Das Kistchen aus Karton im weiß-schwarzen Zebra-Look wiegt geschätzt ein Kilo. Es steht auf dem Armaturenbrett des Renault Clio, den Joan Mayol über den Feldweg bei Porreres steuert und vor einem großen Schiebetor stoppt. „Zona militar", steht auf roten Warnschildern - militärisches Sperrgebiet, Zutritt verboten. Mayol öffnet das Kistchen, es enthält eine unübersehbare Zahl von Schlüsseln. Sie sind mit neonfarbenen Schildchen beschriftet. Doch auf Anhieb lässt sich kein einziges der Vorhängeschlösser öffnen, mit denen alle Tore und Türen des alten Munitionslagers von Porreres gesichert sind, es braucht jeweils ein halbes Dutzend Versuche.

Im Spanischen heißt die Anlage polvorín, was man auch mit Pulverkammer übersetzen kann. Hier lagerten seit dem Bau des Tunnels im Jahr 1930 alle Arten von Munition des spanischen Militärs, in Depots entlang eines 1,2 Kilometer langen Schachts. Es ist eine Art streng geheime Variante des Sóller-Tunnels, die nach dem Ende der Nutzung vor rund fünf Jahren der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden soll. Im Gegensatz zu dem Verkehrsweg ins Orangental ist dieser Tunnel unbeleuchtet, führt ins Niemandsland und lässt sich nur in eine Richtung befahren.

Die Schlüssel hat das Militär jetzt der Gemeinde überlassen, im Rahmen eines vierjährigen Pachtvertrags, der dann um 75 Jahre verlängert werden soll. Für Joan Mayol öffnen die Schlüssel auch ein Tor in die eigene Vergangenheit. Der frühere Chef der Ortspolizei hatte hier vor rund 45 Jahren seinen Militärdienst abgeleistet, insgesamt 18 Monate nach dem Ende der Grundausbildung. „Die Zäune gab es damals noch nicht", sagt der 65-Jährige und zeigt auf den Stacheldraht und die Sicherheitskameras, „damals hielten hier Hunde Wacht". Die Zwinger stehen noch immer, zwischen marodem Basketballfeld, verwaister Fahnenstange und wuchernden Aleppo-Kiefern. Auch in den Verwaltungs-, Schlaf- und Kantinentrakten, die sich um einen mit Mispeln bewachsenen Innenhof reihen, hat sich seit damals viel verändert. Der einst große Schlafsaal mit seinen Stockbetten ist in Gruppenzimmer aufgeteilt. Als Mayol die schiefen Fensterläden, die losen Kabel an der Decke und die wackligen Waschbecken sieht, langt er sich spontan an den Kopf. Die Spuren von Einbrechern, die hier offenbar Kupfer­kabel stahlen, sind unübersehbar. Wie soll man das alles herrichten, wer soll das bezahlen?

„Wir wollen ein Konsortium zusammen mit Landesregierung und Inselrat bilden", erklärt Francisca Mora, geschäftsführende Bürgermeisterin von Porreres, im Telefonat mit der MZ. „Allein können wir die Mittel nicht aufbringen." Sie könne sich gut vorstellen, eine Herberge zu errichten. Räumlichkeiten gibt es genug, etwa auch das ehemalige Haus des Kommandanten, wo dieser mit seiner Frau und seinen Kindern wohnte. Neubauten dagegen wären mit den Naturschutzauflagen des Gebiets (ANEI) nicht zu vereinbaren. Das Bebauungsverbot dürfte auch der Grund sein, warum ein geplanter Verkauf des Geländes nicht zustande kam - ein Hideaway-Hotel könnte hier nicht autorisiert werden.

Fest steht bereits, dass in einem der Gebäude ein Besucherzentrum eingerichtet werden soll, um die heimische Flora zu erklären. Das Projekt für das „Centre d'Interpretació del Massís de Randa" ist laut Bürgermeisterin Mora bereits im balearischen Umweltministerium eingereicht. Finanzieren wird es der Steinbruch Son Amat infolge von gesetzlichen Umweltauflagen - „als Ausgleich für das Riesenloch im Berg von Monti-sion".

Nicht nur Naturfreunde dürften Gefallen an dem Gelände finden. Sportler kamen im August vergangenen Jahres auf den Geschmack, als die Tore des Tunnels geöffnet wurden und ein Dorflauf erstmals durch den Schacht führte. Für Joan Mayol ist es nach all den Jahrzehnten ebenfalls das erste Mal, dass er beim MZ-Besuch den Tunnel wieder durchquert. Das Tor am Nordende des Tunnels leistet lange Widerstand, am Ende muss der Gemeindeangestellte einen Stein zu Hilfe nehmen, um den oxidierten Riegel zu lösen. Innen sinkt die Temperatur spürbar um einige Grad. Der Blick reicht, soweit die Scheinwerfer des Renault den Tunnel ausleuchten. In der Ferne verlieren sich Kabel, die an Wand und Decke verlaufen, sowie eine Wasserleitung, die dem Brandschutz gedient haben dürfte.

„Früher fuhren hier Lkw herein, später dann Gabelstapler", erklärt Mayol. Er parkt sein Auto in einer der Buchten, und nur das Handy-Licht weist den Weg über eine Rampe ins erste von insgesamt 13 Depots - an den Wänden mit Holz verkleidete Schächte, die im 90-Grad-Winkel abzweigen und ein Echo erzeugen, das die Worte übereinanderlegt. Keine Spur mehr von der Munition und den Waffen, die hier in bis zu 150 Metern Tiefe unter der Erde in Sicherheit lagerten. Explosionsgefahr habe nicht bestanden, meint Mayol, schließlich sei das Material sortiert und getrennt aufbewahrt worden.

Der Asphalt im Tunnel wirkt neu, vielleicht auch, weil er hier nicht der Witterung ausgesetzt ist. Der Renault passiert bei der Weiterfahrt eine lange Kurve, bis am Ende wieder Tageslicht sichtbar wird. Das Tor ist verschlossen, zum Glück aber von innen, es leistet ebenfalls eine Zeit lang Widerstand. „Hier müssen wir mal mit ein wenig Öl vorbeischauen", meint Mayol und erklärt, dass hier, am Westeingang, früher ein Führungsoffizier und vier Wächter stationiert waren. Die Straße hört hinter dem Tunnel einfach auf, das Gelände ist ebenfalls umzäunt. Der Platz reicht gerade aus, um den Wagen bequem zu wenden.

Man kann sich Mayol gut als Guide vorstellen, wie er Besucher über das Gelände führt und zum Beispiel erklärt, dass in der Aushöhlung neben der Tunneleinfahrt einst eine Heiligenfigur der Barbara von Nikomedien stand, Schutzpatronin der Bergleute und Artilleristen. Wer von den jungen Leuten in Porreres könne heute noch etwas mit Santa Bárbara anfangen? Aber der Job komme für ihn nicht infrage, stellt der 65-Jährige klar. Die Kiste mit den Schlüsseln werde er gerne wieder abgeben.