Wenn Sie in den letzten beiden Dezember-Wochen oder den ersten Tagen im Januar auf der Insel geweilt haben, dann haben Sie es selbst miterlebt: das Wetterphänomen calmas de enero. Für viele Insulaner und Mallorca-Residenten ist die „Ruhe des Januars" mit die schönste Zeit des Jahres auf der Insel: diese in beinahe pedantischer Regelmäßigkeit wiederkehrenden sonnigen Wintertage. Die calmas de enero bringen T-Shirt-Wetter mitten im Winter, einen strahlend blauen Himmel - und vor allem eine für Inselverhältnisse nahezu unheimliche Windstille. Damit einher geht ein spiegelglattes Meer ohne Wellengang. Die Spanier sagen dazu: El mar esta como un plato, liegt also da wie ein Teller.

Aber wie kommt es dazu? Es gibt zwei Entstehungsgeschichten - eine aus der Welt der Mythologie und eine wissenschaftliche. In der griechischen Antike gab es die Geschichte von Alkyone, der Tochter des Windgottes Aiolos, deren Name von dem griechischen Wort für Eisvogel abgeleitet ist. Alkyone war mit dem Abendstern Keyx verheiratet. Nachdem Alkyone ihren Mann durch ein Unwetter verloren hatte, suchte sie ihn lange vergeblich. Die Göttin Hera verwandelte Alkyone aus Mitleid in einen Eisvogel. Ihr wurde das Privileg des schönen Wetters während ihrer Nist- und Brutzeit rund um die Wintersonnenwende gewährt. Daher nennt man die windstillen, warmen Tage auch „halkyonische Tage".

Der Meteorologe des balearischen Wetterdienstes Aemet, Bernat Amengual, betrachtet das Phänomen eher aus wissenschaftlicher Sicht und erklärt der MZ: „Diese Wetterlage stellt sich ein, wenn das Hoch, das normalerweise über den Azoren liegt, seinen Standort verlagert und sich über dem Süden von Europa ausbreitet." Wobei das Hoch üblicherweise so großflächig ist, dass es seinen Mittelpunkt auch ganz woanders haben kann, die Effekte aber über tausende Kilometer ausstrahlen. Ende vergangener Woche etwa, als der Artikel entstand, lag das Hochdruckgebiet über Großbritannien. Alle Tiefdruckgebiete, die sich von Westen nähern, werden durch das Hoch nach Norden abgedrängt.

Die calmas de enero sind, so vorteilhaft das für die Tourismus-Branche oder die Mallorca-Vermarkter auch wäre, unmöglich längerfristig vorherzusagen. „Die Wetterlage kann von Dezember bis Ende Februar auftauchen. Am häufigsten ist sie im Januar, daher der Name", erklärt Amengual. Wie lange die calmas dauern, kann man ebenso wenig vorher feststellen. In manchen Jahren sind es wenige Tage, in anderen, wie derzeit, kann sich das Phänomen auch über mehrere Wochen hinziehen. „Und in Ausnahmefällen wiederum, wie 2018 geschehen, bleiben die calmas ganz aus", sagt der Meteorologe. Auch sei es möglich, dass die ruhige Wetterphase zwischenzeitlich endet und sich nach einer Episode mit Niederschlägen und Wind erneut einstellt.

Wobei die calmas de enero nicht automatisch bedeuten, dass permanent die Sonne scheinen muss. Je nach Luftfeuchtigkeit sind dichte Nebelbänke wahrscheinlich, vor allem am Vormittag. „Zurzeit befinden sich die Wolken relativ hoch über der Erde, aber wenn sie nur wenige Meter über dem Boden unterwegs sind, dann lichtet sich der Nebel oft erst am Mittag", sagt Amengual.

Während auf den Inseln üblicherweise der Unterschied zwischen den Tages- und den Nachttemperaturen eher gering ist, ändert sich das während der calmas. Die Höchstwerte schaffen es dann nicht selten über 20 Grad, während es nachts bis nahe an den Gefrierpunkt abkühlt. Nicht nur auf Mallorca, auch an der spanischen Ostküste rund um Alicante und Valencia ist das Phänomen bekannt.

Die mittelfristigen Wetterprognosen für den Winter, so Amengual, gehen davon aus, dass der Niederschlag in den kommenden Monaten im langjährigen Durchschnitt liegt. Da es seit Winterbeginn am 21. Dezember auf Mallorca nahezu noch keinen Tropfen geregnet hat, dürften die schönen, sonnigen Tage schon bald zu Ende gehen. Die Vorhersage für die nächsten Tage sieht zumindest nicht mehr so rosig aus. Aber es besteht ja die Hoffnung, dass die calmas de enero diesen Winter noch einmal auf Mallorca vorbeischauen.