Sportlich schwingt sich der Baumexperte auf den untersten Ast des Mandelbaums. Behände klettert er weiter nach oben. Dass er sich dann mit dem Seil festzurrt, hört man am Klicken des zuschnappenden Karabiners. Dirk Czerwinski hat jetzt die Hände frei. Mit der einen stützt er sich ab, mit der anderen bewegt er die Säge mit dem japanischen Blatt. Hier auf dem Feld in Santanyí habe er gemeinsam mit seinen Kolleginnen in den vergangenen Tagen 180 alte Mandelbäume gestutzt, ruft er von oben herunter.

Die Regie führt hier die Diplom-Ingenieurin für Landschaftsarchitektur Andi Lechte. Im Gegensatz zu Czerwinski, der zur Arbeit aus Hannover anreiste, lebt sie schon lange auf der Insel und war unter anderem an der Gestaltung spektakulärer Gärten wie Es Fangar oder Son Muda beteiligt. In den vergangenen Jahren schnitt sie mit Experten Olivenbäume, dieses Jahr sind die almendros dran. „Ob eine poda (so heißt der Baumschnitt im Spanischen) gut ausgeführt ist, kann man nur beurteilen, wenn man es selbst gelernt hat", sagt sie.

Vor allem gesund werden

Die Gartenarchitektin berichtet, dass die deutsche Besitzerin das Feld zusätzlich zu ihrem Garten in der Nähe erworben hat. Der vorige Eigentümer hatte das Gelände verkommen lassen. Niemand wisse, wann die Bäume zuletzt gestutzt worden sind. Unbekannt ist auch ihr Alter. Doch die dicken Stämme lassen darauf schließen, dass sie viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Die Eigentümerin gab der Gartenarchitektin den Auftrag, die alten Bäume zu erhalten. Sie sollen vor allem gesund werden, wie viele Früchte sie dann tragen, sei hingegen zweitrangig.

Häufig wird auf der Insel erst dann gestutzt, wenn die Mandelbäume bereits blühen. Dirk Czerwinski schneidet jedoch bereits im Dezember. „Ein Verjüngungsschnitt", so erklärt er, „wird gemacht, wenn der Baum noch über viel Kraft in den Wurzeln verfügt." Kurz vor der Blüte könnte man ihn noch vorsichtig auslichten, sogar nachher sei das noch möglich, wenn man die Fruchtansätze berücksichtige.

Doch auch der Verjüngungsschnitt müsse sanft ausfallen. Er schneide bei einem so alten Baumbestand nicht ins mehrjährige Holz. „Junges Holz kann sich gegen Krankheiten besser wehren als altes", sagt der Experte. Gerade bei den alten Mandelbäumen wäre große Vorsicht geboten, denn ihnen drohe nicht nur der Xylella-Virus, auch andere Krankheiten plagen die Mandelplantagen auf der Insel. Hilfreich wäre ebenfalls, alles Totholz sorgfältig abzutrennen. Emma Teubner, Tochter und Praktikantin, sammelt währenddessen das Schnittgut vom Boden auf.

Auch Andi Lechte gesellt sich jetzt mit einem langen Hochentaster dazu. Das ist eine schmale Kettensäge mit Teleskop-Stiel. Ab jetzt überlegt man gemeinsam, welche Äste zu entfernen sind. Dabei ist zu beachten, dass der almendro, wie auch der Pfirsich- und Aprikosenbaum, am einjährigen Holz blüht, das man häufig stehenlässt. Abgetrennt werden dagegen Zweige, die nach unten zeigen, ihnen mangelt es an Nährstoffen. Auch konkurrierende Zweige, die zu dicht beieinander wachsen, müssen weg.

Untrügliches Indiz: Flechten

Gemeinsam überlegt das Team jetzt, wie eine Hohlkrone erreicht werden kann. Das bedeutet, dass vermehrt Äste im Innern der Krone geschnitten werden, damit es zu einer besseren Luftzirkulation kommt.

Trotz blauem Himmel und strahlender Sonne schwirren Moskitos herum. Sie sind ein Zeichen dafür, dass zu hohe Luftfeuchtigkeit herrscht. Ebenso wie die Flechten, die sich dicht an dicht auf den Ästen ausgebreitet haben. Sie sind auf der Insel an vielen ungepflegten Obstbaumbeständen zu beobachten. Flechten sind Gewächse, die sich selbstständig ernähren, also keine Schmarotzer sind, jedoch ein untrügliches Zeichen für Vernachlässigung. Fehlt über Jahre der regelmäßige Schnitt, wird die Rinde immer poröser und macht den Flechten Platz, um sich einzunisten.

Dass der frühere Besitzer dem Feld wenig Zuwendung schenkte, ist auch daran zu sehen, dass Brombeersträucher und hohes Gras unter den Bäumen wuchern. „Nachdem das Schnittgut gehäckselt oder verbrannt worden ist, wird das Feld gesäubert und umgepflügt", sagt die Gartenarchitektin. Durch die gelockerte Erde käme Luft in den Unterboden sowie an die Wurzeln. Gleichzeitig würde Staunässe nach den Niederschlägen vermieden. Das schaffe ein trockenes Mikroklima.

In den Himmel gewachsen

Die almendros konnten in den Jahren ohne Pflege weit über das Maß hinauswachsen, das man auf der Insel von den Plantagen kennt. Bevor sich das Team an die Arbeit machte, holte es den Rat von mallorquinischen Experten ein. Alle waren sich einig, dass man die Höhe der Bäume auf dem „Altenteil" so belässt, wie sie ist, weil die bequeme Ernte bei ihnen keine Rolle mehr spielt. So bleiben sie also zwischen sechs und acht Meter hoch. Von dort oben stellt Dirk Czerwinski eher zum Spaß die rhetorische Frage: „Und wie komme ich jetzt von hier oben wieder runter?"

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