir Uniform tragen und gewisse Werte haben." Der gute alte deutsche Bürger-in-Uniform-Spruch.

Ausgerüstet mit einem Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kevlar-Gefechtshelm (ca. 1,4 Kilo), Splitterschutzweste (ca. 2,4 Kilo) werden wir auf der Ladefläche eines Fünf-Tonners (großer Truppentransporter) in das hügelige Gelände gefahren. An einer Kurve wartet unser Lager: ein Wassertank zum Waschen, Mannschafts-Zelt zum Essenfassen, Offiziers-Zelt. Auch die Kompanie ist da, ich zähle zwei Soldatinnen bei den rund 30 Mann. Zum Aufbau der Einmann-Zelte bekommen wir jeweils einen Soldaten zur Seite gestellt, kein Problem. Nur, darin schlafen? Das wird hart. Aber erst einmal geht es in Gruppen aufgeteilt zum Schießstand.

Ständig am Schwitzen

Wir stapfen mit Splitterschutzweste und Gefechtshelm schwitzend einen Hügel hinauf. Schwitzen, das sei natürlich im Sommer ein ständiges Problem, sagt Stabsfeldwebel Paulino Andújar. Vor allem wenn neben der Ausrüstung noch ein 20 Kilo schwerer Rucksack auf dem Rücken sitzt. Im Winter kommt zum Schwitzen die ständige Luftfeuchtigkeit hinzu. „Eigentlich versucht man immer, wenigstens ein paar Wechselsachen trocken zu halten." Der größte Feind der Soldaten auf den Balearen ist definitiv das Klima. Und es gibt Mücken.

Beim Schießstand gibt uns Leutnant Alejandro Cobas eine Sicherheitseinweisung, normalerweise würde man Gehörschutz verwenden, aber bei fünf Schuss sei das kein Problem. Das würde bei den Deutschen garantiert gegen irgendeine Vorschrift verstoßen. In der zentralen Dienstvorschrift, die festlegt, wie sich der Bundeswehrsoldat im Gefecht und Gelände zu verhalten hat, soll gestanden haben, dass „bei Erreichen des Baumwipfels der Soldat die Kletterbewegungen selbstständig einzustellen hat", witzelten wir damals. Stimmt natürlich nicht. Aber ich habe auch ein Wochenende als Telefonist in der Kaserne verbracht, weil für das Gebäude ein Telefondienst am Wochenende vorgeschrieben war, nur das Telefon funktionierte nicht. Vorschrift ist nun mal Vorschrift.

Das G-36 hat seine Vorteile

Der Rückstoß der G-36 ist minimal. Die fünf 5,56-Millimeter-Geschosse haben den Pappkameraden die Brust perforiert, ein Treffer weicht deutlich von den anderen ab, wahrscheinlich weil durch die hochgerutschte Splitterschutzweste im Liegen irgendwann der Helm aufs Visier gedrückt hat. Ich erinnere mich an die schweren, nahezu gänzlich metallenen und nicht zusammenklappbaren G-3 meiner damaligen Einheit. Die 7,62 Millimeter, damals Nato-Standard für Sturmgewehre, sind schon ein deutlich schwereres und lauteres Kaliber. Man könne aufgrund der Größe zwar etwas weniger mitschleppen, dafür würde sich die Waffe aber auch nicht von einem Grashalm ablenken lassen, spotteten die Offiziere damals. Mit welchem Soldaten ich hier bei der Übung auch spreche, alle sind sehr zufrieden mit dem neuen Gewehr. Ich freue mich, dass ich es einfach liegen lassen kann und jemand anders es später zerlegen und reinigen muss.

Zum Essenfassen laufen wir zum Lager, es gibt einen Klacks Bohnen mit Tomatensoße, salchichas (Würstchen), albóndigas (Fleischbällchen), Kartoffelpüree und eine Birne. Echt lecker. Mir fällt auf, dass sich niemand über das Essen beschwert. Und dazu reden auch noch alle miteinander, Journalisten und Soldaten bunt gemischt im Mannschafts-Zelt. Wir sind halt in Spanien. Nur das Kartoffelpüree ist eine Fertigmischung, denke ich und grinse in mich hinein. Ich komme halt aus Deutschland.

Womit sonst noch so geschossen wird

Den Rest des Nachmittags verbringen wir mit Vorstellungen verschiedener tragbarer Waffen: eine tödlicher als die andere. Gegen Abend fahren wir eine Runde im Konvoi mit den gepanzerten Viersitzer Udo Vamtac und bekommen in aller Ausführlichkeit gezeigt, was passiert, wenn ein Konvoi auf eine vermeintliche Sprengfalle trifft. Um es kurz zu machen, es geht verdammt langsam voran, und ein paar arme Schweine müssen aussteigen, um das Gelände in mehreren Kreisen nach Minen abzusuchen. Als es dunkel ist, machen wir einen kleinen Ausflug mit an dem Helm montierten Restlichtaufhellern, durch die man mit einem Auge sehen kann, wie hell die vom Mondschein angestrahlten Berge leuchten und dass da vorne ja jemand im Gebüsch hockt. Auf lange Sicht sind die Geräte verdammt schwer und einfach nur anstrengend für die Augen. Ein junger Soldat aus Valencia, der seit einem halben Jahr Dienst in Palma schiebt, fragt mich, ob ich nachts lieber mit oder ohne Restlichtaufheller marschieren würde. Ich sage ohne und sehe ihn im Dunkeln nicken.

Vor dem Zu-Boden-Gehen im Schlafsack kochen wir uns eine Mahlzeit aus den Paketen, die als Vorrat samt Nachspeise im Rucksack mitgenommen werden können. Das Dosenfleisch wird über einen Einmal-Kocher erhitzt. Schmeckt gut, wiegt aber auch ganz schön viel. „Die Amerikaner haben als Proviant nur noch Tüten, in die sie Wasser füllen. Damit wird ein chemischer Erhitzungsprozess in Gang gesetzt. Sie wiegen so gut wie nichts und nehmen keinen Platz weg", erklärt Kompanie-Chef Cándido Piñeiro Villaronga. Wenn ich noch einmal mit einer Armee unterwegs sein kann, darf es gerne die spanische sein. Nur das mit dem Übernachten auf dem Boden zeigt mal wieder, dass es sich Zu Hause doch am besten schläft. Gut, wenn man nicht darum kämpfen muss.