Aus einem macht Rafel Ginard Bauçà keinen Hehl: „Ich bin verliebt in Artà." Schon auf der ersten Seite seiner Schriftensammlung ist das zu lesen. 43 Jahre nach dem Tod des mallorquinischen Priesters, der praktisch sein gesamtes Leben in dem Ort im Nordosten von Mallorca verbrachte, hat das Rathaus seine gesammelten Artikel als Taschenbuch herausgebracht. Und eine deutsche Übersetzung gleich dazu. Der Band beschreibt ein vergangenes Artà. Ein Artà, das deutlich macht, wie grundlegend sich Mallorca verändert hat. Aber auch, dass sich einiges wohl niemals ändern wird.

Sie ist etwas gewöhnungsbedürftig, die blumige Sprache, der sich Ginard bedient. Eigentlich wurde der Geistliche Ende der 40er- Jahre als Verfasser der Volksliedsammlung „Cançoner popular de Mallorca" bekannt. In den Erzählungen, Meinungsartikeln und der Erinnerungsprosa über Artà jedoch, die Ginard zwischen 1927 und 1967 in verschiedenen Inselzeitschriften publizierte, benutzt er Adjektive im Überfluss, idealisiert, verherrlicht. „Manchmal ist es etwas dick aufgetragen", bewertet auch der Sprachwissenschaftler Volker Glab, der die Texte vom Katalanischen ins Deutsche übersetzte. „Andererseits sind seine Beschreibungen so lebhaft, dass man die Landschaft wahrhaft vor seinem inneren Auge sehen kann."

Das stimmt. Ginard nimmt den Leser mit in Zeiten, in denen durch Artàs Gassen die Postkutschen fuhren, in denen es noch kaum Besucher gab und sich die Menschen ihren Lebensunterhalt als Korbflechter, Leinweber oder Landwirt verdienten und die jungen Frauen an den öffentlichen Wasserbecken ihre Krüge füllten. „Ich möchte eure Bräuche, euren Charakter, den geheimnisvollen Zauber eures Dorfes mit seinen engen, verwinkelten Gassen (...) ergründen, wo vor jedem Hauseingang junge Mädchen beim Sticken und ewig stickende Frauen sitzen", heißt es in einem der ersten Texte.

Der in Sant Joan, im Inselinneren, geborene Ginard zog schon als 14-Jähriger ins Franziskanerkloster von Artà und blieb dort bis zu seinem Tod. Da verwundert es nicht, dass auch der religiöse Aspekt eine Rolle spielt und mehrere Texte etwa dem Kloster Sant Salvador gewidmet sind. Viel Raum lässt Ginard auch dem Brauchtum der artanencs - und gibt damit erstaunlich präzise das bis heute andauernde Lebensgefühl vieler Mallorquiner wilder. „Auf Mallorca ist der August der Monat der reifen Früchte (...) und er ist der Monat der Volksfeste. Sie bieten Entspannung, in der das einfache Volk ausgelassen sein kann, stets im Widerstreit mit der Arbeit", schreibt Ginard. Schon Tage vor den Festlichkeiten wienerten die Einwohner Artàs einst ihre Häuser und Straßen, und die Näherinnen und Schuster legten Nachtschichten ein, um „im Schein ihrer flackernden Lampen" die maßgefertigte Festtagskleidung rechtzeitig fertigzustellen. Denn zum Patronatsfest mauserte sich das Dorf zum Ausflugsziel. „Diejenigen, die in der Hauptstadt leben, Herrschaften, Soldaten, Dienstmägde, schnüren auch ihr Bündel und kommen scharenweise nach Artà."

Das „typischste aller Feste", bemerkte bereits Ginard, seien aber die Feierlichkeiten zu Sant Antoni. Das wilde Treiben von heute scheint lange Tradition zu haben. „Es ist ein rauschendes, lautes Fest. (...) Wer es wissen will, dem sei gesagt, dass uns an dem Fest am meisten die Freudenfeuer gefallen." Auch das Thema Alkoholkonsum auf Volksfesten scheint mitnichten eine Neuerscheinung zu sein. „Jetzt muss man sich vorstellen, wie diese Menschen, die für gewöhnlich ohnehin viel durch ihre Kehle laufen lassen und an einem solchen Tag wie die Löcher saufen, ausfallend werden können (...). Das löst in ihnen ein unbändiges Verlangen zu singen (...). Junge Leute spielen dabei grässlich falsch Gitarre oder Blasinstrumente, und singen dazu aus voller Kehle groteske Lieder und rufen 'Visca Sant Antoni'." Versöhnende Worte findet Ginard für das Sant-Antoni-Fest dennoch: „Wir wünschten uns, dass es niemals seinen Charakter verlieren möge, dass es für alle Zeiten den Wohlgeschmack des Unsrigen bewahren möge."

Dass Ginard zwischen harter Kritik und ausschweifender Lobhudelei zu seiner Wahlheimat schwankt, wird auch bei seinen Beschreibungen der Landschaft deutlich, die der Priester auf zahlreichen Wanderungen erkundete. „Die Reize der Landschaft Artàs geben sich den Menschen nicht bereitwillig Preis. Sie lassen sich nicht leicht erreichen (...). Sie möchten nicht durch Touristen, diesen herumirrenden Wanderern mit ihren gierig bohrenden Blicken, profaniert werden." Während Ginard die Gegend um Betlem als „wunderschön" beschreibt, hat er für das Colònia de Sant Pere von damals mit „seinem kargen, schwarzen Strand" voller „sonnenverbrannter Kieselsteine" kaum etwas übrig. „Ein armseliger Weiler aus winzigen Häusern, Schaustellerständen oder Krippenhütten, die Erde mager und knapp (...). Geerbt hat dieser Flecken kaum mehr als salzigen Wind, Meerwasser und unerbittlichen Sonnenschein", lässt sich Ginard über den Urlauberort aus.

Und doch endet Ginard wie stets mit einer Woge des Lobes: „Die Gegend um Artà ist nicht so verblüffend und üppig wie die um Miramar oder Sóller, noch ist sie so grandios (...) wie die Berge bei Lluc (...) noch besitzt sie ländliche Eleganz eines Deià (...), aber sie steckt einen geradezu an mit Wohlbefinden und köstlicher Ruhe, dass sie einem augenblicklich das Herz stiehlt und einem lieber wird als viele andere, die da stolzer, herrlicher geschmückt vor einem liegen."

„Ginard ist wie ein mallorquinischer Hermann Löns, nur dass sein Landschaftsideal nicht die Lüneburger Heide, sondern Artà und seine Umgebung war", sagt Übersetzer Volker Glab. Weniger als die mallorquinische Sprache sei es der damalige Zeitgeist gewesen, der ihm die Übersetzung erschwerte. „Teilweise musste ich feilen und jonglieren, um das Geschriebene Lesern aus der heutigen Zeit nahezubringen."

„Skizzen aus meiner Wahlheimat Artà" ist bei Edicions Documenta Balear erschienen. Für einen symbolischen Preis von 3,50 Euro kann der Band auf Anfrage in der Tourismusinformation in Artà bestellt werden.