Hildegard Günzel bereitete ihre Puppen für eine Ausstellung in New York vor, als es an der Tür klopfte. „Eine kleine, sehr zierliche Frau betrat den Raum und fragte, ob sie einen Blick auf die Puppen werfen könnte", sagt Günzel. Die Puppendesignerin aus Tauber­bischofsheim (Baden-Württemberg) packte gerade die Kisten aus Deutschland aus, die Kleider und die Puppen waren getrennt verschickt worden, Günzel musste ihre Schöpfungen für den nächsten Tag herrichten. „Ich sagte ihr, dass das nicht ginge und sie morgen wiederkommen solle, so wie alle anderen auch, und sie ging." Kurz darauf riss der Kurator der Ausstellung die Tür auf: „Weißt du eigentlich, wen du da gerade weggeschickt hast? Demi Moore!"

Hildegard Günzel lacht. „Das war 1990, der Film von Demi Moore und Patrick Swayze ,Ghost' war gerade in den USA angelaufen. Ich hatte ihn noch nicht gesehen und kannte sie nicht." Am Eröffnungstag der Ausstellung kam Demi Moore wieder. Sie war fasziniert davon, wie echt die Puppen von Hildegard Günzel aussahen und kaufte eine. „Über die Jahre ist sie zu einer Stammkundin geworden. Meiner Meinung nach besitzt sie die größte private, zeitgenössische Puppensammlung der Welt."

Im September ist Schluss

Seit 1972 designt und modelliert Hildegard Günzel Puppen. Sie stattet ihre Werke mit aufwendig in Handarbeit hergestellten Kleidern aus und hat Dutzende Design-Preise gewonnen. In Duisburg leitet sie eine Puppenmanufaktur. Zehn Angestellte arbeiteten für sie in der Blütezeit des Puppensammelns in den 90er-Jahren. Heute beschäftige sie noch vier Mitarbeiter. „Im September wird die Produktion aber ganz eingestellt", sagt die 74-Jährige.

Ihre letzte Kollektion hat sie Anfang des Jahres herausgegeben, Puppen wird sie aber weiter entwerfen. Zum Beispiel auf Mallorca, wo sie künftig mehr Zeit in ihrer auf Dauer gemieteten Finca bei Cas Concos verbringen möchte. „Ich kann gar nicht anders, ich empfinde den Prozess des Puppenmachens immer noch als aufregend", sagt sie. Und Mallorca inspiriere sie. „Normalerweise arbeite ich mit der Knetmasse Resin, aber hier auf Mallorca kann man ganz wunderbaren Ton kaufen." Mit unterschiedlich großen Schaben arbeitet sie die Gesichtszüge heraus, streicht mit angefeuchteten Fingern die Wangen glatt. Der Prozess ist immer gleich. Erst arbeite sie „positiv". Dabei formt sie einen Körper und das Gesicht. Dabei sei der Ausdruck entscheidend. „Früher hatten alle Puppen große Augen und einen kleinen Mund." Bei ihr sind die Proportionen realistischer, sie wirken lebensecht.

Schon der Guss ist eine Kunst für sich

Der getrocknete Entwurf wird dann mit Gipsstreifen beim sogenannten Formbauer umwickelt.Dieser nega­tive Abdruck wird dann mit flüssigem Porzellan ausgegossen. Der Gips entzieht dem Porzellan die Feuchtigkeit und schließlich härtet er aus. Dabei darf der Guss nicht zu dick und nicht zu dünn sein - das ist schon eine Kunst für sich. Zum Ende wird die Gipsummantelung entfernt.

Sehr viel Wert legt Hildegard Günzel als gelernte Modedesignerin auf die Kleidung der Puppen, die sie selbst entwirft. „Bei der Herstellung kommt alles zur Anwendung, was gut und teuer ist." Im Zusammenspiel mit den Stoffen, den Haaren und Augen und wie sich die Puppe bewegt, entsteht dann der Eindruck von Lebendigkeit. Im Laden kosten ihre Kreationen, die Helen, Sylvania oder Philomene heißen, bis zu 12.000 Euro. Bei Versteigerungen seltener Editionen wird noch mehr aufgerufen.

Nicht ganz billig - dabei hat sie eigentlich mit dem Puppenmachen angefangen, weil ihr Porzellanpuppen einst viel zu teuer waren. „In den 70er-Jahren fing das Sammeln in Deutschland an." Frauen suchten auf Flohmärkten nach den Puppen ihrer Kindheit, die häufig im Krieg bei den Bombenangriffen auf die Städte zerstört wurden.„Porzellanpuppen kosteten damals mehrere Hundert Euro, viel zu teuer für mich." Sie brachte sich die Puppenkunst mit Fachliteratur selbst bei. „Die ersten sahen scheußlich aus." Aber so langsam bekam sie den Dreh raus. Eine Besonderheit ihrer Puppen war, dass sie immer eine Bewegung imitierten, mal zum Beispiel einen Fuß abwinkelten. Die anderen Porzellanpuppen saßen oder standen meist wie Roboter da.

Den Puppenvirus in die Welt getragen

„Damals fanden die ersten Messen für antike Puppen statt, immer in sehr exklusiven Hotels in Frankfurt, München oder Hamburg." Sie kontaktierte den Leiter der Messen und fragte, ob sie einen Stand aufstellen dürfe. Der stimmte zu. „Damit ich unter all den antiken Puppen auffiel, habe ich weiße Kleider für meine genäht. Die antiken Puppen hatten alle knallbunte Kleider." Ihre Werke kamen gut an. Für umgerechnet ein paar Hundert Euro verkaufte sie ihre ­ersten Puppen. „Hatte ich eine verkauft, war genug Geld da, um zwei neue herzustellen." Sie fing an, Seminare auf den Messen zu geben. Zusammen mit dem Messeleiter gründete sie den internationalen Puppenclub „Global Doll Society", ihre Ausstellungen weiteten sie aus auf England, den Niederlanden, Schweiz und Österreich - und darüber hinaus. „Wir gingen nach Australien, Neuseeland, Japan und den USA. Ich habe den Puppenvirus in die Welt getragen", sagt Hildegard Günzel. Ihre Seminare gab sie vor 2.000 Besuchern. „Zu den Messen in Japan kamen sehr gebildete Leute, die sich für Europa interessierten." Da kam es schon mal vor, dass Japaner das Gedicht „Heideröslein" von Johann Wolfgang von Goethe als Volkslied sangen.

„Am erfolgreichsten waren wir aber in Amerika", sagt sie. „Ich habe in den 90er-Jahren zehn Puppen im Jahr entworfen und jede um die 40-mal verkauft." Ihre Preise lagen da schon bei ein paar Tausend Euro pro Stück. Nebenbei entwarf sie für den größten US-amerikanischen Puppenhersteller Alexander Doll Company auch Spielzeugpuppen aus Vinyl. Auch auf den russischen Markt drängte sie, in Nischni Nowgorod bei Moskau gibt es ein Museum, das 40 ihrer Puppen zeigt. „Deutschland hat eine lange Puppen-Geschichte, ­zwischen 1890 und 1920 waren Deutschland und Frankreich die größten Puppenhersteller der Welt."

Anfang der 2000er-Jahre ebbte das Interesse an Puppen ab. „Der Markt war gesättigt", sagt sie. „Die Leute haben auch nicht endlos Platz für Puppen." Es ­seien tatsächlich meist Frauen gewesen, die sich für ihre Werke begeistern. „Männer finden Puppen manchmal gruselig. Frauen entwickeln so eine Art Beschützerinstinkt, interpretieren viel in die Gesichts­ausdrücke hinein."

Demi Moore sammelt nicht mehr

Neben Demi Moore hat sie auch Puppen an Donatella Versace, Madonna, Michael Jackson oder John Travolta verkauft. „Der hat sie für seine Frau gekauft." Bruce Willis habe einmal ein Kleid für eine ihrer Puppen bei einer Auktion für 40.000 Euro ersteigert. „Das war eine Benefiz-Veranstaltung, das Kleid hat er für seine damalige Frau Demi Moore gekauft." Die habe übrigens mit dem Sammeln aufgehört. Ihr neuer Freund Ashton Kutcher konnte mit den Puppen nichts anfangen. „Schade", sagt Hildegard Günzel und lacht verschmitzt. „Man sollte niemals etwas für Männer aufgeben."