Vorsichtig setzt Maria Amengual dem noch armlosen Männchen aus weich geknetetem Ton seinen Hut auf. Danach steckt die 46-Jährige ihm die Arme so an, dass die Hände leicht übereinanderliegen. Damit sie nicht gleich abbrechen, stützt Amengual sie anschließend mit einem kleinen Holzstab. Erst dann geht sie daran, mit viel Fingerspitzengefühl den kleinen Ton-Volleyball daraufzulegen. „Vor allem bei den derzeitigen Temperaturen sollte die Figur in dem Zustand nicht lange an der Luft stehen, sonst wird die Oberfläche brüchig", sagt die Handwerksmeisterin und bringt auf dem Sockel zwischen den Beinen der Figur noch gewandt die obligatorische kleine Pfeife an.

Vom Spielzeug zum Souvenir

In Amenguals Werkstatt Can Bernadí Nou in der Ortschaft Sa Cabaneta der Gemeinde Marratxí, nur wenige Meter entfernt vom Töpfermuseum Museo del Fang, entstehen wohl die typischsten Objekte des Kunsthandwerks von Mallorca: siurells, weiße Tonfiguren, meist in Gestalt von Menschen, Tieren oder Fantasiewesen, die mit ihren roten und grünen Verzierungen etwas abstrakt wirken. „Hier in Marratxí arbeiten alle Töpfer mit diesen drei Farben. In anderen Orten, zum Beispiel Inca, verwenden sie auch Gelb oder Blau", sagt Amengual, die gerade an einer Kollektion aus acht Volleyballspielern arbeitet, die bei einem Turnier als Trophäen verliehen werden.

Vor hundert Jahren dienten die pfeifenden Traditionsfiguren vor allem Kindern als Spielzeug. Mittlerweile sind sie hierzulande beliebte Deko-Artikel, Sammlerstücke oder auch typische Mallorca-Souvenirs. „Schon seit einigen Jahren bekomme ich auch immer mehr Anfragen für personalisierte Figuren", so Amengual. Neben dem Klassiker, einem stehenden Mann mit Hut oder einem, der auf einem Pferd reitet, steht ihre Werkstatt daher voll mit Bäckern, Köchen, Anglern, Cowboys, Krippenfiguren, Stieren, Hunden, Hühnern, Meerjungfrauen und Mühlen. Zwischen 4 und 100 Euro kosten die Figuren je nach Größe.

Pfeife ist Pflicht

Manchmal muss man ein bisschen suchen, bis man das an jedem von ihnen angebrachte Mundstück einer Pfeife entdeckt. Es hat den siurells ihren Namen gegeben: Siular ist Mallorquinisch und bedeutet „pfeifen". In einer zu den Figuren bekannten Überlieferungsgeschichte heißt es, die hiesigen Schafhirten hätten die siurells über Jahrhunderte hinweg zur Kontrolle ihrer Herden benutzt. „Diese Theorie finde ich persönlich ziemlich unglaubwürdig. Die siurells brechen sehr leicht. Hirten brauchen Hilfsmittel, die leichter zu transportieren sind", sagt Amengual.

Dass die Figuren als Glücksbringer verkauft wurden, klingt für die studierte Biologin, die sich der Handwerkskunst seit über 20 Jahren hauptberuflich widmet, schon plausibler. „Das wäre zumindest eine gute Verkaufsstrategie", so Amengual. Auf welches Jahr die ersten siurells datiert werden, weiß niemand so genau. Oft werden sie mit ähnlichen Figuren der Araber und Phönizier verglichen. „Archäologische Überbleibsel von Figuren mit Pfeifen gibt es weltweit", sagt Amengual. Man finde sie hierzulande auch im Museo de Sóller, Museo de Mallorca und im Museo Regional d'Artà. Auch wenn Besitzer durch die Pfeife nur einen Ton erzeugen können, sei sie fester Bestandteil der siurells und gar nicht so einfach zu töpfern. „Es dauert eine Weile, bis man den Trick, wie man sie formen muss, raus hat. Meinem Mann zum Beispiel habe ich schon oft versucht, es zu zeigen. Bisher pfeift aber noch keine seiner Figuren."

Wäre es gerade nicht viel zu heiß in der Werkstatt der Familie Amengual, die bereits seit über vier Generationen Siurells herstellt, hätte Maria Amengual schon längst mit der Weihnachtsproduktion begonnen. Zu dieser Zeit sei die Nachfrage mit am höchsten.

Bevor aber der vom Rathaus von Palma de Mallorca organisierte Weihnachtsmarkt in der Innenstadt beginnt, stehen noch einige kleinere Messen an, etwa die Herbstmesse Fira de Tardor Anfang November in Marratxí oder der Umzug und Markt anlässlich der Fiestas de Sant Bernat in Secar de la Real im Norden von Palma de Mallorca am 19. und 20. August. „Ich bin stolz, mit den Siurells eine Tradition aufrechterhalten zu können", so Amengual. „Und damit habe ich auch eine Verantwortung."